Yoko Ono: Auferstehung
Mit 63 Jahren feiert Yoko Ono ein überraschendes Comeback.
„Studio 1“ in Manhattan. Yoko Ono ist indisponiert. Sie hat starken Husten. „Ich habe mir eine schlimme Erkältung eingefangen“, sagt sie entschuldigend zum Interviewer aus Deutschland. Erst als ihr der Manager ein Hustenmittel verabreicht, ist Witwe Lennon zum Gespräch bereit – zum ersten Mal seit fünf Jahren für ein deutsches Magazin.
Für viele Beatles-Fans tragen Sie immer noch die Schuld am Auseinanderbrechen der Fab Four…
Ich habe die Beatles niemals auseinandergebracht. Das ist ein Mythos. Und ich hoffe, daß das jeder mittlerweile erkannt hat…
…Sie meinen, weil Sie mit der Weitergabe der beiden Lennon-Demos an Paul, George und Ringo die Beatles wiedervereinigt haben?
Ja genau. Die Reunion hat geklappt, und das ist auch gut so.
Sind Sie zufrieden mit dem, was die anderen aus ‚Free As A Bird‘ und ‚Real Love‘ gemacht haben?
Ja. Sie haben ihre Sache wirklich großartig gemacht.
Glauben Sie, daß John auch zufrieden damit gewesen wäre?
Ich glaube nicht. John wollte ja nie eine Wiedervereinigung der Beatles. Und das hat er nicht nur einmal betont. Deshalb habe ich mir auch lange überlegt, ob ich die Demos rausgeben sollte. Wer also behauptet, John würde ärgerlich auf mich sein, hat wahrscheinlich recht. Aber persönlich kann ich nur sagen, daß jede Bemühung, Menschen zusammenzubringen, gut ist.
Sie sind 63 Jahre alt. Normalerweise denken Leute Ihres Alters an den Ruhestand. Und Sie überraschen die Musikwelt mit ‚Rising‘, einem Album, das genau den Zeitgeist trifft.
Ich habe solche Musik schon immer gemacht. Ich weiß nicht, ob es moderne Musik ist. Ich glaube eher, daß die moderne Musik jetzt langsam aufholt.
Komischer Zufall, daß Ihr Album genau in der Zeit des größten Rummels um die ersten beiden Beatles ‚Anthology‘-Alben veröffentlicht wurde.
Manche Leute behaupten, es sei gutes Timing gewesen. Aber das ist Quatsch. Die Platte sollte bereits im letzten Sommer herauskommen. Die Leute von der Plattenfirma sagten: „Wir bringen es rechtzeitig vor den Beatles raus“. Und das ist daraus geworden. Nicht, daß ich die Veröffentlichung verhindern wollte, aber ich bin für das Timing nicht verantwortlich.
Sie haben ‚Rising‘ zusammen mit IMA, der Band Ihres Sohnes Sean, aufgenommen. Sean ist ja mit 20 genau im richtigen Alter, um gegen seine Mutter zu rebellieren. Sie scheinen aber ein harmonisches Verhältnis zu haben.
Das liegt wahrscheinlich daran, daß ich jahrelang von der ganzen Welt als Underdog behandelt wurde. Als Sean alt genug war das zu verstehen, hat er geglaubt, er müsse mich beschützen oder meine Ehre retten oder sowas. Das war mein Glück. Hätte ich zum Establishment gehört, hätte Sean auf jeden Fall gegen mich rebelliert.
Ihr Album soll demnächst in einer Remix-Version erscheinen. Thurston Moore von Sonic Youth, Tricky, Ween und die Beastie Boys haben ihre Songs remixed. Haben Sie diese Leute vorher gekannt?
Ich habe Thurston Moore vom Namen her gekannt und von Sonic Youth und den Beastie Boys hatte ich bereits gehört. Aber Ween kannte ich bisher nicht. Aber sie sind alle wirklich großartig.
Interessieren Sie sich eigentlich für zeitgenössische Musik?
Mein Sohn spielt mir immer alle möglichen Sachen vor. Und ob ich’s nun mag oder nicht, ich muß es mir anhören. Er kommt einfach zu mir und sagt: „Hey, hör Dir das an!“
Heutzutage ist in Musik und Kunst alles möglich. Sehen Sie sich immer noch als Avantgarde-Künstlerin?
Ich sehe mich immer noch als Avantgarde-Person (lacht). Wahrscheinlich habe ich eine avantgardistische Seele. Avantgarde bedeutet, hundertprozentig im Hier und Jetzt zu leben und das tue ich in meiner Arbeit…
Da kann man nicht widersprechen…
…und dabei ist es egal, ob diese Arbeit zu Musik, Kunst, Malerei, Zeichnungen, Film oder sonstwas wird. Die Hauptsache ist doch, daß etwas dabei herauskommt.
Ende der 60er haben Sie zusammen mit John Lennon ein neues Friedensbewußtsein in der Welt geschaffen. Hat sich 25 Jahre danach etwas geändert in der Welt?
Ich glaube schon, daß sich viel verändert hat. Natürlich gibt es noch viel Unterdrückung, aber wir haben im Vergleich zu den 6oern einige Fortschritte gemacht. Damals hat nur eine Minderheit über Weltfrieden und Feminismus gesprochen, aber heute gibt es ein weltweites Bewußtsein darüber.
Aber dieses Bewußtsein scheint sich doch noch nicht überall durchgesetzt zu haben, sonst brauchten Sie ja keine Songs mehr darüber zu schreiben, oder? Natürlich gibt es noch viel zu viel; Gewalt, Rassismus und Chauvinismus auf der Welt. Das liegt aber daran, daß wir Menschen sind und Menschen lernen eben sehr langsam (lacht).