Lenny Kravitz: Leder, Lack und der liebe Gott
Auf der Bühne gibt er das Tier. Und für viele ist er ein Sexsymbol. Der wahre Lenny aber ist ganz anders. Denn für ihn spielt der liebe Gott die erste Geige. In New Orleans stellte Michael Weilacher Merkwürden Kravitz die Glaubensfrage.
Die Welt ist wahnsinnig, und Lenny Kravitz weiß es: „Es ist total verrückt. Wir sind so sehr mit uns selbst beschäftigt, daß uns der Blick für das Wesentliche vollkommen verlorengeht.“ Was das Wesentliche ist, daran läßt der einst als die Rock-Entdeckung der 90er Jahre gefeierte Musiker keinen Zweifel: „Das Schöne in uns.“ Oder anders formuliert: der liebe Gott. Denn ER ist es, dem Kravitz, das Bühnentier, neuerdings ganz unverhohlen huldigt. Fast die Hälfte der Songs auf Lennys neuem Longplayer ‚Circus‘ (s. Plattenteil) preist den himmlischen Herrn. Da ist – zu gewohnt derben Gitarren und zu ungewohnt donnernden Drums – von Gottes unerschöpflicher Liebe die Rede, vom Jüngsten Gericht und von der Auferstehung. Und da Lenny, der begehrte Lover, zweifelsfrei zu den Guten zählt, ist Furcht vor der Macht des Allmächtigen nicht seine Sache. So heißt es in dem gottesfürchtigen Poem ‚Beyond The 7th Sky‘: „Now that the time is near/l’m ready I have no fear.“ Unter Angst, so scheint’s, muß Lenny auch nicht leiden. Denn anders als viele seiner Kollegen im sündigen Rock’n’Roll-Geschäft hat der 30jährige Sohn einer schwarzen Schauspielerin und eines weißen TV-Produzenten zum Heiland einen guten Draht: „Das ist so ähnlich, als ob du mit deiner Mutter oder deinem Vater reden würdest.“
Damit der Draht auch ja nicht abreißt, betet Lenny, wo immer er sich gerade aufhält, vorzugsweise aber in seinem gerade gekauften Haus im französischen Viertel von New Orleans. Hierhin, ins schwülheiße, träge Klima von Louisiana, ist der einstige Shooting Star der Rockszene vor der New Yorker Hektik und ihren Beautiful People geflohen. Und damit er in seinem neuen Refugium, das von außen eher einem verrottenden Spekulationsobjekt ähnelt als dem Anwesen eines wohlhabenden Musikers, auch ja seine Ruhe hat, bleiben im Hause Kravitz auch tagsüber die Fensterläden geschlossen. Ist auch besser so. Denn Lenny wohnt zu ebener Erde. Und hätte das gemeine Volk freien Blick in Kravitz‘ vier Wände, könnte manch einer wissen wollen, wer da denn wohl wohnt. Denn in dem Zimmer, das direkt an die Straße grenzt, hat ein eher ungewöhnliches Möbel seinen Platz — ein Altar, vor dem dutzende Kerzen brennen.
Bei so viel Gottesverehrung fragen sich nicht nur chronische Lästerer, wann (zum Teufel) Lennys glühende Liebe zum Heiland entbrannt ist. Die Dame der Plattenfirma, ein nachsichtiges Lächeln auf den Lippen, weiß Bescheid: „Eigentlich“, klärt sie den immer noch staunenden Reporter auf, „hatte Lenny schon immer eine enge Beziehung zu Gott. Nur tritt sie auf der neuen Platte viel deutlicher zutage.“
Was jedoch mindestens so deutlich zutage tritt, ist Kravitz‘ ungebrochener Hang zur Exzentrik. Für den Fotografen posiert er mal in rotem Lack und schwarzem Leder, mal – ein Model an jeder Seite – in hautengem Goldlame. Kaum dezenter auch sein häusliches Outfit. Seinen Gast aus Germany jedenfalls empfängt Kravitz in körpernahen Krokodillederhosen und einem Shirt, das den Blick gewährt auf die blanke Männerbrust. Nicht weniger beeindruckend: die Ringe durch Ohren und Nase sowie Haare bis zum Hintern. Einst als ‚musizierender Wischmop‘ verspottet, ist die Länge von Kravitz verfilzten Dreadlocks inzwischen rekordverdächtig. Wie nun, fragt man sich, passen Lennys Lust am eigenen Kult – Anfang der 90er sorgte seine Sixties-Tracht für ein Revival der Hippiemode – und seine durchaus glaubwürdige Gottergebenheit zusammen? Oder hat das eine gar mit dem anderen zu tun? Lenny, eine Stimme so dröhnend wie die Signale der Ozeanriesen auf dem nahen Mississippi, winkt ab: „Manche Leute interessiert eben in erster Linie, welche Klamotten ich trage, mit welcher Frau ich schlafe und ähnlicher Scheiß.“ Wo er recht hat, hat er recht. Am Ärger mit einer „nicht eben einfallsreichen Journaille“ ist Kravitz allerdings nicht ganz unschuldig. Im Gegenteil: Durch seine bewußt auf erotische Wirkung getrimmte Selbstdarstellung hat er sich selbst zum Sexsymbol hochstilisiert. Mit entsprechenden Folgen. Häufig war in der Vergangenheit mehr über Lennys angebliche Lovestories, zum Beispiel mit Madonna, als über seine Musik zu lesen. Dabei sind es doch gerade seine Songs, die Kravitz besonders am Herzen liegen: „In erster Linie bin ich Musiker, Mann. Mit Ruhm oder ähnlichen Sachen hat das zunächst überhaupt nichts zu tun. Hier in New Orleans zum Beispiel spiele ich manchmal nur so zum Spaß mit ein paar Freunden. Dann halte ich mich meistens im Hintergrund. Denn eigentlich mag ich es gar nicht, dauernd im Vordergrund zu stehen.“
Krokodilleder und großflächige Tattoos, Federboa und eine gewaltige, undurchdringliche Sonnenbrille – alles nur Maskerade also, hinter der sich ein unsicherer, im Glauben Halt suchender Mensch verbirgt? Alles nur ‚Circus‘, wie der Titel von Lennys neuer CD suggerieren könnte? Kravitz selbst bleibt die Antwort schuldig. Und so recht abnehmen mag man ihm die Rolle des „ganz normalen Menschen mit ganz normalen Ängsten“ auch nicht. Dafür scheint der gebürtige New Yorker denn doch zu verliebt in sich selbst und auch in seinen Erfolg zu sein. Anders als seine greinenden Kollegen aus Grunge-Gefilden, die Anerkennung und Geld – schrecklich, schrecklich – zu Tränen treiben, kann Kravitz seinen Ruhm genießen. Mehr noch, er weiß, mit ihm umzugehen: „Wenn ich ein cooler Rockstar wäre, würde ich sagen ‚Ich mache das alles nur, weil es in mir steckt. Wieviele Platten ich verkaufe, ist mir vollkommen egal, und die Kohle interessiert mich auch nicht.‘ Aber bei mir verhält sich die Sache anders. Es ist schön zu wissen, daß eine Menge Leute meine Musik mögen. Und ich weiß das Geld, das ich damit verdiene, durchaus zu schätzen. Es hilft mir, so zu leben wie ich möchte und ist damit ein Stück persönliche Freiheit.“ Daß manch einer mit Ruhm und Reichtum nicht fertig wird, für Kravitz ein tragisches Symptom unserer Zeit. Einer seiner neuen Songs erinnert denn auch, gewollt oder ungewollt, an das Ende von Kurt Cobain. Beseelt vom Gedanken an die „positiven Kräfte, die in jedem von uns stecken“, dichtet Kravitz: „Don’t go and put a bullet in your head/just turn your life around instead.“ Lenny liebt das Leben und genießt „jeden einzelnen Tag“, als ob er der letzte wäre: „Morgen kann alles vorbei sein, Mann. Da muß man doch aus der Zeit, die einem gegeben ist, das Beste machen.“ Nur, was ist das Beste? „Materielle Güter anhäufen und sich damit brüsten jedenfalls nicht“, meint Lenny und lebt es auch vor. Das bescheidene Haus in der Altstadt von New Orleans ist seine erste eigene Immobilie, und auf Luxusspielzeuge wie teure Autos verzichtet er vollends. Statt dessen greift Kravitz, der gläubige Mensch vom Mississippi, gemäß dem christlichen Imperativ ‚Liebe Deinen Nächsten wie Dich selbst‘ anderen finanziell unter die Arme: „Ich unterstütze meine Mutter und meinen Vater, ein paar Freunde, die ich liebe und als Teil der Familie empfinde und natürlich auch meine kleine Tochter, mit der ich zusammen bin, wann immer es möglich ist.“ Zoey ist sechs Jahre alt und stammt aus Lennys Ehe mit der Schauspielerin Lisa Bonet.
Seit die Verbindung 1991 in die Brüche ging, wurden Lenny immer wieder neue Liebschaften angehängt. Kravitz selbst hält sich, was Beziehungen betrifft, äußerst bedeckt. So mag er denn auch die angeblich anstehende Heirat mit der französischen Schlagersängerin Vanessa Paradis nicht bestätigen. Ein Dementi ist ihm aber ebenfalls nicht zu entlocken. Nur so viel: „Wir stehen uns definitiv nahe.“ Aber heiraten? „Wer weiß das schon so genau. Auf der anderen Seite – ich könnte morgen schon wieder verheiratet sein. Um so mehr, weil ich es ganz sicher lieben würde.“
In der Vergangenheit allerdings gestalteten sich dauerhafte Beziehungen für den fleißigen Arbeiter Kravitz eher problematisch. Nach seinem spektakulären Plattendebüt ‚Let Love Rule‘ im Jahr 1989 setzte bei beiden, Fans und Kollegen, eine geradezu ungezügelte Lust auf Lenny ein. Alle wollten möglichst viel Kravitz. Der Grund: Lenny hatte als Komponist, Interpret und Produzent einen Weg gefunden, den Klang der 60er Jahre – Beatles, Hendrix und Curtis Mayfield – mit dem Sound der 90er zu verbinden. Plötzlich begehrt wie kaum ein anderer Musiker schrieb Lenny für Madonna und sang mit Jagger, arbeitete mit Lennon-Witwe Yoko Ono und gab zudem auch noch Konzerte auf allen wichtigen Rockbühnen der Welt. Privatleben? Fehlanzeige! „Ich war ein Meister darin, mich stressen zu lassen“, bemerkt Kravitz rückblickend. Der für Leib und Seele ungesunde Zustand änderte sich erst, nachdem Lenny bei einer Tournee den Alt-Led Zeppelin und Rock’n’Roll-Dinosaurier Robert Plant getroffen hatte: „Robert kam in meine Garderobe und sagte ‚Mann, Du bist so verflucht ernst. Was ist bloß los mit Dir? Das alles hier ist doch nur ein großes Spiel‘. Also, Robert hat’s mir wirklich gegeben. Und das war gut so. Inzwischen sehe ich vieles gelassener.“ Dazu gehört auch, daß Kravitz „nicht mal darüber nachdenkt“, daß viele frühe Fans seiner Musik heute ablehnend gegenüberstehen: „Manche Leute sind eben so hip und so cool, daß sie schon aus Prinzip nicht mehr das mögen können, was alle anderen lieben. Es gibt Typen, die mögen meine Musik nur deshalb nicht mehr, weil sie jetzt so populär ist. Aber das macht mir nun wirklich keine angst.“ Was denn dann? „Schau Dir den Zustand der Welt an, Mann. Die Leute flippen reihenweise aus und drängen Gott an den Rand.“