„Love is the answer“

John Lennon

12 Re-Releases

Apple/EMI

(Wertungen siehe Text)

Das Solowerk eines der größten Rocksänger und Songschreiber als vorbildliche Neuedition: acht reguläre Alben, eine Best-of-Compilation, eine Vier-CD- und eine Elf-CD-Box.

„Christ, you know it ain’t easy, you know how hard it can be/ The way things are going, they’re gonna crucify me.“ Ahnungsvolle Zeilen, die John Lennon in „The Ballad Of John & Yoko“ sang. Es war das Frühjahr 1969, John hatte auf der Suche nach sich selbst Yoko Ono gefunden und sich aus jenem Kokon befreit, der einst Kreativität und Kameraderie verhieß, dem damals 28-Jährigen indes längst zum Knast geworden war. Die Beatles existierten nur noch auf dem Papier, die Kluft zwischen Paul McCartney, dessen Person hinter all den perfekten Pop-Perlen nie zu fassen war, und Lennon, der seine Zerrissenheit, seine Unsicherheit, seine Ängste, seine Liebe und seine Träume offen zur Schau stellte, sein Herz auf der Zunge trug, diese Kluft also wurde immer größer und war am Ende unüberwindbar.

40 Jahre ist es her, dass sich die Beatles getrennt haben, vor wenigen Tagen, am 9. Oktober, wäre John Lennon 70 Jahre alt geworden, vor 30 Jahren, am 8. Dezember 1980, wurde er in New York von einem Verrückten niedergeschossen. Es ist dieses Jahr 2010 also eines der runden Jahrestage – und es gibt schlechtere Gründe, ein derart imposantes Solowerk vorbildlich editiert neu aufzulegen. Acht reguläre Alben, JOHN LENNON/PLASTIC ONO BAND (1970), IMAGINE (1971), SOME TIME IN NEW YORK CITY (1972), MIND GAMES (1973), WALLS AND BRIDGES (1974), ROCK’N’ROLL (1975), DOUBLE FANTASY (1980) und MILK AND HONEY (1984), wurden im Zuge dieses GIMME SOME TRUTH genannten Projekts soundtechnisch auf den neuesten Stand gebracht – mit frappierenden Ergebnissen. Weitere Bestandteile der Veröffentlichungsoffensive sind die Best-of-Compilation POWER TO THE PEOPLE: THE HITS, die Vier-CD-Box GIMME SOME TRUTH sowie die elf CDs umfassende SIGNATURE BOX.

Doch der Reihe nach: Das im Dezember 1970 erschienene JOHN LENNON/PLASTIC ONO BAND ***** darf als frühes Meisterwerk gelten und tönt so lakonisch, so schmerzerfüllt, dass es einen auch nach dem x-ten Anhören noch fröstelt. „Mother“, „Isolation“, „Working Class Hero“ – alles eine einzige Abrechnung mit seinem bisherigen Leben, die schließlich im Unglaubensbekenntnis „God“ gipfelt: „I don’t believe in Beatles, I just believe in me.“ Viel verbindlicher, selbstironischer, versöhnlicher auch – der McCartney-Verhohnepipelung „How Do You Sleep?“ zum Trotz – nimmt sich IMAGINE ***** aus, das Phil Spector weit üppiger, runder produziert hat als das spröde Vorgängerwerk. Der Titelsong mag purer Kitsch sein, doch er ist vor allem eines: eine Hymne für die Ewigkeit. Fortan sollte Lennons Schaffen zunehmend erratischer werden: SOME TIME IN NEW YORK CITY *** bietet außer naiver Polit-Poesie und nicht allzu inspirierten Live-Aufnahmen wenig, MIND GAMES ***1/2* enthält neben dem famosen Titeltrack noch ein paar ganz hübsche, aber zu viele durchschnittliche Songs. WALLS AND BRIDGES ****1/2*, während der 15-monatigen Trennung von Yoko entstanden, hat dagegen mehr Verve, mehr memorable Melodien und mit dem funkigen „Whatever Gets You Thru The Night“ einen veritablen Hit. ROCK’N’ROLL ****, wieder von Phil Spector produziert, ist eine nostalgische Hommage an Lennons Helden von einst: Gene Vincent und Little Richard, Ben E. King und Chuck Berry. Nach der Rückkehr an den heimischen Herd und fünf Jahren Hausmann-Dasein erscheint schließlich DOUBLE FANTASY *****: die Songs inspiriert, das Sequencing paritätisch aufgeteilt zwischen John und Yoko, deren new-wave-inspirierte Tracks ebenso wenig Patina angesetzt haben wie die zeitlosen Songs ihres Gatten. Doch was ein neuer Anfang hätte sein sollen, wird zum Vermächtnis. Das ist jetzt erstmals als Doppel-CD erhältlich – mit dem Originalalbum auf der einen und einem „Stripped down“-Mix auf der anderen Platte. MILK AND HONEY ***1/2*, 1984 erstmals veröffentlicht, ist dagegen ein bloßer Nachschlag mit zwölf weiteren Aufnahmen aus den DOUBLE FANTASY-Sessions.

Bleiben die Kompilationen: POWER TO THE PEOPLE: THE HITS *** geht mit 15 Songs (darunter die Singles „Instant Karma!“, „Cold Turkey“ und „Give Peace A Chance“) und angesichts des Umfangs und der Bedeutung von John Lennons Solowerk nicht einmal als Appetithappen durch. Einen besseren Überblick gibt die Vier-CD-Box GIMME SOME TRUTH *****, die mit 72 nach Themen („Roots“, „Working Class Hero“, „Woman“ und „Borrowed Time“) sortierten Tracks aufwartet. Die Krone indes gebührt der SIGNATURE BOX ******, die auf elf CDs die acht Alben, eine Singles-EP, Demos und Outtakes, einen limitierten Kunstdruck sowie ein Buch mit Fotos, Collagen, Gedichten und Liner Notes von Anthony DeCurtis enthält. A labour of love, und ein würdiger Rahmen für das Werk eines Künstlers, der einst im Song „Mind Games“ seine Lebensmaxime formulierte: „Love is the answer.“

www.johnlennon.com

9. 10. 1940: John Winston Lennon wird in Liverpool geboren.

6. 7. 1957: Beim Pfarrfest im Stadtteil Woolton tritt Lennon mit seiner Band The Quarry Men auf und lernt Paul McCartney kennen.

4. 10. 1962: Die Lennon/McCartney-Komposition „Love Me Do“ kommt als erste Beatles-Single auf den Markt.

20. 03 1969: John Lennon und Yoko Ono heiraten im britischen Konsulat auf Gibraltar.

11. 12. 1970: Lennons erstes „richtiges“ Soloalbum JOHN LENNON/PLASTIC ONO BAND erscheint. Bereits 1968 und 1969 hat er drei nahezu unanhörbare Experimentalwerke mit Yoko Ono sowie die Live-Platte LIVE PEACE IN TORONTO veröffentlicht.

8. 12. 1980 : Vor dem Dakota Building, einem Appartmenthaus am New Yorker Central Park, in dem die Familie Lennon lebt, gibt der geisteskranke Mark David Chapman um 22.51 Uhr Ortszeit vier Schüsse auf John Lennon ab. Der Ex-Beatle stirbt auf dem Weg ins Roosevelt-Krankenhaus.