Zwischen Barbecue und Wolfsstunde


Meet the real Mando Diao! Am besten in Borlänge. Dort können die fünf Großmäuler keinem was vormachen. Das Städtchen kennt seine unverschämt erfolgreichen Kinder einfach viel zu gut. Doch wenn es der Band dort zu idyllisch wird, flüchtet sie nach „Ochrasy". TEXT MICHAEL WOPPERER FOTOS BALDUR BRAGASON

Eine schwüle Julinacht im schwedischen Borlänge. Viertel vor eins. Die einzige Tageszeit, zu der es für ein paar Minuten richtig dunkel wird im seltsamen skandinavischen Sommer. Ein Moderator des Peace &. Love Festivals tritt auf die Hauptbühne, vor der sich mehrere tausend Zuhörer versammelt haben, und kündigt die Heimkehr von Borlänges berühmtesten Söhnen an. Mando Diao stürmen in schwarzen Anzügen auf die Bühne, schnappen sich ihre Instrumente und stürzen sich in eine halsbrecherische Version von „Down In The Past“. Björn Dixgärd singt „It’s true that I’m in for a punch and a blast“, Gustaf Noren schüttelt sein Haupt, CJ Fogelklou springt mit seinem Bass um die beiden Frontmänner herum, Mats Björke grinst selig hinter den Keyboards hervor, Samuel Giers verprügelt mit weit aufgerissenen Augen sein Schlagzeug. Die Mädchen in den ersten Reihen können jedes Wort mitsingen, und Mando Diao spielen, als ob es kein Morgen gäbe.

Drei Songs später das erste neue Stück: „Long Before Rock’n’Roll“. Gustaf und Björn teilen sich das Mikro, Gustaffordert: „Play me some from 1954.'“ „Before Rock’n ‚Roll?“, fragt Björn. „Yeah, before Rock ’n ‚Roll!“, kräht Gustaf, und Björns Stimme überschlägt sich: „Before Rock’n’Roll!“ In diesem Moment sind Mando Diao die beste Band des Planeten. Und Borlange strahlt, seine verlorenen Söhne wiederzuhaben. Am nächsten Morgen ist Gustaf Noren, nachdem er auf der After-Show-Party als Erster die Segel gestrichen hatte, ausgeruht und bester Dinge, seine Besucher durch die vom Festival verkaterte Heimatstadt in der Mitte Schwedens zu führen. „Dieses Konzert war schon etwas ganz Besonderes. Wir haben seit einem Jahr nicht mehr hier gespielt, undin der Zwischenzeit ist so viel passiert. Die Leute in Borlängehaben uns nicht immer so gemocht. Anfangs gab es viel mehr Neid.“ Björn Dixgärd, der erstmal noch ausschlafen muss und als Letzter aufkreuzt, bestätigt das: „Es hat eine ganze Zeit gedauert, bis uns die Leute hier akzeptiert haben. Am Anfangfanden sie uns zu großspurig und waren sauer, dass wir unsere Meinung über an dere Bands gesagt haben.“

Inzwischen genießen Mando Diao Respekt in Borlänge, auch bei den Mitzwanzigern, die sie noch aus der Schule kennen. „Beim Konzert gestern war es unmöglich, sich hinter Sonnenbrillen zu verstecken, wir mussten so sein, wie wir wirklich sind“, erläutert Björn. „Esgab auch keinen richtigen Backs tagebereich, wir liefen einfach so herum. Ich hab’mirin der Garderobe eine Zigarette angezündet, was nicht erlaubt ist. Da hat mich gleich ein riesiges Mädchen von der Security am Arm herausgezerrt und mich angeschrieen: „Ich hab ‚genau gesehen, dass du drinnen geraucht hast! Du darfst da nicht rauchen!“ „Das ist typisch Borlänge.“

Mando Diao haben schon immer furchtbar gerne über Borlänge, ein Städtchen mit nicht einmal 50000 Einwohnern, geredet. Seit den Aufnahmen zu ihrem zweiten Album HURRICANE bar leben alle Bandmitglieder in Stockholm – wann immer sie aber erklären sollten, wer sie sind, tauchte der Mythos vom kriminellen Ghetto der kleinen Industriestadt auf, das die jungen Männer hart gemacht hat. Wenn man heute mit Gustaf und CJ durch die nicht vom Peace &. Love Festival okkupierten Teile von Borlänge fährt, ist von solchen Gangster-Legenden allerdings kaum etwas zu ahnen, zu sehen sowieso nicht. Borlänge ist ein tristes Nest, glanzlos, der Lokalzeitung ist es unter der Überschrift ->

„Deutsche, Deutsche, überall Deutsche“ an diesem Wochenende eine Nachricht wert, dass „acht deutsche Journalisten in die Stadt gekommen sind, um Mando Diao zu treffen „. Abgesehen von der recht bekannten St.-Tuna-Kirche ist die einzige Sehenswürdigkeit die monströse Stahlfabrik, die wegen ihrer weiß-blaugestreiften Fassade hier nur „Pyjama-Building“ genannt wird.

Im südlichen Stadtteil Hyttinq betreibt Björns Mutter einen süßen kleinen Gebrauchtwarenladen, in dem sie Geschirr, Postkarten, Hirschgeweihe und Schallplatten verkauft. Sie begrüßt jeden der Jungs aus der Band liebevoll und bittet alle herein, wo Gustaf kurzzeitig mit dem Doppel-Vinyl „Es löscht das Meer die Sonne aus – Der Montanara Chor mit seinen 24 Welterfolgen“ liebäugelt. „Das war in ihrer größenwahnsinnigen Phase“, scherzt er, „da haben sie versucht, ihr Sgt. Pepper zu machen.“

Die Fahrt führt weiter in den Vorort Romme, zum Torpet, zu Deutsch „Das kleine Haus“, einer Art Jugendclub im Besitz der Gemeinde, in dem Mando Diao einige ihrer frühen Songs, unter anderem „P.U.S.A.“, aufgenommen haben. Ein paar Häuser weiter wohnt Daniel Häglund, der ehemalige Mando-Keyboarder, in dessen Keller BRING ‚em in entstanden ist. „Ichfürchte, er ist immer noch sauer, weil wir ihn aus der Band geschmissen haben“, erklärt Gustaf seine plötzliche Nervosität, „wir haben seit zwei Jahren nicht miteinander geredet. Ich möchte ihm lieber nicht begegnen.Er hat zwei große Hunde.“

Obwohl das Peace &. Love Festival nur einen Katzensprung entfernt ist, liegen doch Welten zwischen Romme und dem gestrigen Triumph – und manchmal vermisst Gustaf Noren die Unbeschwertheit des Probenkellers. „Wir waren jünger, wir waren viel experimentierfreudiger. And that’sthe real Mando Diao! Wenn alles so ernsthaft wird und man anfängt, haufenweise Platten zu verkaufen, verliert man ein hisschen diese Skrupeüosigkeit.“ Als Mando Diao Ende 2005 von ihrer ausgedehnten Europatour zurückkehrten, wollten sie mit ihrer nächsten Platte an den Experimentiergeist ihrer Ursprünge anknüpfen und wieder mehr Wagnisse eingehen. Die Plattenfirma wurde von Anfang an kategorisch von allen Entscheidungen ausgeschlossen, durch die Wahl des Produzenten wollte die Band eine neue Richtung einschlagen. Wunschkandidatwar Björn Olsson.

Herr Olsson ist ein sehr eigentümlicher Charakter. Er lebt mit seinen zwei Frauen auf einer Insel bei Göteborg und nimmt Instrumentalplatten über Seetiere auf. Immer wenn ihm der Stress auf Tour mit seinen bisherigen Bands Union Carbide Productions und The Soundtrack Of Our Lives zu viel wurde, verschwand er an irgendeiner Tankstelle spurlos, schickte aber später stets einen ausführlichen Brief, um sich für seine Flucht zu entschuldigen. Er erzählt gerne, er habe zwei Wochen an Rinderwahnsinn gelitten und das Bett nicht verlassen dürfen; das sei die glücklichste Zeit seines Lebens gewesen.

Gustaf Noren hält Björn Olsson für den „besten Songwriter, den Schweden je hatte, besser als Björn und Benny“. Als Olsson und Mando Diao die Zusammenarbeitbegannen, waren alle Beteiligten begeistert. „Das Tolle war, dass er uns klargemacht hat, dass wir uns mehr trauen sollten, dass wir uns trauen sollten, unseren alten Stil zu verlassen „, erinnert sich Björn Dixgärd. „Wir sollten extremer sein“, sagt Gustaf, „nicht immer nur versuchen, aus allem das übliche Mando Diao zu machen „. Die Probleme fingen wahrscheinlich damit an, dass Björn Olsson erfuhr, dass seine Schützlinge auch außerhalb Schwedens erfolgreich sind, in Deutschland, in Japan. Das schüchterte ihn derart ein, dass er kaum noch Entscheidungen treffen konnte, die ein Produzent eben so zu treffen hat. Er wollte ständig das Studio wechseln, versteckte sich unter dem Mischpult, schlief während der Aufnahmesessions ein. Als er auch noch den Vorschlag machte, die Band nur noch von zu Hause aus per SMS zu instruieren, gingen Mando Diao dazu über, sich selbst zu produzieren.

Wochen später bekam Gustaf ein Paket, das aber an den Autoren Lars Noren adressiert war, der zur Zeit als Schwedens renommiertester Dramatiker gilt. Im Paket befand sich eine unbeschriftete, selbst gebrannte CD, die sich weder auf Gustafs CD-Player noch auf seinem Computer abspielen ließ. Als er die CD am nächsten Tag im Studio einlegte, hörte er das Streicherarrangement zu „The New Boy“, auf das Mando Diao schon lange gewartet hatten – gepfiffen von Björn Olsson.

Inzwischen kann die Band über diese Geschichten lachen. Vier Songs wurden fast komplett aus den Olsson-Sessions übernommen, und ohne seinen Einfluss, da sind sie sich sicher, stünden sie nicht da, wo sie heute sind. „Wir waren auch einfach noch nicht bereit, eine ganze Platte mit Songs wie ‚Amsterdam‘ zu machen „, räumt Björn Dixgärd ein. „Wir hatten zu wenigGeduld“, sagt Gustaf, „aufdieseWeise hätte das Album drei Jahre gedauert. Dafür waren wir zu jung und zu unruhig. Aber wir sind noch nicht fertig mit Björn Olsson. Er wird ein Album mit uns machen, wenn wir geduldiger sind.“

Die nächste gewagte Entscheidung stand an, als Mando Diao in dem winzigen Stockholmer Studio, in dem schon lange ihre Demos und B-Seiten entstehen, alle Aufnahmen in Eigenregie fertiggestellt hatten und der richtige Mann fürs Abmischen gesucht wurde. Sie holten Owen Morris, der die ersten drei Oasis-Alben produziert hat. Die Chemie stimmte sofort, „ich hab’noch nie einen Typen getroffen, der so wild ist wie Owen Morris „, schwärmt Gustaf. „Er ist ein Tier“, sagt Björn, „er trinkt erstmal zwei Flaschen Wein, dann noch fünf Wodka Red Bull, und dann zieht er sich für eine Stunde zurück, mit diesem geheimnisvollen schwarzen Kästchen, das er selbst konstruiert hat, durch das er alle Aufnahmen jagt. Wenn er fertig ist, reißt er die Tür auf und schreit in einer irrsinnigen Lautstärke: GUSTAF! WHAT DO YOU THINK?“

Von den ersten Ergebnissen, „Welcome Home, Luc Robitaille“ und „Long Before Rock’n’Roll“ war die Band restlos begeistert, nur hatten sie es versäumt, einen Vertrag mit Morris abzuschließen. Da er sich für irgendeine heiße Debütplatte in den USA verpflichtet hatte, blieb ihm nichts anderes, als Mando Diao mit der angefangenen Arbeit sitzen zu lassen- und sie waren wieder auf sich alleine gestellt.

Ganz im Norden von Borlänge liegt der Stadtteil Kvarnsveden, in dem Gustaf Noren aufgewachsen ist. Kleine Häuschen, schöne Gärten und ruhige Straßen verleihen dem Viertel den pittoresken Charme einer Zwergensiedlung – das sei aber alles nur Fassade, betont Gustaf. 1989 sei eine Familie hierhergezogen, die den Nachbarn das Leben zur Hölle gemacht habe, allesamt in Mord und Drogenhandel verstrickte Kriminelle, die über Jahre den ganzen Ort terrorisierten. Als die Polizei irgendwann ihren Garten umgegraben habe, sei ein ganzes Waffenlager zum Vorschein gekommen. Gustaf liebt es, solche Geschichten zu erzählen, und man weiß nie genau, was man ihm davon glauben soll. Die Satanisten, die sich regelmäßig auf dem Friedhof von Kvarnsveden treffen, die Gangs, die sich nach den Buslinien „601“ und „605“ benannt haben – in Gustafs Erzählungen wird Borlänge im Nu zu David Lynchs „Twin Peaks“.

Jan Noren und Kerstin Benglsson-Noren wohnen mit ihrer 18-jährigen Tochter in einem dieser netten Häuschen. Zum Peace &. Love Festival sind endlich einmal wieder all ihre Söhne nach Hause gekommen – Gustaf und seine Brüder Victor und Carl, die mit ihrer Band Sugarplum Fairy später am Abend auf einer der Nebenbühnen auftreten werden. Auf dem gestrigen Konzert haben sich wie so oft alle Mando-Diao-Eltern getroffen, um gemeinsam ihre Söhne zu feiern. „Wenn ich das erlebe“, erzählt Mutter Noren, „muss ich oft daran denken, wie ich immer gesagt habe: ,Hör auf mit Gitarrespielen und mach deine Hausaufgaben!‘ Gustaf hat dann meistens geantwortet: Jaja, genau das hat John Lennons Mutter auch immer gesagt.‘ Wir dachten, er spinnt eben ein bisschen.“ An Selbstbewusstsein hat es dem heute 25-Jährigen nie gemangelt, und sich darzustellen war wohl schon immer sein liebster Zeitvertreib. „Er war immer ein Schauspieler. Er war Charlie Chaplin, er war Robin Hood, er war Maradona. Er ist immer gern in Rollen geschlüpft. Als er neun Jahre alt war, hatte er in einer Theatergruppe in Borlänge einen langen Monolog zu sprechen, und als ich ihn fragte, ob er nicht aufgeregt sei, meinte er nur: „Nein, ich mag das, vor einem Publikum zu stehen.“

Dass man mit solch einem Ego auch Ärger heraufbeschwört, bekamen Gustafs Eltern vor vier Jahren erstmals am eigenen Leib zu spüren: Nachdem die großmäulige Äußerung, das Mando-Debüt bring ‚em in sei besser als alles von The Who und den Kinks, in allen Zeitungen erschienen war, stand bei Norens mehrere Tage das Telefon nicht mehr still. „Es ärgert mich, dass so viele Leute denken, Gustaf sei ein Idiot. Aber er wollte eben immer provozieren. Ersagteinfach, was ihm gerade einfällt. Und die Leute nehmen das so ernst: ,Er muss verrückt sein, er sagt, er sei besser als die Beatles!‘ Ich kann ihn verstehen, denn in Schweden sind heute alle Bands sehr alt, sehr intellektuell, sehr arty. Junge Bands wie in den 6oern oder wie Oasis haben kaum eine Chance. Es gibt Hunderte gute Bands, die keiner wahrnimmt. Ich glaube, Mando Diao bekamen gerade deshalb Aufmerksamkeit, weil sie so laut waren. „Dass Gustaf das aber auch genau so kalkuliert hat, glaubt seine Mutter nicht. „Das war bestimmt nicht so geplant. Er hat einfach gesagt, was er gedacht hat.“

„Gustaf hat mir erzählt“, sagt Jan Noren, „dass er auf der Bühne manchmal einen mentalen Zustand erreicht, in dem er komplett die Kontrolle verliert und sich nach dem Gig nicht mehr erinnern kann, was er getan oder gesagt hat.“ Für solche Zustände haben Mando Diao jetzt auch einen Namen: „Ochrasy“ -ein Wort, das Björn Dixgärd sich ausgedacht hat für all das, was er und seine Bandkollegen zwischen zwei und sechs Uhr morgens erleben. „Die Wolfsstunde“ , erläutert Gustaf, „dort leben wir, außerhalb der Gesellschaft. Zwischen zwei und sechs passiert ein Haufen Scheiße, von dem die normalen Leute nichts mitbekommen. Deshalb müssen wir ihnen davon berichten. Es gibt in diesen Stunden keine Regeln, es gibt nur Wahnsinn, und wir sind die einzigen sehenden Menschen da draußen.“

All die Figuren, all die Geschichten, von denen Mando Diaos neue Songs handeln, entstammen dieser fantastischen Halbwelt, die man wohl erst so recht versteht, wenn man den skandinavischen Sommer erlebt hat, in dem Tag und Nacht ineinander verschwimmen wie die traumhaften Illusionen und die exzessive Realität in dieser Vorstellung von Ochrasy. „Viele Bands haben ihr eigenes Ochrasy. Die Beatles hatten Pepperland, der Wu-Tang Clan hatte die 36 Chambers. Kürzlich hat uns ein Journalist gefragt: ,Ochrasy, ist das eine Art Albion?‘ Das fand ich witzig, es scheint, als ob Pete Doherty auch sein eigenes Ochrasy hat. Ich mag es, wenn Leute sich so etwas ausdenken. Aber Ochrasy ist auf keinen Fall ein Land, mit einer Landkarte, einem König oder einer Königin. Es ist eher eine Geisteshaltung.“ Esist aber auch eine eigene Welt, eine Welt, die genau fünf Bewohner hat. „So war das immer, wir haben keine Freunde außerhalb von Mando Diao, wir haben kaum Kontakt zu anderen Bands. Mando Diao ist eine sehr enge Gemeinschaft, unsere eigene Welt mit unseren eigenen Regeln. In Mando Diaos Welt darf man überall rauchen. In Mando Diaos Welt darf man sehr viele Dinge, die man anderswo nicht darf.“

Wenn man eine samstagnachmittägliche Rundreise durch die Umgebung von Borlänge erquicklich beenden möchte, könnte es keinen besseren Platz geben als das idyllische Moje, wo Samuel Giers‘ Eltern leben, in einem bis ins Detail typisch schwedischen Haus. Magnus Giers freut sich, mal wieder seine in den zoern bei Siemens in Erlangen erworbenen Deutschkenntnisse anzuwenden. Tourmanager Carlos kümmert sich ums Barbecue, seine Kinder spielen im Garten mit den großen Ballons, die auf der nächsten Tour Teil der Bühnenshow sein sollen. Die Band trinkt BieT, die Menschen von der Plattenfirma Champagner. Irgendwann legt jemand ODE TO OCHRASY auf, die Platte, die jetzt endlich fertig ist, geschrieben, gespielt, produziert und gemixt von Mando Diao, und sie klingt noch mal ganz anders in der Sonne in diesem mit purer Entspannung aufgeladenen Garten weit außerhalb der Stadt, weit weg von all den nächtlichen Exzessen, von denen ihre Lieder handeln.

Mando Diao haben sich bewegt in den letzten Jahren, sie sind nicht mehr die jungen Kerle, die hier in Borlänge zu Hause waren, die bedenkenlos drauflosgelärmt haben und glaubten, sie seien größer als alle anderen. „Das Wichtige ist, dass man anfingt, solang man jung ist, und die Fehler macht, die man machen sollte“, resümiert Gustaf Noren: „Auf bring ‚em in haben wir Fehler gemacht. Ich mag bring ‚em in genau deshalb, weil darauf so viele naive Fehler sind, sie hat Kinderkrankheiten. Das war auch immer, warum ich definitely maybe so mochte, da sind manche Texte so bescheuert. Die ersten beiden Alben von Oasis sind kein bisschen intellektuell, sie hatten ein Gespür für Melodien, aber sie sind sehr ungeschliffen. Es hat immer irgendetwas gefehlt, und das hat es so charmant gemacht.“

Diesen Punkt jedoch versuchten Mando Diao mit ihrem zweiten Album verfrüht zu überwinden. Mit dem Ergebnis, dass hurricane bar etwas zu glatt geriet, zu sauber, zu aufgeräumt. „Genau so haben wir das nach einer Weile auch empfunden „, sagt Samuel Giers, „ungefähr sechs Monate, nachdem die Platte rausgekommen war. Es ist ein wirklich gutes Album, die Songs sind wirklich gut, aber die Produktion warnicht so gut, wie sie hätte sein können. „Vielleicht mussten deswegen so viele Leute Mando Diao erst dreimal im Konzert erleben, bis sie wirklich Feuer fingen. „Das wird bei diesem Album wieder dasselbe sein“, istsich Gustaf sicher, „wir müssen den Leuten wirklich die Knarre an den Kopf halten, um sie verdammt noch mal zu überzeugen: Wir sind gut! Die Leute lesen etwas über uns und dann denken sie: Ah, die großmäuligen Alleswisser aus Schweden mal wieder.“

Genau dieses Image hat Gustaf selbst perfektioniert in den letzten Jahren. Der Junge, der Charlie Chaplin war, Robin Hood und Diego Maradona, ist zum perfekten Gustaf-Noren-Darsteller geworden. Ob das nützt oder schadet – für ihn ist es eine Notwendigkeit. „Man muss sich eben ein Schutzschildschaffen. Wenn man mit einer Band aufTour geht, wird man eine härtere, aggressivere, arrogantere Person. „Gleich der erste Satz auf ODE TO OCHRASY, „Smile, you’re on TV again“, erzählt davon. „Man muss immer ein bestimmtes Gesicht aufsetzen. Im Rockbusiness istesfreilich das Gegenteil eines Lächelns. Wenn man lächeltjotografiert niemand. Sie warten zehn Stunden, bis einer wütend schaut, dann fotografieren sie. Wenn von uns Pressefotos gemacht werden, muss ich immer an Weihnachten denken, wenn deine Mutter sagt, du sollst lächeln. AufWeihnachtsfotos sehen immer alle glücklich aus, aberfiinfMinuten vorher waren sie alles andere als glücklich. Für das Foto müssen sie lächeln. Wenn sie lächeln, sind sie eine glückliche Familie.“

Mando Diao sind immer eine Band gewesen, die sich zur Hälfte über diese Art der Selbstdarstellung definiert hat, Attitüde ist ein fester Bestandteil ihres Selbstverständnisses. „Wo wir herkommen, ist Attitüde sehr,sehr wichtig“, erzählen sie gerne, „Muhammad Ali, ‚Scarface‘ und Tupac haben uns schon immer mehr beeinflusstals Freud, Kafka oder Strindberg.“ Am Ende ist es immer eine Rolle, eine Maske, die zum notwendigen Bestandteil einer Inszenierung wird. „Wenn man bei Rock am Ring auf der Bühne steht, ist es unmöglich, keine Rolle zu spielen, einfach weil so viele Leute da sind. Dafiihlt man sich wie ein Politiker oder wie der Papst. Also schlüpft man in eine Rolle. Gestern in Borlänge- da ging das nicht, weil die Leute uns wirklich kennen. Da muss ich the real Gustaf Noren sein.“

Gegen zwei Uhr Frei tagnacht, kurz bevor es schon wieder hell wird in Schweden, bittet Gustaf Noren die Peace-&.-Love-Crew, die Lichter auszumachen. „Das nächste Stück ist eine Geschichtefür Kinder. Sie ergibt eigentlich keinen Sinn. Aber sie ist wichtig. „Nur zur Begleitung von Mats Björkes Orgel singt er auf den Knien: „I aim at the first one who’ll dare to stand still. Oh Lord, your tension is making me ill. You ‚ve got no friends in your home, you’ve got no family stone. You can’t go: yeah yeah yeah. Yeah Yeah Yeah.“ Als das Licht angeht und sich Mando Diao mit überwältigender Wucht in „Sheepdog“ stürzen, ihren ersten und immer noch größten Hit, sind sie in Ochrasy angekommen. Und Ochrasy ist in diesem Moment ganz offensichtlich ein weiterer Stadtteil von Borlänge. www.mandodiao.com