Zwei Schnaps bitte!
Weil Hedonismus zum großen Geschäft geworden ist, macht der frühere Techno-Musiker Sascha Ring auf seinem neuen Album mit Apparat jetzt etwas anderes: Auf The Devil’s Walk gibt es richtige Songs zu hören. Mit Gitarre.
Was im ersten Moment wenig spektakulär klingt, ist dennoch sorgfältig vorbereitet und einen Schritt weiter als das, was sich „natürliche Kontemplation“ nennen ließe. Man könnte sagen: „Ja, der Sascha, der hat keine Lust mehr auf Tracks und deswegen schreibt er jetzt Lieder, hat eine Band – die Apparat-Band – und singt plötzlich wie eine Fan-Version von Thom Yorke. Ist halt so.“ Da Apparat aber ein nachdenklicher Typ ist, der The Devil’s Walk als Verbeugung vor Percy Bysshe Shelleys gleichnamigen Gedicht aus dem Jahre 1812 begreift, ist es gerade nicht „halt so“. Wie könnte man sonst folgende Verpuppung erklären: Aus einem Sound für die Tanzfläche ist atmosphärischer Sci-Fi-Soul mit Dream-Pop-Sigur-Rós-Anleihen geworden.
Bereits vor sechs Jahren äußerte sich Ring wenig eindeutig als jemand mit „Bock auf richtig Schwitzen und Energie auf der Bühne, puren Rock eben“. Doch trotz Sehnsucht nach Tamtam – „die ganze Proberaumorgie“ empfindet er als nicht erforderlich. „Man schickt Files hin und her, jeder macht sich seinen Kopf dazu, und am Ende trifft man sich und bringt es zusammen“. Das war 2005. Heute, nach Aufnahmen im mystifizierten Peel-Sessions-Keller und einer unglaublich erfolgreichen Kooperation mit Modeselektor und überall auf der Welt gespielten Konzerten, ist Sascha Ring nun angeblich das, was man so schön als „erwachsen“ und „gereift“ bezeichnet.
Möchte man die Track-Song-Veränderung weiter nachvollziehen, kommt man an Rings Verhältnis zu Berlin nicht vorbei. „Das, was ich vorgefunden habe, als ich vor 13 Jahren hierhergezogen bin, gibt es halt so nicht mehr. Das war damals eine hedonistische Feierkultur, die allumfassend war. Jetzt ist es ein großes Geschäft geworden. Ich finde diese Entwicklung ein bisschen schade und deswegen ist diese ganze Club-Kultur eigentlich relativ uninteressant für mich geworden.“ Stellen sich dann auch noch Ängste ein, etwa durch eine drohende Stagnation in der elektronischen Soundentwicklung, nimmt die Transformation in das Reich der gesungenen Gefühle ihren Lauf. Die Veränderung des Sascha Ring ist kaum besser zusammenzufassen als in folgenden Zeilen, gefunden auf dem Blog „Schallgrenzen“: „Schimpfwort des Jahres? Tanzflächenorientiert. So hasse ich beispielsweise diesen ganzen seelenlosen, stumpfen Techno, von wem auch immer, ziemlich inbrünstig. Ohne Gitarre? Besser nicht.“ Der Song „Black Water“, Vorbote zu dem im Spätsommer via Mute Records erscheinenden Album The Devil’s Walk, ist dennoch großartig.
Albumkritik S. 92