Zwei Fäuste für die Stones


Beck, die Eels, Hanson und sogar die Rolling Stones. Sie alle sagen: In Dust we trust - und lassen sich vom derzeit heißesten Produzenten-Team der Szene betreuen. Nur: Wer zum Teufel sind die Dust Brothers eigentlich?

Sie sind ein seltsames Paar: Mike Simpson, der schlaksige HipHop-Fan aus New York City, und John King, der Dead Kennedys-Fan von der Ostküste. Der eine (Mike) schmückt sich selbst unter der sengenden Sonne Kaliforniens mit wollsockener Kopfbedeckung, Dreitagebart und schickem B-Boy-Outfit. Ganz anders John, der mit unauffälligem Kurzhaarschnitt und verwaschenen Klamotten fast schon erschreckend normal aussieht.

Begegnet sind sich die beiden Endzwanziger vor knapp zwölf Jahren in einem Plattenladen des New Yorker East Village. Beim Durchstöbern verstaubter Vinyl-Scheiben entdeckten sie die berühmten gemeinsamen Interessen und trafen den folgenschweren Entschluß, ihr Hobby zum Beruf zu machen. Mike und John wollten das werden, was George Martin und Phil Spector für die Sixties, Tony Visconti und Nile Rodgers für die Seventies und Rick Rubin/Russel Simmons (Def Jam) für die 8oer waren: die heißesten Produzenten ihrer Dekade. Und diesen Vorsatz haben sie längst realisiert. Vergeßt die alten Herren des Grunge (Vig, Albini, O’Brien, Wallace) -wenn jemand den Sound der heutigen Jugend auf den Punkt bringt, dann die Dust Brothers. Mike und John reiten auf der „New Wave Of Cool“. Sie sind ebenso hip wie Quentin Tarantino, lrvine Welsh(„Trainspotting“), Mo‘ Wax.X-Large oder Tamagotchi-Eier. Schließlich haben sie den Sound der Stunde und das Gespür für todsichere Hits.

Dabei hatte alles mehr schlecht als recht begonnen – mit dem Mainstream-Rap von Youne MC, für den sie zwei Alben produzierten. Musik, die keinen in teressierte, kein Geld und schon gar keinen Ruhm einbrachte. Doch dann kam ihnen die zündende Idee: Sie sampelten ein Riff aus Van Halens Jamie’s Crying“ und verfremdeten es so lange, bis daraus „Wild Thing“ wurde, der ’88er Überhit von Tone Loc. Unter der anschließenden Flut von Offerten war auch eine Anfrage der Beastie Boys, die gerade von Brooklyn nach Atwater/Los Angeles gezogen waren. Die Dust Brothers ließen sich nicht zweimal bitten und folgten ihnen nach Kalifornien. Doch „Paul’s Boutique“, ein Werk, das im Juli ’89 erschien, erwies sich als klassischer Flop. Dabei war es seiner Zeit um Jahre voraus. Das Duo nahm eine kreative Auszeit und widmete sich vornehmlich lokalen Acts. Bis irgendwann Beck Hansen auftauchte, um die Dust Brothers für „Odelay“ anzuheuern. Von da an ging es Schlag auf Schlag: erst Hanson, dann die Rolling Stones.

Dabei hegen weder Mike noch John sonderliche Sympathie für erdigen Rock’n’Roll, wie sie dem US-Magazin „Details“ verrieten. John: „Ich habe nicht ein einziges Album von denen und kann auch nicht behaupten, daß wir große Stones-Fans wären. Aber Mick hat uns nach New York gebeten, um uns einige Demos vorzuspielen“. Und die haben Mr. Simpson so gut gefallen, daß er unlängst gar eine Vinyl-Version des’78er Stones-Epos „Some Girls“erstand.“Mick hat definitiv seine Hausaufgaben gemacht“, schwärmt er. „Er kannte’Odelay‘, und die Songs, die er uns vorspielte, lagen voll auf unserer Wellenlänge.“ Also willigte man ein, den Vortrag der ergrauten Herrschaften mit Samples und Loops zu verfeinern – zumindest teilweise. Denn auf „Bridges To Babylon“(so soll das neue Stones-Album lt. Plattenfirma heißen) werden sich voraussichtlich nur drei von insgesamt sechs Dust Brothers-Tracks wiederfinden: die erste Single „Nobody Seen My Baby“, das balladeske „Already Over Me“ und ein Track namens „The Saint“. Die übrigen – einer mit Keith an den Vocals – sollen für B-Seiten aufgespart werden. Dabei gab es mit dem trinkfesten Gitarrero ein kleines Kommunikationsproblem, wie John verrät: „Ich verstehe kaum ein Wort von dem, was er sagt. Das ist eine richtige Barriere. Ich kann ihm Vorschläge machen,

aber ich weiß nie so recht, ob er damit einverstanden ist.“ Daß die Zusammenarbeit dennoch funktionierte, beruhte denn auch mehr auf blindem musikalischem Verständnis als auf wortreichen Diskussionen zwischen Keith, Mike und John.

Obwohl beide Seiten mit dem Ergebnis mehr als zufrieden sind, behält sich Dust Brother John weitere Produktionen dieses Kalibers vor:“Momentan rufen uns jede Menge große Namen an. Aber ich bin einfach so beschäftigt, daß ich sie nie zurückrufe. Da war zum Beispiel dieser berühmte Singer/Songwriter aus den 6oern, der unbedingt mit uns arbeiten wollte. Also schickte er mir seine Tapes, die ich mir aber nie angehört habe. Nach zwei Monaten hat er mich dann gebeten, ihm doch bitte das Material zurückzusenden, ich glaube, ich habe keinen besonders guten Eindruck gemacht.“

Doch wer so hip ist, kann es sich leisten, Jobs zurückzuweisen und ein spleeniges Geschäftsgebaren an den Tag zu legen. Schließlich sind die Produktionen der Dust Brothers unverkennbar: Die beiden haben eben genau das richtige Händchen für signifikante Loops, ungewöhnliche Samples und gewagte Soundpartikel. Auf den von ihnen betreuten Alben wirkt der Dust Brothers-lnput wie eine Lage feiner Goldstaub: etwa die atmosphärischen Geräusche auf „Beautiful Freak“ (Eels), die grandiosen Samples auf „Paul’s Boutique“ (Beastie Boys), die groovigen Hooks und süffisanten Licks auf „Middle Of Nowhere“ (Hanson) oder die verwobenen Soundcollagen und lustigen Effekte auf „Odelay“ (Beck). Coole Spielereien, die von eigenem Stil zeugen. Eine wundersame Ausnahme in einer Zeit identitätsloser Massenproduktionen. Beklaue die Geschichte, denn dazu ist sie da. Die Dust Brothers sind die Könige unter den Leichenfledderern-erlaubt ist, was gefällt und halbwegs skurril klingt.

Die Dust Brothers haben die Pop-Welt revolutioniert“, meint denn auch E von den Eeels.“Sie bedienen sich bei der Vergangenheit und schaffen daraus etwas ganz Neues. Sie sind sehr kreativ. Nimm doch nur ‚Wild Thing‘ von Tone Loc: Sie haben dieses Van Halen-Riff solange verfremdet, bis daraus ein völlig neuer Song entstanden ist. Für mich ist das ein ganz legales Vorgehen:Sei originell und bewegedich nach vorne!“ Und das haben die Dusts stets beherzigt. Gerade auf Becks „Odelay“ konnten sie sich so richtig austoben. Verfremdete Loops, so weit das Fassungsvermögen reicht. Von den merkwürdigen Frogs über James Brown, Pretty Purdie, Monk Higgins & The Specialties, Mike Millius bis hin zu Laurindo Almeida & The Bossa Nova All Stars – die Musikgeschichte ist wie ein Gemischtwarenladen, der nur dazu geschaffen wurde, um sich nach Herzenslust in ihm zu bedienen.

Daß sie aber nicht nur recyclen können, sondern auch eine goldene Nase für das Potential eines Musikers besitzen, haben Mike Simpson und John King unlängst mit Hanson bewiesen. Den drei Grünschnäbeln aus Tulsa/ Oklahoma schneiderten sie einen adretten Alternative-Sound auf den Leib und erlebten mit der Single „MMM Bop“ sowie dem Album „Middle Of Nowhere“ den bisherigen kommerziellen Höhepunkt ihres Produzentenschaffens. Das mag nach ideellem Ausverkauf riechen aber nicht für die Dust Brothers. Schließlich sind die drei Hanson-Boys kein Kunstprodukt: Sie können bereits auf zwei Indie-Alben zurückblicken und tingeln schon seit Jahren durch die Provinz. Und während Zac, Taylor und Isaak im Dust-Pool planschten, haben die Hausherren heimlich gekifft – man hat schließlich eine Vorbildfunktion. Mike: „In den Pausen haben wir uns immer in ein Schlafzimmer verzogen und den Bong rausgeholt.“

Dabei beschränkte sich der Aktionsradius der ungleichen Brothers jahrelang auf einen kleinen Flecken Erde in East-Hollywood, den Stadteil Silver Lake, das Mekka der kalifornischen Alternative-Szene. Billige Mieten, eine gesunde Club-Szene und trashige Boutiquen zogen dort vor allem Bands aus der Indie-Alternative-Ecke an: Geraldine Fibbers, Extra Fancy, Toucheandy, Possum Dixon oder die Eels. Wer etwas auf sich hält, zieht ins hippe East End.“Vor drei Jahren konntest du hier in einen Supermarkt gehen und hast garantiert niemanden getroffen, den du kennst. Jetzt ist es fast so, als ob du in Johnny Depps Disco’Viper Room‘ gehst“, erregt sich Mike.

Die Brothers pflegen weiterhin intensiven Kontakt zur Szene. Etwa zum schlaksigen E.der mit seinen Eels jahrelang vor sich hin dümpelte, ambitionierte Alben veröffentlichte, aber keinen müden Cent einheimste. Mike tat er so leid, daß er dem schüchternen Jungen mit den schlecht gefärbten Haaren und den dicken Brillengläsern beim Produzieren und Mixen von „Beautiful Freak“ half und ihm einen Plattenvertrag mit dem neuen Geffen/Spielberg-Label „Dreamworks“ verschaffte. Der Zeitpunkt war günstig: Die Company hatte Geld, brauchte talentierte Acts und bewies Mut zum Risiko. Simpson sprach vor und wurde gleich als A & R-Mann verpflichtet. Sein erstes Signing, die Eels, zählen zu den Shootingstars des letzten Jahres und verhalfen „Dreamworks“ zu einem glänzenden Start. Dabei haben die Brothers längst ihr eigenes Label: Nickelbag Records.

Hinter der wohlklingenden Anschrift 4470 Sunset Blvd. verbirgt sich ein winziges Office, das eigentlich nur aus Schreibtisch,Telefon, Fax und Computer besteht. Hier residiert Linda Fulkerson, die rechte Hand des Duos und Ansprechpartnerin in allen Belangen. Die Brothers selbst sind nur selten vor Ort anzutreffen, sie arbeiten nach dem Leiharbeiter-Prinzip – heute in den sündhaft teuren Ocean Way Studios, dann wieder im PCP Lab, im G-Son oder sonst einem Studio, in dem ihre Dienste gerade gebraucht werden. Im eigenen, spartanisch eingerichteten Homestudio bearbeiten sie höchstens Demos. Etwa von Sukiajenem durchgeknallten Projekt um ex-Kinderstar Ross Harris („Unsere kleine Farm“), für das Simpson/King nicht nur als Produzenten, sondern auch als Geldgeber fungieren. Und das bringt den verschrobenen Musikgeschmack der Brothers auf den Punkt: Surf-Punk, Lounge-Music, Easy-Listening, Rap. Sukia aus Camarillo haben ein ausgesprochenes Faible für antiquierte Keyboards, Drumcomputer, Casios, Congas, Kirchenorgeln und bizarre Vocal-Samples. So klingt denn auch das Ergebnis ihrer Arbeit mit den Brothers wie die Schnittmenge aus Henri Mancini und Man Or Astroman – wie der ganz normale Wahnsinn eben.

Dennoch sind Simpson & King noch längst nicht am Ziel ihrer Träume: Irgendwann wollen sie ein eigenes Album aufnehmen und den Schritt von den Reglern vors Mikro wagen. Zwar haben die beiden Soundtüftler noch keinen Schimmer, wie das klingen könnte. Sicher ist aber, daß sowohl Beck als auch Eels-Chef E mitwirken wollen. Am Geld dürfte das Traumprojekt kaum scheitern. Noch zwei, drei Produktionen vom Kaliber Rolling Stones, und die Dusts haben genug Kohle, um den Rest ihrer Tage mit den schönen Dingen des Lebens zu verbringen: mit Wasserpfeifen, alten Autos und schönen Frauen.