Zuviel? Gibt es nicht …
Sufjan Stevens
The Age Of Adz
Asthmatic Kitty/Soulfood
*****
Der kleine König des Folk-Pop hat ein großes Stück Hypermusik mit zahlreichen Elektro-Verweisen produziert.
Mit gutem Grund hat Sufjan Stevens den einzigen Sufjan-Stevens-Folksong gleich an den Anfang des Albums gestellt, denn Stammkundschaft ist ein sensibles Volk, das sanft an die neue Produktpalette herangeführt werden will. „Futile Devices“ huscht über die Kurzstrecke von zwei Minuten und 14 Sekunden mit verträumt kreiselnden Gitarren dem ersten Beat-Spektakel aus der Häckselmaschine entgegen. Auf „Too Much“ darf man nachhören, wie Stevens die Hip-Hop-Beats biegen und dem finalen Gameboy-Geballer entgegensingen kann. Womit wir beim vielleicht meist-herbeigesehnten Album des noch jungen Jahrzehnts wären – fünf Jahre nach dem letzten regulären Geniestreich COME ON FEEL THE ILLINOISE und nur ein paar Tage nach der ankündigungsfrei dahin geworfenen Download-EP ALL DELIGHTED PEOPLE. Was würde Sankt Sufjan 2010 sein: ein wagnerianischer Streicherpop-Meister aus New York, ein elektronischer Raumausmesser in den eigenen vier Wänden, ein christlicher Troubadour im dafür nicht ausgeschriebenen Indie-Rock? THE AGE OF ADZ hat von allem etwas und offenbart einen Wust an Einflüssen und Texturen, eine Sammlung von Ideen und Irrsinn, die mit einem 25-Minuten-Track namens „Impossible Soul“ abgeschlossen wird, einer von Blaskapellen flankierten Minioper mit Vocoder-Gesängen. Die neuen Arbeiten verabschieden den alten Sufjan nicht ganz, es gibt Momente in „I Walked“ und „Get Real Get Right“, in dem das Bewährte verarbeitet, sodann von einem vollelektronischen Orchester in den Orbit katapultiert wird. Bei „Age Of Adz“ geht Stevens noch einen Schritt weiter: So eine Art Das-Imperium-schlägt-zurück-Special-Effects-Soundtrack, der von elektronischem Rambazamba und ein paar Heldenchören gestemmt wird, und achja, ist das der junge Prince, der da singt? Verwandlung und Verunsicherung sind Themen des Albums. In welcher Etappe des göttlichen Masterplans wir uns wohl befinden? Kurz vor dem Erdenknall oder im Vorraum zum ewigen Leben? Endlich kann die Diskursmaschine wieder angeworfen werden, Sufjan Stevens stellt sich dem Kreuzverhör der Exegeten: Ist er jetzt privatistischer, pathetischer oder apokalyptischer geworden? Und was bedeutet die Coverzeichnung des Outsider-Künstlers Royal Robertson (1936-1997)? All das ist der natürliche Wurmfortsatz dieses großen Stückes Hypermusik, das auf die eher der Hardcore-Fanschaft bekannten Nischen des SJ-Universums (ENJOY YOUR RABBIT) verweist, zur gleichen Zeit aber das letzte Pop-Jahrzehnt im Schweinsgalopp mitnimmt. Dass das viel zuviel ist, keine Frage. Aber es gibt auch derzeit niemanden, der dieses Viel-zu-viel in solch einem himmelhochjauchzenden Gesumse, in solch einem hochauflösendem Gedudel verarbeiten kann.
Artverwandtes: Sufjan Stevens Enjoy Your Rabbit (2001) Fol Chen Part II: The New December (2010)
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