Zum Tode von Grant Hart: Hüsker Dü und die Stunde Null des Indie-Rock.
Ein ME-Helden Feature über Hüsker Dü mit dem verstorbenen Grant Hart aus der August-Ausgabe des Musikexpress. Die Band Hüsker Dü ist eine komplizierte Geschichte.
Das eigentliche Wunder vollbringt jedoch Grant Hart, seine beiden Songs „It’s Not Funny Anymore“ und „Diane“ sind die absoluten Highlights der EP, „Diane“ ist der erste echte Bandklassiker, eine Erzählung über den Mord an einer Kellnerin aus St. Paul im Jahr 1980. In „Metal Circus“ ist ZEN ARCADE bereits angelegt, doch das Album geht ein Jahr später deutlich über alles hinaus, was Punk und Hardcore bis dahin zu bieten haben. Mould denkt groß: Ein Konzeptalbum schwebe ihm vor, sagt er in einem Interview, er hat dabei QUADROPHENIA und SGT. PEPPER im Kopf. Der Plot: Ein smartes, noch sehr junges Computergenie verlässt seine kaputte Familie und zieht ins Silicon Valley, um dort mit seinem Videogame „Search“ berühmt zu werden. ZEN ARCADE wächst zum Doppelalbum, Mould singt Songs über den Umgang mit der Homosexualität („The Biggest Lie“) und – auf der akustischen Folk-Ballade „Whatever“ – die Beziehung zu seinen Eltern. Die Wut ist nicht verschwunden, es kommen aber weitere Stimmungslagen hinzu: ein Sinn für Schönheit und Verzweiflung, dröhnender Pop und psychedelische Momente. Für eine Single covern Hüsker Dü „Eight Miles High“ von den Byrds, das ZEN ARCADE-Schlussstück „Reoccuring Dreams“ läuft fast 14 Minuten. Hardcore hat die 60er-Jahre in der Regel komplett ignoriert, Hüsker Dü legen die Bezüge offen. Und wieder schreibt Grant Hart zwei fantastische Songs: Was wäre ZEN ARCADE ohne „Turn On The News“ und „Pink Turns To Blue“?
Wie dogmatisch der Hardcore damals ist, zeigt die Angst der Band, ihr Doppelalbum könnte floppen, Melodien und Offenheit sind ein Risiko in dieser Szene. Doch Hüsker Dü wird der Underground zu eng, die Band will ihre Hörerschaft ausweiten: ZEN ARCADE ist das erste Album der Band für das Krachlabel SST, und es zeigt auch für diese Plattenfirma einen Weg hinaus aus der Szene, hinein in den Mainstream, in dem sich ein neuer Seitenarm entwickelt, für den musikalische Kompromisslosigkeit und Erfolg keine Widersprüche mehr sind. Bands wie R.E.M. oder Sonic Youth segeln auf ähnlichem Gewässer, es beginnt die Zeit, in der in den USA ein Gitarrenmeisterwerk nach dem anderen erscheint – was auch am irren Tempo der Bands liegt. Hüsker Dü sind hierfür das beste Beispiel, 1985 erscheinen gleich zwei Alben, NEW DAY RISING und FLIP YOUR WIG, innerhalb weniger Monate haben sich Hüsker Dü ein Denkmal gebaut, Mould ist gerade mal Mitte 20, Hart und Norton sind nur unwesentlich älter.
Was sollte denn noch von der Band übrig bleiben, wenn sie ihre Platten nun auf dem gleichen Label veröffentlicht wie Prince oder Madonna?
Hüsker Dü denken groß, und das verlangen sie auch von ihrer Plattenfirma. Bei SST hängen eine Menge guter Typen rum, dennoch ist das Indie-Label mit dem exzellenten Ruf nicht in der Lage, die große Nachfrage nach den drei gigantischen LPs zu erfüllen. Zudem stößt das DIY-System der Band an seine Grenzen, bislang ist Norton der zuverlässige Fahrer, Hart hauptverantwortlich fürs Layout, Mould für Booking und Management. Nun wird es Zeit für professionelle Strukturen, die Band bandelt mit Warner an, wo 1986 CANDY APPLE GREY erscheint. Der Schritt zur Industrie ist für eine Band wie Hüsker Dü gewaltig: Schon der Deal mit SST erschien einigen Hardcore-Leuten verdächtig; was sollte denn noch von der Band übrig bleiben, wenn sie ihre Platten nun auf dem gleichen Label veröffentlicht wie Prince oder Madonna? Mould erkennt die Sensibilität des Themas durchaus, Hüsker Dü zählen zu den ersten Underground-Acts überhaupt, die den Schritt zu einem Majorlabel gehen. Im Szene-Magazin „Maximumrocknroll“ schreibt er einen klugen Text, der alle reflexartigen Anschuldigungen direkt entkräftet: „Keiner bei Warner verlangt von uns, ab jetzt wie U2 zu klingen. Sie haben Hüsker Dü unter Vertrag genommen, weil sie Hüsker Dü mögen – und nicht, weil sie denken, wir könnten der nächste Rick Springfield werden.“ Das würde schon alleine deshalb nicht hinhauen, weil Rick Springfield nie ein Doppelalbum aufgenommen hat. Hüsker Dü dagegen legen 1987 mit WAREHOUSE: SONGS AND STORIES bereits ihr zweites vor: 20 Stücke – und trotzdem keine Füller. Wer soll diese Band stoppen?