Zum Tee bei Sir George
Als er sie kennenlernte, waren die Beatles vier talentierte Jungs aus Liverpool. Als er ihnen half, wurden sie die beste Band der Welt. Ein Treffen mit George Martin.
EINE ZUM STUDIO UMGEBAUTE, VIKTORIANIsche Kirche an der Peripherie von London. Auf dem Parkplatz: Automarken wie Rolls Royce und Jaguar. Im Inneren: ein Gentleman mit schütterem weißen Haar – Sir George Martin. Nichts läßt beim Anblick des distinguierten Teetrinkers darauf schließen, daß es sich bei ihm um den fünften Beatle handelt. Als Produzent der Fab Four hatte George Martin – zum „Sir“ wurde er erst 1996 erhoben – maßgeblichen Anteil am Gelingen der Platten von John, Paul, George und Ringo. Und nicht nur das: George Martin war einer der wenigen, die Einfluß hatten auf die ungestümen jungen Männer aus Liverpool. Abwegige Wünsche von John Lennon beschied Martin mit einem ebenso schlichten wie unmißverständlichen „Nein“. Ringo konnte er die verbindliche Anweisung erteilen, an den Beginn von „She Loves You“ einen kurzen Trommelwirbel zu setzen.
Als erster wirklicher Rockproduzent arbeitete Martin in der Nach-Beatles-Ära auch mit Bands wie UFO und Cheap Trick. Über drei Jahrzehnte war er fester Bestandteil eines Business, dessen Dekadenz ansteckender ist als manche Krankheit. Und nun, ja nun setzt dieser Mann sich zur Ruhe. Nicht jedoch, ohne zuvor noch eine allerletzte Platte aufgenommen zu haben. Und dieses Abschiedswerk – wie könnte es anders sein – hat es in sich. Auf „In My Life“ geben George Martin zwölf Prominente die Ehre, die allesamt Songs der Beatles interpretieren. Nun wäre das so ungewöhnlich nicht, würde es sich denn bei den Promis auch ausnahmslos um Menschen handeln, denen der Gesang in die Wiege gelegt wurde. Aber genau das ist nicht der Fall. Zwar sind auf „In My Life“ auch Celine Dion („Here There & Everywhere“) und Phil Collins („Golden Slumbers/Carry That Weight/In The End“) vertreten. Und auch Gitarrist Jeff Beck („A Day In The Life“) und Geigerin Vanessa Mae („Because“) haben Gastauftritte. Zu einer wahrhaft ungewöhnlichen Produktion jedoch wird „In My Life“ erst durch Mitwirkende, die man mit gesanglichen Darbietungen nicht unbedingt in Verbindung bringt. Ur-Bond Sean Connery zum Beispiel intoniert den Titeltrack („In My Life“). Ebenfalls vertreten: Connerys Schauspielerkollegen Robin Williams (singt zusammen mit Jazzer Bobby McFerrin „Come Together“), Goldie Hawn („A Hard Day’s Night“) und Jim Carrey („I Am The Walrus“). George Martin selbst ist mit der „Pepperland Suite“ und „Friends And Lovers“ auf „In My Life“ zu hören. Wie das Ganze klingt? Nun, genauso uneinheitlich wie die vertretenen Namen. Sein nicht mehr ganz intaktes Gehör – George Martin ist immerhin schon 72 – dürfte dem Produzenten die Arbeit mit den Nichtsängern ein wenig erleichtert haben. Ein Kuriosum ist das Abschiedswerk von Sir George aber auf jeden Fall. Er gönne sich diese Platte, so Martin, wie sich ein abtretender Cricketcrack sein letztes Spiel gönne: „Ohne meinen Sohn Giles aber hätte ich das Projekt nicht realisieren können. Er wurde im Zuge der Produktion ganz einfach auf Sachen aufmerksam, die ich nicht mehr höre. Dabei war ich mir gar nicht so sicher, ob ich ihn ins Musikbusiness einführen sollte. Aber dann erkannte ich, daß Giles das nötige Talent besitzt und wirklich Spaß an diesem Geschäft hat. Außerdem kommt er gut mit anderen Menschen aus. Das ist eine Grundvoraussetzung für den Produzentenjob. Wenn du nicht mit Menschen umgehen kannst, dann nützen dir die besten Musikkenntnisse nichts.“
Martin senior verfügte zeit seines Berufslebens über beide Qualitäten, die einen guten Produzenten ausmachen. Zum einen fiel ihm der Umgang mit schwierigen Künstlercharakteren leicht,zum anderen verfügte er über profunde Musikkenntnisse. An Londons renommierter Guildhall School hatte Martin von 1947 bis 1950 Musik studiert. Sein Instrument war die Oboe.
Als Martin die Guildhall School verläßt, ist er ausgebildeter Arrangeur. 1950 nimmt er einen Job bei der EMI-Tochter Parlophone Records an. Zwei Jahre später produziert Martin mit dem Schauspieler Peter Ustinov seine erste Single. „Mock Mozart“ ist eine parodistische Aufnahme, von der nur 300 Exemplare gepreßt werden. Die Nachfrage ist jedoch so groß, daß eine zweite Auflage ausgeliefert wird. Insgesamt verkauft „Mock Mozart“ sich mehrere tausend mal. Ein Erfolg, welcher der weiteren Karriere von Producer Martin einen kräftigen Schub verleiht – bereits 1955 macht man Martin zum Boss von Parlophone Records. In dieser Funktion produziert er Platten mit berühmten Briten wie Spike Milligan und Peter Seilers. Seinen ersten wirklichen Hit verbucht Martin 1961: „You’re Driving Me Crazy“ von Temperance Seven.
Der wichtigste Tag im Berufsleben von George Martin aber ist der 6. Juni 1962. An diesem Tag hat eine Band namens The Beatles im Abbey Road Studio Nummer 3 einen Vorspieltermin. An sein erstes Zusammentreffen mit den vier respektlosen jungen Männern aus Liverpool erinnert sich George Martin, schon damals Gentleman vom Scheitel bis zur Sohle, noch wie heute: „Ich sagte, sagen Sie ruhig, wenn Ihnen irgendwas nicht paßt. Und George Harrison entgegnete, fangen wir doch gleich mit Ihrer Krawatte an. „Wenn Martin auch auf Anhieb nicht eben begeistert war, so war er doch zumindest überrascht: „Die Jungs waren auf äußerst witzige Weise frech, und als Menschen hatten sie mich sehr bald für sich eingenommen. Zudem hatte ich gemerkt, wie schnell sie lernten.“ Nicht zuletzt hatten John, Paul, George und Ringo gelernt, daß sie gut daran taten, bei den Aufnahmen auf ihren neuen, wenngleich auch etliche Jahre älteren Freund zu hören – auch wenn dieser scheinbar einer ganz anderen Weit angehörte.
„Letztlich“, mein Martin rückblickend, „hat uns wohl unser ganz ähnlicher Sinn für Humor zusammengebracht.“ Dabei gab es bei der Arbeit mit dem Vierer aus Liverpool längst nicht immer was zu lachen. Am wenigsten in der Spätphase von „Let It Be“ (was Studiofotos aus dieser Zeit eindrucksvoll belegen). „John Lennon konnte gemein und intolerant sein“, erinnert George Martin sich. Trotzdem läßt er auch heute noch nichts über seinen berühmten Ziehsohn kommen: „Unterm Strich lebt John in meiner Erinnerung als ein enorm liebenswürdiger Mensch weiter, durch dessen Gesellschaft man sich bereichert fühlte.“ Von der Musik der Beatles fühlte sich sogar eine ganze Generation bereichert. Auch Martin weiß um die Verdienste seiner einstigen Schützlinge: „Vor den Beatles war Popmusik eine saftlose Sache. Als sie dann auftauchten, meinten wir, an der Schwelle zu einer neuen Ära zu stehen – am Beginn einer Zeit, in der Rockmusik auf Klassik aufbaute und aus beidem eine neue zeitgenössische machte. ‚Sgt. Pepper‘ war ein ungemein wichtiger Schritt in diese Richtung. Zum erstenmal schrieben die Beatles nicht mehr für die Bühne. Damit wurde das Studio so etwas wie eine Werkstatt, in der man machen konnte, was man wollte. So entdeckten wir letztlich eine neue Art des Komponierens.“
Aus heutiger Sicht sind die Tips, die George Martin den Beatles gab, gar nicht hoch genug zu bewertemjeh hielt die Jungs an, nicht mehr in Soundbites zu denken. Immer wieder predigte ich, denkt wie klassische Komponisten, studiert die Form der Musik. Geht die Sache an, als wäre es ein Concerto oder eine Symphonie. Doch John Lennon hielt davon nichts. Er sagte, ich bin ein Rocker. Ich will Songs spielen, die drei Minuten dauern. Paul hingegen war dabei.“
Auch vielen anderen Musikern hat George Martin im Laufe seines langen Produzentenlebens zu Erfolgen verholfen. Darunter Namen wie Ella Fitzgerald, Jeff Beck.UItravox und Neil Sedaka. Insgesamt hat Martin mehr als 700 Stücke produziert, arrangiert oder komponiert, unter ihnen dreißig britische Number-One-Hits und Elton Johns Neufassung von „Candle In The Wind“. Trotzdem kommt der weißhaarige Gentleman immer wieder auf die Beatles zurück: „Als John ermordet wurde, steckten Paul und ich mitten in der Arbeit an TugofWar‘. Aber wir konnten einfach nicht weitermachen. Den ganzen Tag redeten wir nur über John. Ich glaube wirklicher hat den Split der Beatles oft bereut – später, als Sean geboren wurde und er alles aus einer anderen Perspektive sah. Ich hatte ihn einige Zeit zuvor in New York besucht, und er war wieder ganz der alte.“
Während der gemeinsamen Arbeit an ihrer „Anthology“sind sich die verbliebenen Beatles und George Martin wieder häufiger begegnet. Mit Paul hat der Producer zudem auch an „Fläming Pie“ gearbeitet. Für Ringo schrieb er unlängst ein Orchesterarrangement. Und auch zu Namensvetter George (Harrison) hat der Produzent nach wie vor Kontakt. Als Martin vor einiger Zeit erkrankt war, machte sich der Ex-Beatle umgehend auf den Weg nach Wiltshire, um seinen einstigen Mentor zu besuchen. „Er stand vor mir und strahlte wie ein Kind“, erinnert Martin sich, „denn er hatte sich gerade ein neues Autos gekauft. Einen McLaren F1. Für 650.000 Pfund.“
Am nötigen Kleingeld, so viel ist sicher, mangelt es auch George Martin nicht. Wie also gedenkt der legendäre Producer seinen Lebensabend zu verbringen?“Nun“, antwortet er und lehnt sich erst mal in seinem Sofa zurück, „ich möchte Spaß haben.“ Wobei sich der Spaß, den der 72jährige George Martin meint, natürlich nicht unerheblich von jenen Freuden unterscheidet, an die jüngere Musiker meist denken. Für Martin bedeutet „Spaß“ eine Konzertreise durch Australien – mit einem Symphonieorchester und den Sängern Glen Sharrocks und John Farnham. Auch Schulen möchte er weiterhin besuchen und dort über seine Erfahrungen reden: „Ich habe in meinem Leben mehr als einen fairen Anteil Glück gehabt. Da ist es nur recht und billig, wenn ich versuche, etwas davon weiterzugeben.“
Nach diesen Worten deutet George Martin an, daß er sich nun wieder anderen Aufgaben zuwenden müsse. Ein wenig steif hebt er sich aus dem Sofa und begleitet seinen Gesprächspartner zur Tür: „Nach Ihnen, Mr. Martin.“ „Ich bitte Sie“, kommt es zurück, „nach Ihnen natürlich.“