Zonen Grenz Gänger
Sie lösten den Ost-West-Konflikt auf ihre Art mit A-capella-Gesang. Die Prinzen verraten, wie sie zu ungekrönten Pop-Königen wurden
„Das kannst du doch nicht machen!“ Es ist Mai 1989 und die Sänger der a-Cappella-Gruppe“.Herzbuben“ sitzen in Leipzig bei Henri Schmidt in der Wohnung am Klavier, und Sebastian Krumbiegel hat gerade ein neues Lied mit dem Titel .,Der Betriebsdirektor“ vorgesungen. Ganz schön scharf der Text, für damalige (Noch-) DDR-Verhältnisse. Also — auf einer Platte würde dieses Lied nie erscheinen. Aber mit einem „Herzbuben“-Longplayer sieht es ohnehin ganz schlecht aus.
Vor zwei Wochen waren die letzten Annäherungsversuche von Manager Joachim Zetzmann an den staatlich voll funktionstüchtigen Schallplattengroßwesir gescheitert. Also gilt es erstmal nicht nach oben, sondern nach vorn zu blicken, und da steht ein Auftritt in einem kleinen Club in Cottbus an, für das Volk, und das will so etwas hören wie den „Betriebsdirektor“. Der obligatorisch anwesende Herr mit dem zweiten Gehalt winkt innerlich ab. Er hat im Moment wirklich andere Sorgen, denn das Volk hat die Schnauze voll von Leuten mit einem zweiten Gehalt und Schallplattenfunktionären und Sätzen wie: „Das kannst Du doch nicht machen!“
Deshalb geht es auf die Straße, um es allen zu sagen und um etwas zu ändern. Die „Herzbuben“ gehen mit. Plötzlich werden unvorstellbare Dinge vorstellbar, und fast alle Leute im Osten wollen sich aufschwingen zu neuen Taten. So auch die „Herzbuben“ und Joachim, ihr Manager. Keine Chance wird ausgelassen, jeder musikalische Wettbewerbsveranstalter und Branchenkenner im Westen kann sich heute sicher sein, schon mal einen Brief oder eine Visitenkarte von den „Herzbuben“ in den erfahrenen Händen gehalten zu haben.
So auch ein West-Berliner Verlags-Chef, genau der. welcher die Auswahl-Jury für die Sendung „Hut ab“ leitet. Ostberliner Radioredakteure empfahlen das Ensemble: Grund genug, sich die Herren mal kommen zu lassen. Zeit zum Vorsingen hatten sie ja genug, denn in den ostdeutschen Clubs lagerten inzwischen statt den Fans Teppiche und Möbel aus dem Bayernlande, die nach Käufern riefen.
Wie gesagt, die „Hut ab“-Jury wollte, und Sebastians Charme und Frechheit schafften es hier zum ersten Mal, ein paar abgebrühten Leuten klarzumachen, daß diese Jungs mehr wert sein könnten als das Begrüßungsgeld. Sebastian Krumbiegel. Wolfgang Lenk, Henri Schmidt und Jens Sembdner aus Leipzig durften also ins ferne München, um an der „Hut ab‘-Sendung teilzunehmen. Der Durchbruch war geschafft, das war allen klar. Die „Herzbuben“ im ZDF! Doch halt, „Herzbuben“, hatte man das nicht schon irgendwann mal gehört? So wurden aus den „Herzbuben“ die — wie originell — „Commerzbuben“, und (um zu zeigen, daß sich die Ossis nicht zu verstecken brauchen) man steckte die jungen Superstars in glitzernde Las-Vegas-Jakkets. „Das kannst Du doch nicht machen!“ wollte es die Jungs gerade durchfahren, als der große Auftritt auch schon vorbei war.
Und dann ging es los. Es passierte … nichts. Der von Joachim gezückte Terminkalender bot weiterhin viel Platz für Strichmännchen und Zahnarzt-Termine. Doch dann endlich, nach ungefähr vier Wochen, es war inzwischen September 1990, klingelte das Telefon. Na also, man hatte die Demo-Cassette nun doch gehört und Annette Humpe hat es sich in Wende-Zeiten vorgestellt, jetzt mal eine Ost-Band zu produzieren. Also brach man auf nach Berlin, und mit dem nur einem Sebastian Krumbiegel eigenen Selbstbewußtsein wurden Frau Humpe 15 Titel vorgestellt, die die „Gute Tante“, wie sie später von den Jungs genannt werden sollte, erst mal fast alle gar nicht so gut fand. Wohl aber die Sprache, ein paar Melodien und die Stimmen, die gefielen ihr, und außerdem wollte sie sowieso jetzt eine Ost-Band produzieren. Also setzte sich Frau Annette Humpe persönlich in einen Flieger und flog gen Leipzig, um mit den Jungs nunmehr richtige Demos zu produzieren und um mal gefahrlos Ost-Luft zu schnuppern, Neben der Demo-Produktion stand bei diesem ersten Aufenthalt Annettes in Leipzig auch ein Ausflug nach Dresden auf dem Plan, zu einer Rockveranstaltung mit eingefleischten Ost-Bands. Mit von der Partie war diesmal auch Tobias Künzel, ein alter Kumpel aus Thomaner-Chor-Zeiten und Sebastians Busenfreund. Damals noch überzeugter Trommler und Song-Schreiber der Leipziger Band“.Amor und die Kids“, deren Texte sich vornehmlich um die Vereinigung unpolitischer Art drehten.
Neben Diskussionen und Demos kam allerdings nun auch ein StudioTermin m Hamburg heraus, wo die vier „A-capella-Amseln“ die Songs „Gabi und Klaus“ sowie „Ich will Dich haben“ aufnahmen. Im Dezember fragt Sebastian Tobias übrigens erstmalig, ob er nicht bei den „Herzbuben“ einsteigen wolle. In der Plattenfirma wird diskutiert, welcher der beiden Songs nun die A-Seite der ersten Single wird. Man einigt sich auf „Ich will Dich haben“ und hat auch schon die passende Fernsehsendung parat: den Vorausscheid zum „Grand Prix d’Eurovision“. Ein einstimmiges „Das kämm Du doch nicht machen!“ erspart diesmal der Welt und den Jungs diesen Auftritt, der wohl gleichzeitig der Abtritt gewesen wäre. Seitdem hält sich die Plattenfirma bei künstlerischen Entscheidungen zurück. Tobias Künzels Band ist inzwischen dem Beispiel zahlloser DDR-Kapellen gefolgt und ins Versicherungsgeschäft übergelaufen, so daß sich Tobias des Angebots von Sebastian entsinnt und ganz knapp, einen Abend vor der Fotosession für das erste Single-Cover steht fest: die „Herzbuben'“ gibt es nicht mehr — das Ensemble heißt jetzt Die Prinzen. Im Mai 1991 kommt die Single mit der A-Seite „Gabi und Klaus“ auf den Markt, aus dem Geheimtip wird ein Hit. Was heißt, daß schnell eine LP („Das Leben ist grausam“) produziert werden sollte.
Also traf man sich wieder mit Annette und stellte fest, daß es gar nicht so leicht ist, sich immer einig zu werden. Im Juni 1991 ging es dann ins Studio. Erste vorsichtige Kontakte zur westdeutschen Rock-Prominenz kamen zustande und die fünf Prinzen stellten diverse Unterschiede zwischen Ost- und Westszene fest. Zum Beispiel die Bierzeltveranstaltungen, von lokalen Radiosendern im Oberfränkischen im Osten als „Bockwurstmugge“ bekannt. Im Westen hieß das „Promotiongig“. Zu solchen Veranstaltungen schickte die Plattenfirma auch keine Betreuung mit. wahrscheinlich weil dort wirklich keine Konkurrenz zu fürchten war.
Und als sich bis in die hohen Chefetagen herumgesprochen hatte, wie gut die Jungs live singen können, durften Die Prinzen natürlich auch bei der Verabschiedung des obersten Firmenbosses nicht fehlen, und sollten bei der Party vor den Herrschaften einen schmettern. Solche Festlichkeiten von hohen Herren gab es ja im Osten auch zur Genüge, nur daß die Jungs da nicht ohne weiteres singen durften. Am Ende blieb die Feststellung, daß sich die neuen Funktionäre von den alten nur durch den Duft ihres Rasierwassers unterscheiden.
Inzwischen hatte das nunmehr einige Volk auch begriffen, daß die.
„die das mit dem Schwein singen“, ja aus der ehemaligen DDR kommen, was die ganze Sache für die Medien noch interessanter machte. So interessant, daß die Prinzen sogar zu „Menschen ’91“ gezählt werden. Die Popularität wächst, doch ein Blick in die Taschen der Prinzen läßt vermuten, daß sie wohl eher dem verarmten Landadel zuzurechnen sind. Ruhm bedeutet nicht gleich Geld, und die neue Single „Ich war so gerne Millionär“ spricht offensichtlich auch der gesamtdeutschen Bevölkerung aus dem Herzen. Bei der nächsten Single „Mann im Mond“ schunkelt die Nation begeistert mit. Und jetzt wird es auch für die Jungs wieder interessant, denn während der Live-Tour von Mai bis Juli 1992 schunkelt ebenfalls Alles, die Clubs sind voll und man ist sich allseits einig, daß es doch der rechte Beruf war, den man gewählt hat. Die Leute auf der Straße fragen die Prinzen nicht mehr nach der Uhrzeit, sondern nach Autogrammen, und dank der hohen Plattenverkäufe kann man sich auch mal ein Bier mehr leisten. Als dann im Sommer die Single „Mein Fahrrad“ auf den Markt kommt, blicken sich Sebastian und Tobias kurz an, als sie das Lied im Radio hören: „Das kannst Du doch nicht machen!“.
In so einem Wahnsinns-Jahr sind natürlich jede Menge neuer Songs angefallen, und alle atmen auf, als Annette sagt, daß sie auch die zweite LP („Küssen verboten“) produzieren wird. Im Studio geht es diesmal wesentlich ruhiger zu, was sich sehr wohltuend auf das Endprodukt auswirkt. Und als Wolfgang hört, wie Sebastian singt „Ich hab’s mir vorhin selbst gemacht und hab‘ dabei an Dich gedacht“, sagt er plötzlich leise „Das kannst Du doch nicht machen!“ Die Prinzen