Zeltinger – Rotz an, rotz raus!
Da gibt es schon wieder einen kulturellen Zwergenauf stand: Auf welcher Seite stehst du. bist du für Zeltinger oder bist du gegen ihn?! Die Ästheten rümpfen die Nase: ein schmerbäuchiger Sozialfall mit ’ner Band am Rücken, die nicht gepflegt zupft, sondern ohne Rücksicht auf Verluste losrotzt (Schlüsselwort!), ein Typ, der Obszönes im köl’schen Platt verniedlicht, der eigentlich weder singen noch texten kann, als authentisches Original auf der hiesigen Rock’n’Roll-Szene jedoch seinesgleichen sucht. Nicht umsonst geht seine erste – live produzierte – LP (vergl. ME 11/79) auch im Handel ganz gut los.
Zeltinger macht’s möglich: Als er im Dezember im Kölner Sartory mit seiner Band ein heißes Heimspiel absolvierte, versammelte sich so peu a peu die dortige Musikerszene auf der Bühne. Dazu muß man wissen, daß sich dort bis vor kurzem in dieser Beziehung kaum etwas abspielte. Der Spannungsbogen reichte in Köln von den durch geistigten Can bis hin zu der unruhigen Orchesterwelt von Triumvirats Jürgen Fritz, dazwischen tummelten sich die Dialekt-Poprocker von den Black Föös, die zur Karnevalszeit Hochsaison haben, die Bands A,B,C, die Musiker X,Y,Z-aber von Kommunikation war eigentlich nie so richtig die Rede. Aber jetzt: da steht der Thommie Engel von den Black Föös neben der „Plaat“ Zeltinger, um die zweite Stimme für den „Tuntensong“ zu liefern. (Zeltinger: „Vor drei Jahren wäre das unmöglich gewesen, ja geradezu unvorstellbar, daß eine totale Rockgruppe mit…äh…zwielichtigen Texten einen Thommie Engel auf der Bühne hat.“) Holger Czukay, der zur Zeit von Can ausspannt, blies zum Auftakt des Gigs in sein neues Waldhorn. Jürgen Fritz fand den Weg in die Stadt, um unerwartet eine Flasche Sekt auf den neuen Triumviratsänger Arno Steffen loszulassen, der ebenso ungefragt im Fußball dress auf die Bühne gesprungen war, um den überraschten Zeltinger bei der verkölschten Ramones-Nummer „Müngersdorfer Stadion“ („Rockaway Beach“) lässig zu übertönen. Wer es noch nicht weiß: Arno textete „Müngersdorfer Stadion“, „Schizophren“ „Dauerwellen“ und „Stüverhoff“ und eibt im übrieen an.
Jürgen Zeltinger, die Plaat (Glatze), mit den Jungs von der Band zueinandergelotst zu haben. Jürgen Fritz am nächsten Mittag: „Haste gesehen, wie die Haltung angenommen haben, als der Arno auf die Bühne kam?“
Hab ich nicht, aber ich hab‘ mich köstlich amüsiert. Leider war die Gesangsanlage reichlich schwach, aber zum Glück hatte ich die LP vorher oft genug gehört, um die Songs fast auswendig zu können. Die Band schaffte sich in bewährter Rock’n’Roll-Manier – durchsetzt mit erfrischenden New-Wave-Ambitionen. „Losrotzen“ nennen sie das. Akkurat kann man im Studio spielen, aber auf der Bühne muß es eben klingen, wie’s kommt. Und es klingt nicht schlecht! Gitarrist Ralf Roxen und Bassist Sugar scheinen im übrigen mit spastischen Sprüngen untereinander den „Wer-ist-Sid-Vicious-(Gotthab-ihn-selig)-am-ähnlichsten“ -Wettbewerb auszutragen. Eine grelle Lampe knallte von der Bühne ins Publikum – Zeltingers Showdown wird von einer mobilen Fernsehkamera verfolgt, für irgendeine Regionalsendung. „Mach doch mal das Gedrisse us!“ schimpft die Glatze genervt. Das Fernsehen gehorcht. Zum dekadent geplänkelten „Tuntensong“ streift er sich auch endlich das karierte Hemd und die Cordhose von der Figur und stellt die berühmte getigerte Unterwäsche zur Schau. Ob er die wohl zum Wechseln hat? Dieser Semi-Strip vollzieht sich auf ironisch graziöse Art. Die Plaat ist zwar schwul – aber ’ne Tunte? Weiter mit dem Oldie „So wie ein Tiger“ oder dem „Stüverhoff“, einer rheinischen Verballhornung von Lou Reeds „Walk On The Wild Side“ mit dem eingängigen Refrain „Hey, Babe, beste bekloppt? Un de Nutte singe „dub dudup…“. Zum Schluß des Gigs hüpft Zeltinger schweißnaß zwischen die Zuschauer vor der Bühne, das Hemd liegt inzwischen in der Ecke, sein enormer Bauch schwappt lüstern über einem Minislip.
Anschließend eine Party im „Peppermint“, einer Zeltinger-Stammkneipe, die er merkwürdigerweise nicht in seinem „Sozialamt“-Fetzer verewigte:
„wo hab ich noch keinen Deckel, wo kann ich noch hin?
Im Roxy, Plenum, Soltaire, Acazar, Sing Sing, Zodiac und Le Bateau, alles ist tabu!
Plötzlich kommt mir die Idee, morgen hab ich Ruh.
Morgen geh ich zum Sozialamt. ……“
So wird am nächsten Nachmittag auch erst einmal kurz beratschlagt, in welche Kneipe wir zum Interview gehen, nämlich möglichst nicht in einen Laden, wo sich die unbezahlten Deckel so hoch stapeln, daß man den Jürgen Zeltinger dort besser nicht in die Fänge bekommt.
Das Interview entwickelte sich auch bald in ein Interview-Gelage. Die Band war ebenfalls vertreten, der Lärm an unserem Tisch wurde gelegentlich nur von den widerlichen Flippergeräuschen übertrumpft. Bassist Sugar hätte ich fast nicht wiedererkannt, er sah so normal aus mit seiner Brille – oder hatte er gar keine auf? Dann Cay „die Kanalratte“ Wolf, Drummer; und Gitarrist Ralf Roxen. Nur einer fehlt: Gitarrist Peter Gramen, der Ärmste, die Jungs wälzen sich vor Lachen hinter seinem Rücken, indem sie gezielt Indiskretionen über sein Privatleben loslassen, und er kann nicht einschreiten!“.Also der ist total daneben.“ resümiert die Plaat. „Gestern zum Beispiel: Da muß der sich vor dem Gig noch die Haare waschen! Das mußte dir mal vorstellen: fürn Auftritt im Satory noch die Haare waschen und föhnen!“ „Bekloppt“ ist in seinen Augen auch Sugar. der hatte sie ja nich mehr alle mit seinen Depressionen und so. Aber auf Cay steht er. Der hat nämlich keine Haare am Bauchnabel und sowas macht den Zeltinger ganz wild. Ehe wir nun weitere gruppeninterne Intimitäten ausplaudern (viele darf man hier sowieso nicht erzählen), schnell noch ein paar straighte Informationen, zur Vergangenheit der Zeltinger Band zum Beispiel:“.Die Band gjngeinfach vorher schon gut los. Wir sind in jedem Laden, auch in Berlin gut angekommen. Wir haben im „SO36“ gespielt, vor Adam & The Ants. vor XTC, wir sind die erste Band gewesen, die im „SO“ Zugaben spielen mußte,“ werde ich aufgeklärt. „Suieidampheta“ hießen sie da noch. Die Grundsatzfragen a) ob die Band wohl auch im Studio gut losgehen kann und b) ob das nicht-rheinische Ausland ebenfalls auf Zeltinger abfahren wird, liegen der Gruppe offenbar nicht im Magen. Das mit dem Studio muß sich herausstellen. In die Hamburger Fabrik waren zunächst zwar nur 50 Leute gekommen vor Weihnachten, aber trotzdem ging dieser Einsatz an der nördlichen Front ganz gut los. „Wir machen Rock’n’Roll“, ist Zeltingers Devise.“.Und ich finde, daß das Publikum bei Rock’n’Roll sowieso mehr auf den Sound achtet.“ Na, gut, aber die umwerfende Wirkung seiner persönlichen Note kann er nicht abstreiten. Und was im übrigen die Texte betrifft: Für die kritischen Fälle sind auf dem Schallplattencover die hochdeutschen Übersetzungen abgedruckt. (Dabei kann man übrigens einmal wieder feststellen, wie sehr so ein Song – des Dialektes beraubt – an Charme verliert!) Doch zurück zu unserer lärmenden Interview-Runde. Sugar ist gerade dabei, lautstark mit obszönen Episoden gegen die Flipper anzuschreien. Inzwischen sind wir beim Thema Groupies. Cay: „Es geht das Gerücht, daß wir genauso schwul sind wie der Jürgen., das ist für ihn zwar schön und gut, aber für uns is das sone Sache.“ Zeltinger mischt sich ein: „Also das Größte is…verstehste, da sitzen im Peppermint ewig zwei Hühner rum, und da sind die zu blöd, die anzumachen!“ Er röchelt heiser vor Lachen. Noch ein bißchen imagepflege gefällig? „Was heißt hier Imagepflege?!“ Sugar ist fast außer sich. „Ich weiß nich, ob du gestern den Gig gesehen hast, aber danach kann ich nichts mehr mit Frauen anfangen, danach bin ich mit dem Kreislauf fertig.“ Und als Ergänzung kommt:,, Entweder gehts auf der Bühne ab jder im Bett ab!“ Nun frustriert doch nicht alle Mädchen! „Brauchste ja nich zu schreiben!“
Sugar, der sich nicht fotografieren lassen will, rückt schließlich noch mit seiner Vorliebe für die englische Band Wire heraus. Zeltinger: „Der schläft immer auf seinem Synthesizer ein.“ Sugar:,,Ich stelle immer nur einen einzigen Ton ein und dieser Ton erzeugt ja Spannung und wenn ich dann so reinhöre, da bin ich innerhalb ganz kurzer Zeit schon eingeschlafen.“ Unterschwellig bösartig liebt er es. „Ich steh total auf schizo, also Wire sind für mich die größten! Ich steh aber auch auf Mües Davis und alles mögliche.“ Und jetzt geht es los:.,Ich steh auf Cat Stevens. Und Reinhard Mey. Super!“ tönt die Plaat dazwischen.“Ich spiele ja jetzt auch Gitarre, ne!“ „Aber wie“, grinst Cay. Sugar: „Wenn der einmal greift, dann is der Hals sofort verzogen. Ralf: „Der hat Kräfte, das weiß der gar nicht.“ Und das sollten sich wohl auch Konzertagenten hinter die Löffel schreiben, die sich mit der Zeltinger Band einlassen. Falls da mal einer auf die Idee kommen sollte, die Jungs über den Löffel zu halbieren. „Da habbisch keine Angst vor. Sowas macht man alles mit, und wenn der Punkt erreicht ist, wo’s zuviel wird, wenn wir merken, daß wir verarscht werden, da gibt’s en Arschtritt!“ erklärt der Zeltinger gewichtig. Und Sugar: „Der Jürgen macht das schon, der geht da rein und haut denen voll in die Fresse.“