Zeitlupe
Die Freunde der klassischen Musik haben es schon immer gewusst: Popmusiker können nicht singen. Wer sich anno 1990 ein wenig mit Popmusik beschäftigt, kann diese These zumindest teilweise bestätigen: Das Gerücht, Rob Pilatus und Fab Morvan alias Milli Vanilli hätten auf ihren Platin veredelten Platten keinen Ton selbst eingesun
Lippen Bekenntnis
Erst der Grammy, dann der Absturz.
MILLI VANILLI gen, macht hartnäckig die Runde. Um so größer die Überraschung, als das von Frank Farian produzierte Dance-Duo im Februar 1990 mit einem „Grammy“ als „Best New Artist“ ausgezeichnet wird. Derart geadelt, redet sich Kunst-Zöpfchen Rob Pilatus um Kopf und Kragen:“Musikalisch sind wir talentierter als Bob Dylan und Paul McCartney zusammen. Oder Mick Jagger- seine Melodien sind verwaschen, der Sound ist mies. Ich bin der moderne Rock’n’Roll, ich bin der neue Elvis.“ Immer schön größenwahnsinnig-aber so redet man eben, wenn man sich ganz oben glaubt und den Sprung vom tristen Münchner Hochhausviertel Hasenbergl in die schnelle Schicki-Micki-Welt geschafft hat. Der Höhenflug währt jedenfalls nicht lange, denn Produzent Frank Farian, der in den späten 7oern schon dem Boney M.-Vortänzer Bobby Farrell die Stimme lieh, lässt im November die Bombe platzen: „Rob und Fab haben auf den Milli Vanilli-Platten nie einen Ton gesungen“, lässt der Produzent verlauten. Er gehe damit jetzt an die Öffentlichkeit, weil „die Beiden verlangt haben, ihre nächste LP selbst zu besingen.“ Das wäre sicher künstlerischer Selbstmord gewesen, ist aber nur die halbe Wahrheit. MUSIKEXPRESS hat zu jener Zeit Informationen, denenzufoige Rob und Fab rückwirkend eine höhere Gewinnbeteiligung, Anteile am Merchandise-Geschäft und den Namensrechten verlangen. Es geht also auch um Geld. Jedenfalls sorgt Farians „Enthüllung“ für Schlagzeilen. Der Produzent indes lanciert schnell die echten Sänger als „Real Milli Vanilli“. Erfolglos, denn das Publikum will offenbar hübsche Gesichter und lustige Tänzer, aber keine professionellen Studiosänger. Rob und Fab verschwinden in der Versenkung .müssen den „Grammy“ zerknirscht zurückgeben. Tragisch für Rob Pilatus, der sich vom plötzlichen Karriereknick nicht mehr erholen kann. Er greift verstärkt zu Drogen und stirbt schließlich am 2. April 1998 32-jährig an einer Überdosis – das schlimme Ende einer skurrilen Affäre.