Zarter Schmelz


Coldplay Köln, Palladium

Die gerade amtlichen Sinnsucher des Brit-Rock geben ihre Visitenkarte als legitime U2-Nachfolgerab. Ein kurzes „fuck“ kommt Coldplay-Sänger Chris Martin über die Lippen, als er sich im Piano-Intro von „Trouble“ verheddert. Wenn’s denn sowieso nochmal von vorne losgehen muss, kann er sich auch gleich beim Publikum entschuldigen: „I forgot to say ,Guten Abend'“. Dass es ein ausgesprochen guter Abend im ausverkauften Kölner Palladium wurde, dafür trugen die vier Briten mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln aufrichtig Sorge – getreu der im Song „Politik“ verankerten Band-Maxime „Give me real/don’t give me fake“. Chris Martin kämpft, die Beine unter dem Piano biegend, nicht nur im Song „Trouble“ mit sich und der Welt um die Wahrheit – ja, was sehen wir denn, wenn wir unseren kleinen Planeten from outer space betrachten? Jon Bucklands Gitarre scheint unter den hochtönenden Fragen seines Bandkollegen aus der Halle zu fliegen: „Open up your eyes, open up your eyheyheyheys.“ Richtig abheben möchten Coldplay dann doch nie, schließlich sind Chris Martin, Jon Buckland, Guy Berryman (Bass) und Will Champion (Drums) gerade mal in einem größeren Feldzug fürs Echte und Ehrenwerte in Rock und Pop unterwegs. Hier und heute eine Band in pastoralem Schwarz, die genügend Wärme aufbringt, um eine moderne Konzerthalle einzuschmelzen. Das Gros der Songs stammt vom besseren neuen Album „A Rush Of Blood To The Head“, mehrheitlich gelingt der Band das Spiel mit leisen Zwischen- und Untertönen im voluminösen Rock-Sound. Der Sänger geht auf Sinnsuche, psalmodiert die Leiden der Liebe, um ein paar Momente später ins Grundsätzliche zu verschwinden: „Where do we go nobody knows?“ Dass sich Chris Martin in Schauspielerin Gwyneth Paltrow verliebt hat bzw. die beiden sich in der Yellow Press wechselseitig umturteln, ist die frohe Botschaft im ganzen Weltschmerz: Paltrow findet den schüchternden Martin „inspirierend“, der schüchternde Martin findet die Schauspielerin „wunderschön“. Nach Ben Affleck und Brad Pitt eine quasi neutestamentarische Lösung. Bei Chris Martin muss man nie die Befürchtung hegen, dass er sich -Rockstar-Status hin, akademische Ausbildung her – gemein über seine Mitmenschen erhebe, gerne hält er die linke Wange hin, nachdem ihm die rechte schon geschlagen wurde. Die einzige längere Konzertansage, die über ein höfliches „Dankeschön“ an diesem Abend hinausgeht, lautet: „Ich weiß, dass wir einen schlechten Ruf haben, weil wir keine Konzerte in Deutschland geben. Das wollen wir ändern. Ich hoffe, wir sind nicht allzu schlecht in Köln. „

Boff, das hat gesessen, so viel Selbstzweifel will auf der Stelle geliebt werden. Die Fans feiern das – mit anderthalb Stunden nicht besonders umfangreiche – Konzert mit ehrfürchtiger Begeisterung, tranceartiges Fäusterecken und Feuerzeuganwerfen inklusive. Chris Martin setzt die adäquaten Signale (vereinzelte Hände zum Himmel, Rock’n’Roll-Weitsprünge), ohne gleich das komplette theatralische Pensum eines Bono zu absolvieren. Die Songs sind in das gerade passende Licht getaucht (gelb zu „Yellow“, flackernd weiß zu „Politik“), die Dramaturgie stimmt, das Stadionrock-Examen ist so weit absolviert. Eine Frage bleibt nur: Wo war der geheime fünfte Mann am Keyboard, der über die Strecke von 90 Minuten akustische Präsenz demonstrierte, aber nicht auf der Bühne stand? Dass Coldplay mehrheitlich bekannte Akkorde anschlagen, dass Chris Martin den Typus des sensiblen jungen Mannes vielleicht allzu ungebrochen gibt und einige Songpassagen etwas aufgeschwemmt daherkamen, ist nur eine Randbemerkung wert. Man muss auch nicht protestieren. Besser, Coldplay werden die U2 des noch frischen Jahrzehnts als irgendeine andere ambitionierte Band. www.coldplay.com