„Das Pop-Kultur-Festival ist eine Alibi-Veranstaltung“ – Berthold Seliger im Interview
Veranstalter Berthold Seliger kritisiert im Interview mit ME.URBAN die vom Berliner Senat ins Leben gerufene Veranstaltung scharf.
Das Pop-Kultur-Festival geht in diesem Jahr in die zweite Runde. Vom 31. August 2016 an werden Künstler und Bands wie Mogwai, Roosevelt und Thurston Moore in Berlin zu Gast sein, um die zeitgemäße Diversität und Internationalität Berlins zu repräsentieren. Unterstützt von Fördermitteln unter anderem der Europäischen Union und des Berliner Senats wird das Festival im Berliner Sorgenkind-Stadtteil Neukölln insgesamt neun Bühnen bespielen.
Anlässlich des Festivalsstarts haben wir Berthold Seliger, der im Jahr 2013 mit seinem Buch „Das Geschäft mit der Musik – ein Insiderbericht“ unter anderem Popkultur-Subventionierung durch die Initiative Musik und auch das Berliner Musicboard in Frage stellte, zu seiner Meinung als Veranstalter befragt:
Herr Seliger, was halten Sie vom Pop-Kultur-Festival Berlin?
Das Pop-Kultur-Festival des Senats ist eine Alibi-Veranstaltung. Da wird Wahlkampf für den Senat gemacht. Was hier passiert ist zahnlos, uninspiriert und letztlich provinziell. Die Musikszene in Berlin ist sehr reichhaltig, hier spielen ständig alle Bands aus dem In- und Ausland. Ein neues Festival dafür ins Leben zu rufen, ist schlicht überflüssig. Vom kommerziellen Großfestival Lollapalooza über das Citadel Music Festival, das von Trinity liebevoll veranstaltet wird, bis hin zu diesen ganzen schönen kleinen Festivals wie Down By The River, By The Lake oder dem Torstraßen-Festival: Wir haben zahlreiche kleine, mittlere und große Festivals in Berlin – da muss man doch mit dem Klammerbeutel gepudert sein, wenn man als Senat meint, zusätzlich noch ein eigenes Festival veranstalten zu müssen. Man muss sich also fragen, was der Senat damit bezweckt.
War es also ein Fehler des Senats, das Musicboard als Veranstalter des Festivals einzurichten? Schließlich wird doch die Berliner Szene unterstützt und kleine Acts werden gefördert.
Die Konstruktion des Musicboards ist eigentlich absurd. Das ist ein Stadtmarketing-Tool und ein Instrument der Wirtschaft, nicht der Kultur, wie sich aus der Vorlage des Senats herauslesen lässt: Da ist ja nur von „Musikwirtschaft“ die Rede, beispielsweise sollen „professionelle Musiker in die Musikwirtschaft vermitteln“, eine Art Arbeitsagentur Pop also. Und schließlich soll das Musicboard laut dem Senatspapier „die Vermarktung Berlins als internationalen Musikstandort stärken”. Von Popkultur können Sie da nichts lesen.
Aber gibt es nicht auch zahlreiche sinnvolle Förderungen durch das Musicboard?
Das was in der Realität passiert, ist besser als die Konstruktion des Senats. Das hat einen simplen Grund – und der heißt Katja Lucker. Sie ist eine fähige Frau, die das Beste aus den Auflagen holt, die ihr vom Senat vorgegeben wurden. Mit Teilen der realen Arbeit des Musicboards kann man also durchaus zufrieden sein. Aber insgesamt bleibt das Musicboard eine schlechte Konstruktion und die Förderung von kleinen Bands und jungen Musikerinnen und Musikern wäre ohne eine Institution wie das Musicboard natürlich auch möglich, vermutlich sogar effizienter. Es ist ein Problem, dass mit öffentlichen Geldern eine Institution ins Leben gerufen wird, bei der es letztlich vom Zufall abhängt, ob wichtige Aufgaben für die Popkultur erfüllt werden – je nachdem, ob jemand Fähiges auf dem Posten sitzt, der dann wirklich das Gegenteil von dem herausholen kann, was die Politik eigentlich vorgibt.
Was stört Sie genau am Pop-Kultur-Festival?
Erstens: Man könnte mit den 700.000 Euro, die für das Pop-Kultur-Festival im Haushaltsplan vorgesehen wurden, auch wunderbar Musikunterricht in den Problembezirken Berlins finanzieren – Musiklehrer, Popmusikschulen, whatever. Aber das Geld wurde vom Senat eben zweckgebunden eingerichtet. Es wird also ein Festival kreiert, das diese Stadt nicht braucht, einzig weil die Stadtregierung das so will.
Herr Müller darf keine Bäckerei eröffnen, Tim Renner keine KFZ-Werkstatt, weil es dafür bereits privatwirtschaftliche Unternehmen gibt – und so ist das eben bei Konzertveranstaltern auch.
Zweitens: Wenn wir uns das Line-up ansehen, wer spielt dort? Das sind Künstler, die sowieso ständig in Berlin spielen. Thurston Moore hat in den letzten Jahren mehrmals in Berlin Konzerte gegeben, dafür brauche ich kein subventioniertes Festival. Fatima Al Qadiri spielt regelmäßig in Berlin, etwa im Berghain, Ezra Furman, Algiers, Zola Jesus, alles Namen, die in Berlin längst rauf und runter spielen. Das Booking dieses Festivals ist uninspiriert und langweilig, da gehen Fanboys ihren privaten Vorlieben nach.
Und drittens, was mich am meisten ärgert: dass dieses Festival dem Subsidiaritätsprinzip Hohn spricht. Die öffentliche Hand darf keine Tätigkeiten übernehmen, die bereits von privaten Firmen angeboten werden, das ist ein Grundsatz unserer Marktwirtschaft – und das ist nun einmal unsere politische Grundordnung, ob uns das gefällt oder nicht. Herr Müller darf keine Bäckerei eröffnen, Tim Renner keine KFZ-Werkstatt, weil es dafür bereits privatwirtschaftliche Unternehmen gibt – und so ist das eben bei Konzertveranstaltern auch.
Inwiefern tritt das Pop-Kultur-Festival in Konkurrenz mit lokalen Veranstaltern?
Lokale Veranstalter haben über die Jahre mit den von ihnen veranstalteten Konzerten Steuergelder erwirtschaftet, die der Senat nun dafür ausgibt, dass diesen Konzertveranstaltern mit einem Staatspop-Festival Konkurrenz gemacht wird. Wenn Thurston Moore jetzt bei Popkultur spielt, wird er für lokale Veranstalter in nächster Zeit nicht mehr in Frage kommen, somit gehen potentielle Einnahmen für sie verloren. Und den Mut, wirklich neue und seltene Konzerte, vielleicht auch komplett mit unbekannten Künstlerinnen und Künstlern anzubieten und somit die 700.000 Euro Steuergelder wirklich sinnvoll zur Kulturförderung einzusetzen, diesen Mut haben die Macher nicht. Denen wird der Senat ganz klar sagen: Hier geht’s um eine Imagekampagne. Ihr müsst Quote schreiben.
Sollten Popkultur-Veranstaltungen deshalb grundsätzlich nicht mit Steuergeldern unterstützt werden?
Subventionswürdig ist Kultur grundsätzlich dann, wenn sie auf dem so genannten freien Markt nicht existieren kann – deswegen subventioniert die Bürgergesellschaft Berlins ja zum Beispiel Opernhäuser, Theater und Museen. Und solche Konstellationen gibt es in der Popkultur auch– beim Antigel Festival in Genf beispielsweise, bei dem lokale Veranstalter ein interessantes, spannendes Programm erarbeiten und dafür subventioniert werden. Dort habe ich im Januar beispielsweise Jeff Mills gesehen. Der Techno-Pionier aus Detroit hat einen Cinemix zum expressionistischen Film „Berlin, Sinfonie einer Großstadt“ von 1927 live gespielt, und das war wirklich toll. So etwas gehört doch eigentlich nach Berlin. Oder die orchestrale Umsetzung des Philip-Glass-Soundtracks zu „Koyaanisqatsi“ mit Glass, der das Ensemble selbst dirigiert hat – das sind Aufführungen, die am „Markt“ schwer zu finanzieren sind, die subventioniert werden müssen. So etwas könnte man sich vielleicht in Berlin mit dem Budget von 700.000 Euro auch leisten. Aber dazu müssten die Macher, statt in ihrer eigenen Soße rumzuschwimmen, eben auch mal in die Welt hineinschauen und -hören.
Ist es nicht gerechtfertigt, Newcomer in einem solchen Festival zu präsentieren und Aufmerksamkeit zu generieren, indem man eben größere Namen wie Thurston Moore engagiert?
Das mit den kleinen Namen ist in diesem Zusammenhang schlicht Fake. Schauen Sie sich doch das Off-Kultur-Festival Neukölln an! Da findet die wirkliche Szene statt. Da sind Leute von Noizekölln und von Magic Island, von Shameless/Limitless, die mit dem Staatspop-Kultur-Festival unzufrieden waren und etwas Eigenes aus der Szene heraus entwickeln – die Veranstalter sind übrigens auch beim Musicboard vorstellig geworden, haben ihr Konzept vorgestellt und baten um Unterstützung – und das wurde einfach vom Tisch gewischt. Mit den wirklichen kleinen Initiativen und den noch unbekannten MusikerInnen und KulturarbeiterInnen wollen der Senat und das Pop-Kultur-Festival doch gar nichts zu tun haben, denn: Das Pop-Kultur-Festival ist Stadtmarketing und dafür braucht man eben Künstler, die ein gewisses Level bereits erreicht haben, damit man ein bisschen angeben kann. Und dann kann man mit zusätzlichen Mitteln des Musicboards internationale Delegierte nach Berlin einladen und zeigen, wie toll das alles ist, was man so treibt. Aber mit dem Grundgedanken von Popkultur hat das alles wenig zu tun.
Ist Off-Kultur die bessere Pop-Kultur?
Auf jeden Fall. Aus meiner Sicht ist Off-Kultur die eigentliche Pop-Kultur an diesem Wochenende – und die Leute hätten es wirklich verdient gehabt, einen Anteil dieses 700.000-Euro-Batzens zu bekommen, weil das Team dort wirklich was auf die Beine gestellt hat. Beim Pop-Kultur-Festival werden im Gegensatz dazu Kuratoren eingesetzt, die das Programm gestalten. Leider eher langweilig, eben staatstragend. Ich bitte Sie – was hätten Sie und ich mit 700.000 Euro für ein tolles Festival auf die Beine gestellt, oder?
Förderung macht Popkultur also auch aus Ihrer Sicht nicht automatisch kaputt?
Ich bin als Konzertagent immer ohne staatliche Förderung ausgekommen, und das jetzt seit über 28 Jahren. Musik sollte aus meiner Sicht unabhängig sein, und das gilt auch für die Kulturarbeiterinnen und Kulturarbeiter. Aber das muss jeder für sich entscheiden. Was jedoch in meinen Augen feststeht: Künstler sollten sich nicht vom Senat einkaufen und instrumentalisieren lassen. Die Off-Kultur-Leute beispielsweise machen ihr Ding so oder so – und das ist arschcool. Wenn sie noch ein bisschen Geld dazubekommen würden, wäre das noch besser, dann könnte es noch schneller wachsen. Die Förderung muss zarte Pflänzchen, die bereits bestehen, weiter gießen. Es geht nicht darum, irgendwo Betonkübel mit Pflanzen hinzustellen, die bald verblühen. Die Popkultur wird immer selbst so stark sein, dass sie sowieso durch Beton wächst, sozusagen auch durch die Betonköpfe wächst.
Was machen beispielsweise Dänemark und Finnland anders, die als kleine Länder regelmäßig junge Talente hervorbringen?
Wenn Sie in Dänemark an das Spot Festival und das Roskilde denken… das sind Initiativen von Künstlern und Kulturarbeitern selbst, die in ihrer Stadt, in ihrer Region eine bestimmte Kultur stattfinden lassen wollen, nicht der Staat.
Und dann haben die staatlichen Institutionen erkannt: Da wächst etwas heran, aus der Gesellschaft heraus – und dieses zarte Pflänzchen gießen wir. In Dänemark bekommen beispielsweise auch Künstler, deren Songs erstmals im Radio gespielt werden, einmalig höhere Ausschüttungen als der Durchschnitt, womit Nachwuchskünstler direkt gefördert werden.
Gute Förderung sollte aber noch viel früher ansetzten, wie man in Finnland sieht. Finnland ist berühmt für seine herausragende Bildung, und das gilt auch für die musikalische Bildung. Das fängt in den Grundschulen an und geht bis hin zu den Konservatorien, in denen es sogar Studiengänge wie Folkmusik gibt. Anderes Beispiel: Das erste große Popfestival war das Monterey Pop, eine Non-Profit-Veranstaltung – und wenn der Staat den Musikern Geld angeboten hätte, wären die KünstlerInnen, die das Festival veranstaltet haben, empört gewesen – damals galt noch, dass Popkultur „outside the society“ stattzufinden hat. Pop war ja immer Opposition, das darf man nicht vergessen.
Die Erlöse von Monterey Pop wurden an eine Stiftung ausgeschüttet, die Gitarrenunterricht für schwarze Ghetto-Kids in der Bronx organisierte – genau richtig gedacht. Auch Roskilde ist ja non-profit, die verteilen ihre Gewinne an soziale und ökologische Initiativen. Das würde dem Berliner Senat doch sehr gut zu Gesicht stehen, wenn man zum Beispiel die Musikschulen in Neukölln und im Wedding mit 700.000 Euro fördern und zum Beispiel die Musiklehrerinnen und -lehrer endlich anständig bezahlen würde, anstelle eines Staatspop-Festivals, das in Berlin nun wirklich niemand braucht.
Vielen Dank für das Gespräch, Herr Seliger.
Für Pop-Kultur und Off-Kultur gibt es noch Tickets. Pop-Kultur-Tickets könnt Ihr hier bestellen.
Berthold Seliger wird beim Reeperbahn Festival 2016 sein neuen Projekt „Klassik-Kampf“ vorstellen, hier geht’s zur Veranstaltung.