Young Disciples: Tanzwurm im Ohr
Fusionen völlig konträrer Grooves sind in letzter Zeit sowas wie das Markenzeichen der Londoner Tanzszene geworden. Selbst da aber erfreut sich das Trio der Young Disciples noch einer außergewöhnlichen Stilvielfalt. Sängerin Carleen Anderson, die Tochter der James Brown-Begleiter Bobby Byrd und Vicky Anderson, lebte bis vor einem Jahr noch als Musiklehrerin in den USA: „Da gibt’s fantastische Sängerinnen zuhauf. Ich dachte nicht im Traum TONSPION
daran, eine Chance zu haben. Erst als ich in London ein paar Mal auftrat und als Unbekannte wirklich toll unterstützt wurde, schöpfte ich Hoffnung.“ Sie traf auf den Ex-Bauarbeiter Marc 0. Nelson, der sich auch schon als Musiker bei Soul II Soul und Style Council verdingt hatte, und auf Femi Williams, ehedem DJ mit Vorliebe für die raren Grooves der 60er und 70er Jahre im Trend-Spot Dingwalls. „Hinter unserem Sound steckt kein Plan“, sagt Marc. „Sowas entsteht, wenn drei Wege aus verschiedenen Richtungen an einer Kreuzung zusammentreffen. „
„Apparently Nothing“, ihre erste Single, erschien im Herbst ’90 bei Talkin‘ Loud, dem Hauslabel des Londoner Dance-Jazz-Gurus Gilles Peterson, und machte ihrem Titel alle Ehre: Mit der jazzigen Mixtur aus harten Beats und souliger Melodie passierte vorerst nichts. Erst als die Platte vergriffen war, merkten die DJs, was sie verpaßt hatten: Bootlegs begannen für teures Geld einschlägige Ladentische zu unterqueren. Das erzwang den Re-Release, und siehe da: es wurde der Hit des Londoner Tanzsommers. Gerade rechtzeitig zum Erscheinen des Debut-Albums ROAD TO FREEDOM, das mit einer Mischung aus Soul II Soul, Jazz, Mayfield, Pee Wee Ellis und Maceo Parker in Person, mit wohlartikulierten Texten und umwerfend coolem Groove-Charme hält, was die Single versprach.
„Unsere Songs sollen dich nicht auf Anhieb erwischen“, grinst Marc, „sie sollen dich langsam einspinnen, bis du plötzlich merkst: Sie gehen nicht mehr aus dem Kopf. Und da sollen sie dann auch ein Weilchen bleiben. „