XTC – Hamburg, Markthalle
Die äußeren Umstände waren durchaus nicht berauschend: Für die schwerfälligen Fernsehkameras des Rockpalast-Teams war die gesamte Fläche vor der Bühne abgesperrt worden. Dort, wo normalerweise die Fans tanzen, standen jetzt klobige Kamera-Ungetüme, genervte Kameraleute und dröge umherglotzende Kabelträger. Und das durchwachsene Publikum aus Experten, Oberschülern und vereinzelten Punks drängte sich ratlos auf den Rängen.
Die Distanz zwischen Bühne und Publikum, zwischen Erwartungen und Ansprüchen war denn auch deutlich zu spüren. Es dauerte fünf bis sechs Nummern, bis XTC Tritt gefaßt hatten. Aber die Band ließ sich nicht irritieren. Andy Partridge singt trotz seiner Zappelei so deutlich, daß man sogar die Texte einigermaßen versteht; Dave Gregory hat auf Gitarre und Keyboards immer noch zusätzliche Licks und Fills parat und Bassist Colin Moulding erinnert auf der Bühne an Nick Löwe, obwohl er weder dessen Kugelbauch noch den obligatorischen Bierrausch vorweisen kann.
XTC spielen schnell. Sie belassen den Songs ihre Kürze und halten sich damit an die Vereinbarungen aus der seligen New-Wave-Ara, nach denen Soli in der Rockmusik nichts mehr verloren haben. Von Stück zu Stück verdichtet sich die Musik, XTC spielen mit Souveränität und Spaß, lebhaft, spielfreudig und trotzdem routiniert. Sie sind ein Musterbeispiel an Präzision – und doch wirken die bekannten Nummern wie „Making Plans For Nigel“, „Living Through Another Cuba“ oder „Real By Reel“ genauso frisch wie der jüngste Ohrwurm „Senses Working Overtime“. Die S ongs vom neuen Album ENGLISH SETTLEMENT klingen nicht mehr ganz so international-kosmopolitisch wie die vom vorausgegangenen BLACK SEA, sie wirken eher so kompakt und energiegeladen wie der britische Pop am Ende der 60er Jahre.
Bei XTC stimmt rundum alles: die vielen und abwechselnden Einsätze, die sparsam eingesetzten Dia-Projektionen, der Mixer, der mit großem Gespür den einzelnen Details der Arrangements nachgeht – und selbst der Sound ist trotz der verschrieenen Akustik der Markthalle klar und transparent. Der Set hat Spannung, ohne jemals überdramatisiert zu wirken. Beim gandiosen Finale schwappt die ausgelassene Stimmung von der Bühne in den Saal – und als letzte Zugabe gibt’s die Hymne, die sich XTC selbst geschrieben haben: „This Is Pop“.
Ich bin sicher: Hätten alle Lutscher und Laumänner von Van Aerostyx. und Konsorten an diesem Abend als Zuhörer in der Markthalle gestanden, sie wären allesamt, sofort und freiwillig wieder Fensterputzer, Gebrauchtwagenhändler oder Steuerberater geworden. Die Rockmusik hätte an diesem Abend einen enormen Schritt nach vorne machen können. Aber so sahen nur ca. 700 eingeschworene Fans zu, die schon vorher wußten, daß XTC „die allerbeste Popband der ganzen Welt“ sind, wie ein Kollege mal schrieb.