XTC
Die Jungs von XTC wollten furchtbar fleißig sein. Eine lange Latte Gigs hatten sie quer über den europäischen Kontinent aufgetan. Aber dann erregten sie wohl den Zorn irgendeines bösen Geistes, und die lange Latte schrumpfte im Rekord tempo: Mal war ein Teil der Anlage nicht verfügbar, mal fehlte ein Musiker wegen Krankheit, mal klappte irgendetwas mit der Buchung des Clubs nicht. Ingeborg Schober allerdings hatte in München Glück: Hier lief alles bestens für XTC, und das staunende Publikum erlebte eine der interessantesten neuen britischen Bands.
Außer Oper und Country and Western sind alle Einflüsse in unserer Musik“, scherzt XTC-Sänger und -Gitarrist Andy Partridge, als ich die Band beim Signieren ihrer LP „White Music“ in einem Münchener Hotel antreffe. Auch die anderen Musiker, Colin Moulding (Bass), Terry Chambers (Schlagzeug) und Barry Andrews (Keyboards) sind, obwohl vergrippt, übermütig und wahrhaftig nicht in ernsthafter Interviewlaune. Bei Canada Dry, Coca Cola und Apfelstrudel reden sie so wirr durcheinander wie sie scheinbar auf manchen ihrer Stücke spielen.
Gottseidank ist die Bandgeschichte kurz: Andy, Colin und Terry, alle aus der „gehobenen Arbeiterschicht“ haben sich jahrelang mit verschiedenen Jobs und diversen Bands rumgeschlagen, zuletzt als The Helium Kidz. Erst als vor etwa 16 Monaten Barry zu ihnen stieß, dachte man zum ersten Mal daran, eine Profi-Band aufzuziehen. Die Zeit schien so günstig wie noch nie für das ungeschliffene Art-Rock-Quartett. „Eigentlich war es ein Roulett-Spiel, aber ich wünschte mir nichts so sehr, als daß wir gewinnen würden“, so Andy. Gewonnen haben sie allerdings nicht, aber auch nicht verloren: Die Zukunft von XTC sieht momentan ganz vielversprechend aus.
Kaum eine andere junge Band traf in jüngster Zeit so exakt den Zeitgeist. „Wir sind natürlich erst mal auf der Punk- und New Wave-Welle mitgeritten, aber inzwischen .haben wir es nicht mehr nötig“, meint freimütig Terry. Und das ist gar nicht so abwegig, denn als ich XTC zum ersten Mal im Herbst 77 im Londoner Nashville-Club sah, waren sie noch ohne Plattenvertrag und spielten weniger differenziert. „Wir haben damals zwar gewußt, was wir wollten, aber es nicht so richtig rübergebracht“. Heute steht ihre überdrehte, freche und hektische Musik mit der energiegeladenen, futuristischen Note ziemlich einsam da. Nur noch Ultravox! und Devo machen XTC Konkurrenz. Mit dieser Meinung löse ich allerdings bei den Vieren eine harte Diskussion aus. Die Bands kennen sich von früher, und XTC glauben Ultravox!’s Attitüde nicht: „Die sind zu durchschaubar und machen vieles zu gewollt!“
Das bringt uns auf die Texte von XTC; einfache, ironische, aber sehr originelle Kommentare und Wortspielereien wie etwa „Set Myself On Fire“. „Das verstehen die Leute natürlich bei dem Tempo gar nicht, aber wir haben sowieso keine Botschaft. Die Stimmen sollen nur eine bestimmte Stimmung herstellen, so wie es auch oft bei Reggae-Platten ist“,‘ so Andy. Ich widerspreche ihm: „This Is Pop“ zum Beispiel, als neue Single ausgekoppelt „mit der Text-Zeile „What do you call that noise that you put on? This is Pop!“ sei doch immerhin eine eindeutige Feststellung. „Klar, aber doch keine neue Botschaft“.
So deutlich hat das schon lange keiner mehr gesagt. Ich komme noch einmal auf Einflüsse und Vorbilder zu sprechen, die bei XTC sehr schwer auszumachen sind, und es fallen Namen wie Talking Heads und Television. Barry allerdings liebt Steely Dan und hört als einziger klassische Musik. „Neben Musik schlagen sich jedoch mehr Umwelteinflüsse, Fernsehen, Radio, Technik, etc. in unserer Musik nieder“, so Andy, der gerade mal eine seriöse Minute hat.
Auf der Bühne strahlen XTC eine nicht mindere Hektik aus, und ich spreche sie darauf an. „Hektisch! Also, ich bin normalerweise ein geradezu langsamer Mensch, aber auf der Bühne kommt dann wohl alles raus. Da ist man nervös und arbeitet härter. Wir kommen noch immer ganz schön ins Schwitzen“, gibt Andy zu. Dieser gemütliche Mensch ist jedenfalls auf der Bühne mit seinen Marionetten-Zuckungen kaum mehr wiederzuerkennen. Schon ihre erste Single „Science Friction/Dance Band“ zeigte die beiden Gesichter der XTC: ausgelassene Punk-Rock-Roller, meist von Andy Partridge komponiert, und verquere, experimentelle Art Rock-Werkchen, von Colin Moulding ausgedacht. Das Album „White Noise“ ist eine wilde Mischung aus diesen beiden Elementen, mal eingängig popig, mal verwirrend ungreifbar. Warum „White Music“? „Hätten wir’s vielleicht „Black Music“ nennen sollen?“ witzelt Andy. „Das hat schließlich mit unserem Stil zu tun. Es gibt Schwarze Komödien, schwarzes Vinyl und schwarze Musik, aber XTC ist eindeutig weiß, oder?“
So ganz zufrieden sind sie mit ihrer „weißen Musik“ auf dem Album jedoch nicht. Aus finanziellen Gründen mußte man in knapp vierzehn Tagen fertig werden, es fehlte an nötiger Studioerfahrung: „Heute würden wir im Detail manches anders machen. Die Stücke haben sich live verändert. Das ist wie mit einem Paar neuer Schuhe, die müssen auch erst eingelaufen werden“, so Andy. Und Colin weiß, daß es bei der zweiten LP, für die schon einige Stücke vorliegen, sicher besser klappt. „Man lernt sich erst richtig auf einer Tournee und im Studio kennen, wo alle aufeinander angewiesen sind“, fügt Barry hinzu.
XTC absolvieren ihr erstes Konzert im Münchener Downtown mit Erfolg und Bravour. Ihre elektrisierende Energie, die unbekümmerte Frechheit, mit der sie wie wildgewordene Mickymäuse über die Bühne toben, hat was von einem musikalischen Comic an sich. Selbst ihre respektlose Version von Dylans „All Along The Watchtower“ wird mit stürmischer Begeisterung aufgenommen, denn „This Is Pop“!