Wolfgang Niedecken
Von den einen als kleinkarierte Körnerpicker belächelt, von den anderen als Retter der soliden, ehrlichen Rockmusik gepriesen es gibt keine populäre deutsche Gruppe, an der sich die Geister so scheiden wie an BAP. Im ME/Sounds-Interview gibt Wolfgang Niedecken auch auf unbequeme Fragen ehrliche Antworten.
ME/Sounds: Warum tretet ihr trotz eurer Popularität nur in solch kleinen Hallen auf?
Niedecken: „Es sind in der Regel Hallen, von denen wir denken, daß wir da noch das rübergebracht kriegen, was wir erreichen wollen: nämlich so ’ne Art Feten-Charakter. Die Leute sollen sehen können, was wir auf der Bühne machen. Wir machen noch lange nicht jeden Abend dasselbe; wir feiern halt auch auf der Bühne rum, wenn wir gut sind.
Wir haben zudem noch sehr billige Eintrittspreise, wir liegen momentan bei etwa 14, 15 Mark. Das ist das Billigste, was du machen kannst. Das klappt aber auch nur, wenn die Hallenmieten entsprechend sind und du die Unkosten so niedrig hältst, wie es nur geht. In einigen Städten sind wir damit voll auf die Nase gefallen.“
ME/Sounds: Trotz eurer Abneigung gegen größere Auftrittsorte habt ihr im vergangenen Jahr unter anderem beim WDR“Rockpalast“-Festival an der Loreley vor Millionen von Fernsehzuschauern gespielt, außerdem zwei Tage lang in Köln vor über 100000 Besuchern als eine der Vorgruppen der „Rolhng Stones“. Mit welchen Gefühlen bist du da herangegangen?
Niedecken: „Bei der Loreley war ich bei weitem nicht so nervös wie bei den Stones. Bei denen mußten wir ohne jeden Soundcheck vor 70000 Leuten auftreten. Es hieß einfach: Jetzt geht mal raus und spielt!‘ Normalerweise hast du in jeder winzigen Halle mindestens eine halbe Stunde Zeit, um deine Anlage einzustellen; und dann in so ’nem Stadion, wo du sowieso mit der Nervosität zu tun hast, ohne Souhdcheck rauszugehen – das ist die Hölle gewesen. Ich hab‘ da wirklich gestanden, habe – ohne Übertreibung! – mit den Zähnen geklappert und war mit den Knien am Schlottern Da hat der Major (alias Klaus Heuser, BAP-Leadgitarnst – Red.) dann die ganze Aufmerksamkeit auf sich gezogen, ist nach vorne gebrettert und hat furchtbar den wilden Mann herausgelassen, obwohl er genauso nervös war. Ich konnte mich beruhigen, und nach dem zweiten Stück war ich wieder dabei, da ging’s dann. Am zweiten Tag war’s okay; da war es so, als würden wir pausenlos m Stadien spielen.“
ME/Sounds: War das denn für euch eine schwere Entscheidung, diese großen Auftritte mitzumachen, obwohl ihr – wie gesagt -Mammut-Konzerte haßt?
Niedecken: „Nee, wenn du siehst, was für Stones-Fans wir alle sind… Vor den Stones zu spielen, das war einer unserer Träume. Da war es egal, wie groß das war.“
ME/Sounds: Sind eure Erwartungen als Stones-Fans erfüllt worden 7 Niedecken: „Ich hab den Stones-Auftritt am zweiten Tag von der Bühne aus gesehen, und ich war total begeistert. Vor allem von ihrer Spielfreude – und von ihrem Unprofessionell-Sein, musikalisch sind das alles keine ungeheuren Koryphäen. Keith Richards hat einen Haufen geniale Riffs in die Rockgeschichte eingeführt, zum Beispiel ,Honky Tonk Women‘. Spiel mal so ’n Anfang, das ist absolut reduziert. Dafür mag ich die; dafür, daß sie absolut einfach geblieben sind und nie angefangen haben, rumzuschwülsten und irgendwelche Bombast-Scheiße abzuziehen.
ME/Sounds: Ihr seid jetzt selbst ein halbes Jahr fast nonstop auf Tournee. Man sagt, daß es nach spätestens 30 Konzerten so eine Art Tour-Koller gibt, daß sich die Musiker nach einer gewissen Zeit normalerweise ganz gewaltig auf die Nerven gehen.
Niedecken: „Wir haben jetzt 70 Auftritte hinter uns, und der Tour-Koller ist absolut noch nicht da. Der kommt auch nicht. Das liegt wohl an einer Eigenart von BAP: Die Leute, die bei uns arbeiten, haben wir nicht nach irgendwelchen fachlichen Kriterien ausgewählt, sondern erst mal nach persönlichen Gesichtspunkten. Das sind immer irgendwie Freunde, die dazukommen.
Das beste Beispiel ist der Steve am Baß: Der ist zu uns gekommen, weil wir ihn von der Food Band kannten, da war er vorher am Mixer. Er studierte zu der Zeit Cello, und wir in unserer absoluten Unwissenheit haben gesagt: .Cello kann er prima spielen, ein Cello hat vier Saiten, ein Baß hat vier Saiten den fragen wir mal jetzt, ob er nicht bei uns Baß spielen will. Der Typ ist wirklich okay.‘ Er meinte, er würde das schon hinkriegen, er würde das mal probieren. Wir haben erst Monate später rausgekriegt, daß ein Cello ganz andere Saiten und eine ganz andere Stimmung hat als ein Baß.“
ME/Sounds: Es gibt also so etwas wie ein „gruppendynamisches Geheimnis“.
Niedecken: „Ja, auf jeden Fall. Bei uns haben die Roadies die gleichen BedingunDie Kölner Rockgruppe BAP ist derzeit das Phänomen der deutschsprachigen Rockszene – im Mittelpunkt des Interesses steht Wolfgang Niedecken, der in Köln einst als „Einzel-Folkie“ seine Texte nur mit Gitarrenbegleitung zum besten gab und 1979 mit der ersten BAP-LP zu einem steilen Höhenflug ansetzte. BAP-Fans gibt es mittlerweile, von Bayern bis zur Waterkant, obwohl viele Textpassagen im kölschen Dialekt vielen Nicht-Kölnern nur mit Übersetzung verständlich sein dürften.
Trotz über zwei Millionen verkaufter LPs (zeitweise, waren alle vier gleichzeitig in hohen Chart-Positionen!) ist die Gruppe „auf dem Teppich geblieben“. Statt den Erfolg auch finanziell in großen Konzerthallen auszureizen, zieht der BAP-Troß zur Zeit lieber durch kleinere Säle, die oft nur 1000 Besucher fassen. Mit rund 100 Auftritten dürfte diese Tour allerdings eine der längsten Konzertreisen sein, zu denen je eine deutsche Band aufgebrochen ist.
Dabei immer wieder das gleiche Bild: eintönige Hotelzimmer, kahle Garderoben, volle Säle. Auf zwei Tourstationen, im Provinznest Worms-Eich und in Mannheim, hat sich Peter Jebsen mit Wolfgang Niedecken unterhalten.
gen wie wir, die gleichen Hotelzimmer zum Beispiel. Wir wollen über diese Tournee ein Buch herausgeben. Ich schreibe schon die ganze Zeit Tagebuch, das der rote Faden durch das Buch ,BAP über BAP‘ sein wird. Dazu wird jeder von den 14 Leuten, die mit auf Tour sind, seinen Teil beitragen – mit dem, was er selbst im Buch drinstehen haben möchte.“
ME/Sounds: Abgesehen vom Tagebuch kommst du während der Tournee dazu, neue Songs zu schreiben? Du schöpfst ja stark aus dem Kölner Lokalkolorit; besteht da nicht die Gefahr, daß du während der halbjährigen Tour den Kontakt zur Basis verlierst?
Niedecken: „Die Gefahr könnte da sein, aber ich habe jetzt während der Tour Fragmente für neue Stücke zusammenbekommen – zwei neue Stücke, die auf die neue LP kommen. Wir nehmen nämlich gerade eine Live-LP auf, da werden ein paar neue Sachen drauf sein, ein paar alte Stücke, die es noch auf keiner Platte gibt, ein paar Cover-Versionen und andere Sachen, die sich während der Aufnahme als geeignet erweisen. Das wird eine Doppel-LP sein, und die verschafft uns zeitlich dann auch die nötige Luft bis zur nächsten Studio-LP. Das Live-Album kommt im Sommer raus, und wir haben auch beschlossen, daß wir nach der Tour Pause machen. Das Ende ist nach hinten offen.“
ME/Sounds: Aber generell kann man doch wohl sagen, daß eine Tour in puncto Kreativität eine relativ tote Phase ist.
Niedecken: „Nein, es passieren nur andere Sachen, die man verarbeiten kann. Es gibt natürlich Songs, die vor dem Tournee-Hintergrund gekünstelt wirken würden – ich glaube, das passiert vielen Leuten, daß sie sich während einer Tournee ihren Themen-Abhak-Katalog zusammenstellen und sagen: Jetzt muß ein Stück über Jugend-Arbeitslosigkeit her, jetzt muß ein Stück über weiß der Teufel was her’…“
ME/Sounds: Beispiele?
Niedecken: „Ich glaub‘, der Lindenberg hat in der letzten Zeit zu sehr so gearbeitet. Lindenbergs größter Fehler ist für mich, daß er zu viele Sachen gemacht hat. Er hat sich einfach verzettelt, denke ich mir. Er hat unheimlich viele gute Sachen gemacht, aber nach dem Motto ,Die Masse macht’s‘ kam dann auch ein Krempel unausgegorenes Zeug dabei raus.“
ME/Sounds: Unausgegoren mag stimmen, aber ist das schon ein Argument für Unglaubwürdigkeit?
Niedecken: „Nee, nee, das habe ich jetzt auch nicht unbedingt negativ gemeint mit diesen Abhak-Gründen. Lindenberg hat die Intention, etwas zum Thema Jugend-Arbeitslosigkeit zu machen. Das nehme ich ihm absolut ab, und die Kids können ihn auch verstehen. Aber er singt weniger über das, was er tatsächlich jetzt erlebt als über das, was er als Anliegen hat. Er hat das Anliegen, darüber was zu schreiben; aber den notwendigen .Kick‘, den entdecke ich in so nem Stück nicht.“
ME/Sounds: Wie ist das denn bei dir zum Beispiel beim Song „Kristallnaach“, der die Reichskristallnacht vor 50 Jahren aufgreift. Was ha t dir da den „Kick“ gegeben ? Zu diesem Thema hast du durch dem Alterauch keine richtige Beziehung.
Bine umb allem
Niedecken: „Meine Textschieiberei hat sich im Laufe der Zeit gewandelt. Ich hab‘ eins immer gemacht: Ich hab 1 einfach angefangen, an irgendeiner Stelle, und hab‘ eine Story entstehen lassen; nur die Stories haben sich geändert.
Ich habe früher Stücke gemacht wie ,Ruutwieß-blau querjestnefte Frau‘ oder .Sintflut‘, die angelehnt waren an diese Bob-Dylan-Talking-Blues-Phasen. Damit bin ich in eine Richtung gekommen, wo ich die Leute auch dazu gekriegt habe, ernsthaft zuzuhören.
Am schönsten finde ich das. was dann passiert ist: Stücke wie .Verdamp lang her‘ oder .Kristallnaach‘, wo ich einfach angefangen habe und mir nicht die Bohne überlegt hab‘, was für ’n Thema ist das gerade 9 Ich habe mich hingesetzt, hatte ’ne Idee, hatte ein paar Worte, hatte irgendwas auf der Klampfe und hab‘ dann fließen lassen. , Verdamp lang her‘ hab‘ ich geschrieben, und erst irgendwann, als ich an der letzten Strophe dran war, habe ich überhaupt gemerkt, daß ich da ein Gespräch mit meinem Vater am führen war.
Bei der .Kristallnaach‘ war das ähnlich, das ist während eines Griechenland-Urlaubs entstanden. Das ist so ne Macke von mir, daß ich sehr oft irgendwo hinkomme und mir überlege: ,Wie sind hier die Umstände gewesen‘ 1 Zum Beispiel, wenn ich in Deutschland rumfahre: ,Wie mag’s hier in der Nazizeit ausgesehen haben?‘ Das ist irgendwie so ’n Trauma. Oder ich fahr‘ durch Frankreich und denk‘ mir: ,Wie mag das hier während der Besatzung gewesen sein? 1 ME’Sounds: Die beiden Songs “ Verdamp lang her“ und „Kristallnaach“ sind ziemlich unterschiedlich. Bei „Verdamp lang her“ merkt man, daß es für dich privat ein Thema, ein Problem gewesen ist, während „Kristallnaach“ eher eine allgemeine Sache ist, Stichworte, die man natürlich nicht in dieser Form auch von anderen Leuten hört.
Niedecken: „.Kristallnaach‘ ist für mich auch ein privates Thema. Ich habe ja eben gesagt, daß ich dieses Trauma habe, daß ich mir immer wieder vorstelle… Ich hab 1 zum Beispiel Angst davor, daß die Leute dann, wenn’s hier mal wieder losgeht, keine Zivilcourage aufbringen. Ich glaube absolut nicht an die Zivilcourage in unserem Kulturkreis. Und wenn ich vom 10. Juni singe (Tag der großen Friedensdemonstration in Bonn, bei der auch BAP auftraten – Red.), dann singe ich auch wieder nur über das Gefühl, das ich gehabt habe an diesem Tag, als ich auf der Bühne stand.“
ME/Sounds: Wie weit geht generell dein politisches Interesse?
Niedecken: „Das geht sehr weit, und ich habe auch sehr oft das Gefühl, daß ich zu wenig tue. Aber es ist sehr schwer für jemanden, der an so ’ner Position steht wie ich im Moment, Stellung zu beziehen. Das kann sofort dahingehend umkippen, daß man Leute manipuliert. Das möchte ich nicht. Ich möchte den Leuten nicht sagen, wählt das oder tut das, oder: Ich tu‘ das, also vollzieht jetzt den Schritt, daß ihr das auch macht.“
ME/Sounds: Du hast früher mal gesagt: “ Wir wollen keine Curuband sein, die Lösungen bereit hat.“ Aber es gibt von euch Buttons, Poster, alles mögliche; viele Fans sehen dich mit Sicherheit als eine Art Vorbild an. Solltest du denen dann nicht nur sagen, was du alles schlecht findest, sondern auch Alternativen aufzeigen zum Beispiel im Song über den “ Wellenreiter“ 9 Niedecken: „Dem .Wellenreiter‘ sage ich nur: Junge, hör‘ auf, hinter irgend ’nem Scheiß herzulaufen, find‘ dich lieber selber, fang‘ mal an, nach dir selber zu suchen, und hör‘ auf, dich als Ständer für irgendwelche Zubehörartikel zu betrachten!‘ Wenn du eben auf diese Button- und Plakat-Angelegenheiten zu sprechen kommst: Ich habe mittlerweile auch ein sehr merkwürdiges Gefühl gegenüber dem Zeug, ich kann’s eigentlich nicht mehr sehen. Daß wir das immer weiter machen, hängt sehr stark damit zusammen, daß die Frau, die bei uns diesen Stand hat, von Anfang an dabei war. Und es wäre jetzt blöd zu sagen, das lassen wir jetzt.“
ME/Sounds: Noch mal zum Thema „Curuband“. Wenn die Leute dich nun mal – ob du willst oder nicht – als Vorbild ansehen: Solltest du dann nicht doch ein bißchen klarer Stellung beziehen?
Niedecken: „Ich will’s nicht. Ich will den Leuten nicht sagen, was sie zu tun und zu lassen haben. Ich möchte ihnen nur sagen, über bestimmte Themen lohnt es sich, Gedanken zu machen. – Diese ,No-Future‘-Angelegenheit ist ja nicht aus dem hohlen Bauch entstanden. Die Leute haben sich gesagt: ,Was soll das Ganze? Wen interessiert das eigentlich noch, was ich hier mache?‘ Die haben ihre Winzigkeit dermaßen überempfunden, daß sie sich überhaupt nichts mehr getraut haben.
Und das, denke ich, ist falsch. Man sollte auch als absoluter Wmzling überlegen, was man gut findet, was man nicht will, und sich dann danach verhalten. Man kann sich schon aus dem kleinsten Kreis heraus, in seiner nächsten Umgebung sehr politisch verhalten und damit auch viel erreichen. Wenn zwei Leute zusammen sind, dann entsteht schon irgendwie ’ne Art von Politik. Du kannst einen gut behandeln, du kannst einen schlecht behandeln, das ist auch schon eine Sache von Politik. Deswegen ist für mich ein Liebeslied übrigens auch politisch, nur in einer etwas weiter gesteckten Bedeutung.
Mal abgesehen davon: Vor Lindenberg hat sich keiner getraut, so etwas zu tun; ein Liebeslied auf deutsch war absolut .. Man hat da einfach Terrain überlassen an die Abteilung Schnulzen-Heini. Das ist eigentlich ganz blödsinnig, eine gigantische Sache wie die Liebe, die so die Welt bewegt, den Idioten zu überlassen.“
ME/Sounds: Du hast vorhin den 10. Juni erwähnt. Siehst du in Auftritten bei Demos nicht die Gefahr, daß eine Band wie BAP vor bestimmte Karren gespannt wird und einigen Demo-Besuchern zu ihrem persönlichen Mitklatsch-Erlebnis ä la „ZDF-Hitparade“ verhelfen soll. Das ist vielleicht noch stärker bei den Bots, deinen Label-Kollegen, die eher Pohtschlaper machen, der Fall Niedecken: „Den Bots nehme ich eigentlich nichts ab. Die treiben Schindluder mit meiner Lieblingsmusik, der Rockmusik. Man kann einfach nicht hingehen und sich denken: ,Wie komme ich an die Kids ran? – Ich bin jetzt ganz clever und nehm‘ mir Rockmusik und tu‘ da die Texte drauf, die die Kids mitkriegen sollen, und dann ist alles easy.‘ So was kann ich nicht entschuldigen, auch wenn sie tausendmal Label-Kollegen sind.
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ME/Sounds: Bei der Friedensdemonstration bist du aufgetreten, bei der „Grünen Raupe“, der Wahlkampf-Tournee der „Grünen“, entgegen anderslautenden Gerüchten nicht…
Niedecken: „Bei der .Grünen Raupe 1 wäre die Sache die. Ich würde den Leuten durch unseren Auftritt sagen: , Wir sind auch dafür, daß ihr jetzt alle die Grünen wählt! 1 Wenn ich auf ’ner Friedensdemonstration spiele, dann ist das ’ne ganz andere Aussage; dann habe ich denen noch lange nicht gesagt, was sie wählen sollen- Das liegt auf einem ganz anderen Level.“
ME/Sounds: Kommen wir zu einem anderen Aspekt deiner Popularität. Gibt es Probleme mit der Band, weil du so gleichberechtigt ihr auch nach innen seid – von den Medien oft als der Boß dargestellt wirst?
Niedecken: „Ich kann mir vorstellen, daß im Moment, wo wir hier sitzen und wieder mal die Wolfgang-Niedecken-Interviewnummer laufen lassen, ein paar Leute draußen durch die Halle laufen und denken: ,lst das jetzt okay, daß der schon wieder antwortet?‘ Aber eigentlich sind wir uns darüber im klaren, daß das okay geht; ich spreche ja für die Band.
Es ist eine etwas gespaltene Angelegenheit – Eifersucht innerhalb der Band gibt’s jedoch überhaupt keine, weil die Band von innen intakt ist und die Sache eigentlich so abläuft, daß ich hier nur eine ganz kleine Nummer bin. Wenn irgendwas zu entscheiden ist, dann habe ich genausoviel zu sagen wie unser Techniker, wie unser Bassist. Es gibt Punkte, von denen habe ich überhaupt keine Ahnung, da beteilige ich mich noch nicht mal an der Meinungsbildung.“
ME/Sounds: Eine Frage, die man vielleicht eher den Konzertbesuchern stellen sollte: Hast du eine Erklärung für euren Erfolg?
Niedecken: „Es sind viele kleine Mosaiksternchen, die zu diesem BAP-Bild, das die Leute mittlerweile haben, beigetragen haben. Dieses Unprofessionelle von den ersten Auftritten, irgendwie haben wir das immer noch. Es können sich viele Leute vorstellen, daß sie das selbst auch machen würden, was wir da tun. Früher habe ich sogar bei Konzerten noch auf ’nem Hocker gesessen, ich wußte nicht, wie man sich auf der Bühne bewegt. Es war immer nachvollziehbar, was wir gemacht haben.“
ME/Sounds: In der November-Ausgabe des Satire-Magazins „Titanic“ tauchst du in der Liste der sieben peinlichsten Persönlichkeiten des Monats auf. Es heißt dort unter anderem, der „Karohemdträger“ Niedecken singe „pseudosentimentale Maffayaden“… Trifft dich so etwas?
Niedecken: „In dem Moment, als ichs gelesen habe, hat mich das sehr getroffen. Ich hab’s leider genau eine Stunde vorm Auftritt gelesen, das hat mich ziemlich zum Grübeln gebracht. Aber dadurch, daß ich mit einem ganzen Haufen Freunde unterwegs bin, konnte ich darüber reden. Das hat mir sehr schnell darüber weggeholfen.
Ich glaube, der Junge, der das geschrieben hat, ist sehr verkrampft; er macht sich große Gedanken über Kleidung und so Sachen. Mir vorzuwerfen, daß ich gern karierte Hemden anziehe… ein paar Zeilen weiter ist es auch sehr peinlich, wie sich der Typ über abgewetzte Lederjacken aufregt. Ich bin mir sicher, daß er seine Lederjacke, seine abgewetzte, irgendwo ganz weit versteckt hat, weil die Dinge jetzt nicht mehr angesagt sind.
Und zu den .pseudosentimentalen Maffayaden‘: Warum .pseudo? Wenn ich sentimental sein will, dann frage ich nicht diesen Typen, ob ich das darf. Ich lasse die Dinge einfach aus mir rauskommen.
ME/Sounds: Zur Kritik an deinen Texten: Wie schätzt du sie selber ein?
Niedecken: „Ich habe natürlich viel hingehört bei diesen Vorbildern, bei den Stones, bei den Kinks, bei Dylan. Beim Dylan weiß ich eigentlich schon zu sehr Bescheid. Wenn das der Fall ist, gerät man in eine bestimmte Gefahr, daß man nämlich sein eigenes Feeling total vergißt und nur noch das macht, was der Dylan m dem Fall jetzt gerade machen würde. Du kannst dir denken, daß ich das nicht besonders gut finde. Aber ich sehe die Gefahr für mich auch, ich kenn‘ den Dylan wirklich Zeile für Zeile.“
ME/Sounds: Kannst du dir vorstellen, selbst einmal „gerettet“ zu werden – so wie Bob Dylan das auf „Saved“ besingt?
Niedecken: „Gestern abend wollte mich noch einer retten. Wir hatten so einen Bibelforscher-Jugendclub da, die hatten Flugblätter gemacht mit meinem Songtitel .Wenn et Bedde sich lohne däät‘ (Wenn das Beten sich lohnen würde). Ich finde das eigentlich schön, daß die Leute sich damit auseinandersetzen.
ME/Sounds: Bist du streng christlich aufgezogen worden?
Niedecken: „Sehr streng. Weniger im Elternhaus, aber mit zehn Jahren bin ich in ein stockkatholisches Internat gekommen. Da war ich acht Jahre lang einigen ziemlich sadistischen Heinis ausgeliefert, die mir diese Glaubensnummer komplett ausgetrieben haben. Diese Sache kann ich nicht vergessen, wenn ich da an einzelne Dinge denke… Du mußt dir vorstellen, da sind 12-, 13jährige Jungs rumgelaufen, die wurden gequält speziell von einem, der hat jetzt mittlerweile seine Pfarrei irgendwo in Solingen. Das war ein sadistischer Knaben-Befummler, der einen ausgenutzt und unter Psychodruck gesetzt hat; das ist ungeheuer. Wenn ich den Typen sehen würde, würde ich ihm heute noch eine runterhauen.“
ME/Sounds: Was hast du in der Internatszeit für ein Verhältnis zu deinen Eltern gehabt? Hast du es ihnen nicht übelgenommen, daß die dich da reingesteckt haben?
Niedecken: „Ich habe zu meinen Eltern immer ein sehr gutes Verhältnis gehabt. Aber ich war so was von verängstigt zu dieser ganz harten Zeit, daß ich gar nicht gewagt habe, meinen Eltern zu sagen, was da ablief. Mein Vater hat mich irgendwann mal zufällig nackt unter der Dusche stehen sehen und bemerkt, daß mein ganzer Rükken rot und blau war von Stockschlägen. Ich erzählte ihm unter großen Vorbehalten vom Internat, und dann hat mein kleiner, grauer Vater dort wirklich den wilden Mann rausgelassen. Da hat es nicht lang gedauert, bis dieser betreffende Pater blitzartig weg war.
ME/Sounds: Wenn du in einem Song über persönliche Erlebnisse berichtest, hast du dann beim ersten Mal Probleme, ihn – abgesehen von Freundin und Band – einem größeren Kreis vorzustellen?
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Niedecken: „N^-. ::^;.:l~ 1 _-.:..;.u. in den Kreis der Band vorgedrungen ist, dann gewinnt es vollkommen an Sicherheit. Denn in der Band hält ja keiner seine Kritik zurück. Die Diskussion geht bis zum Punkt, an dem das Ding aufgenommen wird. Und wenn’s dann aufgenommen ist, dann ist die Sicherheit vollständig, dann kann ich mich auf die Bühne stellen und Sachen singen, über die ich mir vorher sehr unsicher war.“
ME/Sounds: In vielen deiner Songs und in Texten der Begleithefte tauchen Aussagen über die Beziehung zu deiner Freundin Carmen auf. Aber das sind alles sehr positive Sachen über die große Liebe – liegt das an der Eigenart zu eurer Beziehung, oder ist bei der Schilderung negativerer Aspekte die Grenze deiner Offenheit erreicht, die Grenze, deine Gefühle zu zeigen?
Niedecken: „Die Grenze ist nicht erreicht. Es ist ein Zufall, daß bis jetzt alles nur Stücke über die positiven Aspekte von so ’ner Beziehung sind. Ich glaube, ich würde mich nicht zurückhalten, wenn mich jetzt die negativen Sachen so beeinflussen würden, daß da ein Stück draus wird.
Ich hab‘ nur vorher Beziehungen durchgemacht, die waren dermaßen von der Rolle ich hab‘ ja schon negative Liebeslieder gemacht, .Anna‘ ist ja nun wirklich nichts Positives. Jraadus‘ ist sehr negativ, aber man versucht sich dann noch mal hochzuziehen; .Helfe kann dir keiner 1 ist ein sehr trauriges Lied aus einer früheren Phase mit einer anderen Dame, wo ich über lange Jahre auf dem Schlauch gestanden habe.
Deswegen war auf einmal auch dieses Abhebe-Feeling so schön, daß ich da Lieder drüber geschrieben habe. Und wenn da negative Sachen kommen würden, glaube ich nicht, daß ich das zurückhalten könnte. Wenn ich ein bestimmtes Thema im Kopf hab‘ und darüber jetzt unbedingt ein Stück machen will, kann ich das nicht umgehen. Das muß ‚raus, selbst wenn ich es dann nicht irgendwo spielen würde. Aber es muß raus als Stück, sonst hab‘ ich’s nicht bewältigt.“
ME/Sounds: Auch du hast früher mal eine Alkohol-Phase gehabt…
Niedecken: „Ich habe in der Schlußphase von dieser zehn Jahre währenden Tortur-Beziehung ziemlich heavy getrunken, Unmengen Bier gesoffen und teilweise auch zum Frühstück mein Fläschchen Korn. Damit habe ich wirklich durch die Musik aufgehört. Ich habe festgestellt, wenn ich so weitersaufe, kriege ich keinen Auftritt mehr hm. Ich habe mir beim Auftritt selbst, inklusive Soundcheck, einen Kasten Bier reingetan, ich war aufgedunsen, bestimmt 15 Kilo schwerer als jetzt.“
ME/Sounds: Was bei BAP momentan auf der Hand liegt, ist das Thema „Geld“. Bist du mittlerweile Millionär 7 Niedecken: „Ich weiß es nicht, da mußt du mal den Balou (BAP-Roadmanager, und mehr als das – Red.) fragen. Ich weiß es nicht, aber es wird natürlich in nächster Zeit eine Menge Geld auf mich zukommen.“
ME/Sounds: Ihr habt mal gesagt, daß ihr im August ’81 zum ersten Mal fest 1000 Mark pro Kopf und Monat bekommen habt. Das dürfte doch jetzt viel mehr sein.
Niedecken: „Wir zahlen uns momentan 2000 Mark pro Monat aus.“
ME/Sounds: Das scheint mir relativ wenig zu sein. ..
Niedecken: „Die Tantiemenabrechnung wird natürlich extra gemacht. Diese 2000 Mark sind, über den Daumen gepeilt, die Summe, die der Balou jedem von uns pro Monat an irgendeiner Stelle mal ausklinkt.“
ME/Sounds: Ich hake deshalb nach, weil das bei über zwei Millionen verkaufter LPs kaum zu glauben ist.
Niedecken: „Die Kohle von den Tantiemen ist noch lange nicht da, bis jetzt haben wir nur einen Bruchteil von dem, was wir noch kriegen werden. Wenn das kommt, werden wir das teilen, und jeder wird sich die Sachen, die er haben will, kaufen.“
ME/Sounds: Viele deutsche Bands sind schon am Ehrgeiz gescheitert, im Ausland Karriere zu machen. Besteht bei euch diese Gefahr?
Niedecken: „In England werden wir eine Single rausbringen – allerdings auf Kölsch, und nicht, wie die Leute mißverstanden haben, .Knstallnaach‘ auf Englisch. Wir werden das rein aus Quatsch machen und mal gucken, was passiert. In England werden wir wahrscheinlich auch im Fernsehen auftreten und wahrscheinlich keine Resonanz darauf kriegen. Auf Englisch singen: um keinen Preis!“
ME/Sounds: Du singst also weiter auf Kölsch. Wieviel bedeutet dir Köln – jetzt, da du ein halbes Jahr lang auf Tour bist?
Niedecken: „Wenn man weg ist von einer Stadt, die man aus irgendwelchen Gründen mag, dann neigt man immer zu großartigen sentimalen Sprüchen. Dieser Begriff vom Heimweh, der wird mir immer erst dann wieder bewußt, wenn ich nach Köln fahre. Ich bemerke bei mir, daß ich mich freue, wenn ich den Dom sehe – das ist so kitschig, das kannst du eigentlich noch nicht mal schreiben. Ich sehe diesen Dom und denke: Ja, eigentlich hältst du dieses Ding nicht aus, aber es ist doch gut, wenn man jetzt mal wieder in Köln ist.“
ME/Sounds: Ist es eigentlich von LP zu LP schwerer geworden, etwas Neues zu bringen?
Niedecken: „Für mich nicht. Viele Leute haben die Angst, daß das passieren könnte, und wenn ich ganz dunkle Momente hab‘, dann kommt bei mir auch die Angst, wie wird’s denn weitergehen. Aber wenn ich dann weiter überlege, dann habe ich eigentlich diese Angst immer gehabt. Ich bin mit keiner LP so zufrieden wie mit der letzten.“
„Wenn ich mal ganz dunkle Momente habe, dann kommt bei mir auch die Angst, wie’s weitergehen wird.“
ME/Sounds: Die Live-LP bringt ja eine gewisse zeitliche Pufferzone. Wie willst du die nutzen?
Niedecken: „Ich werde mir wahrscheinlich einen VW-Bus kaufen und auf gut Glück in die Gegend fahren und dann wiederkommen, wenn ich es für nötig halte. Ich will einfach mal mehr sehen: ich werde zwar wieder nach Griechenland fahren, weil ich mich auf die Leute dort freue, aber ich werde von da aus auch noch weiterfahren.“
ME/Sounds: Die letzte Frage hast du dir im Song „Verdamp lang her“ von deinem Vater selbst stellen lassen. Bist du da angelanat. wo du hinwolltest 9 Niedecken: „Ich hab‘ da nie hingewollt, ich hab‘ davon noch nicht mal zu träumen gewagt. Und ich hab ( da jetzt eigentlich immer noch keine Ziele. Was ich sehr gern möchte, ist einfach, immer weiter locker Sachen zu können, ohne daß irgendwelche Zwänge dahinterstehen. Ich glaube, ich werde auch aufhören, wenn ich merke, es kommt nichts mehr.“