Wolfgang Niedecken
Auf eine Alm in den Alpen müsste er sich verkriechen, um in Zeiten wie diesen noch unpolitische Songs zu schreiben. Doch da ihn die braune Haselnuß mehr beschäftigt als der blaue Enzian, greift er lieber in die politischen Vollen. Wolfgang Niedecken über die neue Härte und die Faust in der Tasche.
ME/SOUNDS: Die internen Krisen und Krache der letzten Jahre sind längst begraben, aber die bösen Zungen sticheln weiter: Hinter BAP verberge sich doch nur noch das alte Ehepaar Niedecken/Heuser.
NIEDECKEN: Wieso sind die Zungen böse? Die Komponisten/Texter-Gespanne, die man so kennt, sind doch alle alte Ehepaare! Man muß nur aufpassen, daß die Spannungen nicht zur gegenseitigen Neutralisierung führen. Diese Gefahr besteht immer — auch bei uns.
ME/SOUNDS: Spätere „Silberhochzeit“ abo nicht ausgeschlossen ?
NIEDECKEN: Ach wo. der Major und ich spornen uns immer noch zu Leistungen an, die jeder für sich alleine nicht erreichen würde. Und außerdem: Never change a winning team. Wir beide haben im Privatleben nicht viel miteinander zu tun. Er ist an anderen Sachen interessiert und vom Naturell her ein ganz anderer Typ. Genau deshalb ergänzen wir uns auch — auf unsere Weise. Wir hokken nicht zusammen und schreiben Songs; diese Märchen-Vorstellung gibt es nicht. Wir wollten es bei dieser Platte probieren, aber das kriegen wir einfach nicht hin. Der Major hatte mir eine Cassette mit Song-Ideen gegeben, ich hab dazu Text-Entwürfe gemacht, und dann wurden die Stücke in der Band unter seiner Leitung erjammt. Nur hatten wir diesmal eine längere Anlaufphase als sonst.
ME/SOUNDS: Woran lag’s?
NIEDECKEN: Nach jeder Tour machen wir zwei Jahre Pause, und wenn du dich dann wieder triffst, um eine neue Platte aufzunehmen, ist das nicht mehr so organisch, wie das in einer Band sein sollte. Das ist blöde, aber das is! nun mal so. Wir haben in den letzten Jahren weiß Gott was probiert, um dagegen anzugehen — mit der Club-Tour beispielsweise. Dann hat sich jeder ein kleines Studio im Keller eingerichtet, um mit den anderen mal zwischendurch spielen zu können. Aber das machst du dann doch nicht. Da jammt jeder lieber mit anderen befreundeten Musikern — der Major mit Brings oder ich mit Zeltinger.
Aber ich würde mir wünschen, daß wir nach der nächsten Tour nur ein halbes Jahr pausieren und dann ab und zu jammen — und sei es nur zum 01dies prügeln. Hauptsache man muß nicht immer wieder von vorne anfangen.
ME/SOUNDS: Du hast eigentlich keinen Grund zum Jammern. Die neue Scheibe „Pik Sieben“ kommt mal ohne Mainstream-Verpackung aus. Die Riffs sind dreckig und simpel, so erdverbunden klangen BAP lange nicht mehr.
NTEDECKEN: Der Major hatte diesmal eine Art Ladehemmung, teils aus privaten Gründen — er ist Vater geworden —, teils auch weil er diesen Gitarren-Sound, den wir immer als „internationale PopMusik“ belächelt haben, selbst nicht mehr hören konnte. Schon nach den ersten Riffs auf seinen neuen Tapes habe ich gemerkt: „Ahu, er probiert’s einfacher. “ Da hat offensichtlich ein Geschmackswandel stattgefunden.
Nach den dreiwöchigen Anfangssessions in Köln sind wir alle in Maffays Red Rooster-Studios in Tutzingen gezogen — und da lief’s dann prächtig. Wir haben probiert, verworfen, neu-arrangiert. Es war ein bißchen wie damals, als wir „Von drinne noh drusse“ im Bahnhof Ahrdorf-Studio in der Eifel aufgenommen hatten…
ME/SOUNDS: Unterscheidet sich Maffays topmoderner Studio-Komplex mit seinen Komfort-Apartments nicht doch ein wenig vom Hippie-Kommunen-Flair in der Eifel?
NIEDECKEN: Sicher. Vor allem der Balou, unser Manager, meinte, das sollten wir uns nicht nochmal antun, da würden wir uns nur auf die Nerven gellen. Da hatte er wohl recht. In Tutzing hatte jeder seine Privatsphäre — und du bist trotzdem mit den anderen zusammen.
Trotzdem: Ich könnte mir immer noch vorstellen, mit Isomatte und Schlafsack in die Türkei ¿
zu fahren, nur mußte es ein sehnelleres Auto sein als damals.
Aber die Idylle von früher künstlich heraufzubeschwören, wäre wohl keine gute Idee. Jeder in der Band kennt die Macken des anderen. Und es gab auf Tourneen immer mal Zeiten, in denen der eine auf den anderen nicht gut zu sprechen war. Wir sind beileibe nicht der Zwergenstamm, den Sebastian Krüger auf dem Cover so schön ironisch gezeichnet hat.
ME/SOUNDS: BAP, wie Krüger sie sieht könnt ihr könnt heute über euch selbst lachen?
NIEDECKEN: Natürlich können wir das, das ist auch immer so gewesen.
ME/SOUNDS: Davon hat man in der Vergangenheit nicht viel gemerkt.
NIEDECKEN: Wir haben ein etwas ernsteres Image, als uns in Wirklichkeit zusteht. Dabei waren wir vor unserem Durchbruch 1982 vor allem eine Band, bei der auf der Bühne mörderisch der Spaß abging. In die Öko-Szene und die alternativen Kreise sind wir eher zufällig reingeraten, das war ja auch okay. Nur wurden wir seitdem immer diesem Lager zugerechnet — aber wer die Band kennt, weiß, daß bei uns viel gelacht wird.
ME/SOUNDS: Die letzten „blonden Mohikaner“, singst du auf der neuen CD, „kommen aus Gütersloh“ — gemeint sind frustrierte Mittvierziger. Was wäre denn aus dir ohne BAP geworden?
NIEDECKEN: Ich wäre wohl ein mehr oder weniger erfolgreicher bildender Künstler. Und wenn ich davon allein nicht leben könnte, würde ich als Graphiker jobben, um mir meine Malerei zu finanzieren. So hab ich ja auch vor BAP gelebt.
ME/SOUNDS: Der „Mohikaner“-Song ist kein Vorbote für die Midlife-Krise?
NIEDECKEN: Ach wo, ich hab soviel Schwein im Leben gehabt, daß ich beim besten Willen nicht von Krise reden kann.
ME/SOUNDS: Nicht einmal ein paar wehmütige Erinnerungen an wüste Tourneen mit WG-Catering, Groupies inklusive?
NIEDECKEN: Nee. da hab ich mich sowieso nie groß bedient. Zu der Zeit war ich in festen Händen.
ME/SOUNDS: Ob wir das glauben sollen…?
NIEDECKEN: Nee, ehrlich, das waren andere, die Zugriffen. Ich habe mich eher dagegen gewehrt. Zu der Zeit habe ich eh viel gesoffen, lag breit im Schlafsack, war aber ansonsten sehr solide. Erst nachdem meine Ehe in die Brüche gegangen war, begann meine Abdreh-Phase. Da hing ich frustriert in der Gegend nun und dachte nur: „Scheiße, jetzt hast du Erfolg und bist trotzdem allein. “ Dann war ich auch schon mal den besagten Mädels nicht abgeneigt — aber dadurch wurde es nur noch schlimmer. Bei meiner Erziehung (grinst) weißt du, daß sich sowas nicht gehört. Danach kam ich mir erst richtig beschissen vor. Damals mußte ich mir mein bißchen Lebensfreude buchstäblich zusammenkratzen, und das hörte man auch den Liedern an. Aber diese Zeit ist zum Glück vorbei.
ME/SOUNDS: Immerhin lechzt du heute, du seist „scharf wie die Sichel vom Mond“.
NIEDECKEN: Den Song habe ich während eines Urlaubs mit meiner Freundin Tina auf den Philippinen geschrieben. Ich lag in der Hängematte, las gerade ein Buch von Bodo Kirchhoff — ,.Infanta“, das spielt auf den Philippinen. Dazu der Tropenregen, die Mondsichel am Himmel und die Tina nur durch eine Wand von mir getrennt.
Ich hätte zu jeder Zeit zu solchen Gefühlen gestanden, nur hätte ich sie wohl nicht in einen Song gepackt. Vielleicht kann ich jetzt über solche Sachen schreiben, weil es mir mit ihr so gut geht.
ME/SOUNDS: Westernhagen ist weniger zimperlich, der röhrt, er sei vor „Geilheit ganz krank“…
NIEDECKEN: Geilheit ist ein Wort, das mir schon auf der Zunge lahm wird — ich würde das schon deshalb nicht aussprechen, weil es mich unsäglich langweilt.
ME/SOUNDS: Mit Poesie geht alles besser.
NIEDECKEN: „Scharf wie die Sichel vom Mond“ ist zumindest für mich ein starkes Bild.
ME/SOUNDS: Aber du würdest jetzt nicht auf der Bühne das Becken kreisen lassen und dir zwischen die Beine langen?
NIEDECKEN: Das glaub ich kaum. Es nervt mich ungeheuer, wenn sich Michael Jackson ständig an den Schniedel greift. Soll jeder machen, wie er will. Ich würd’s wohl nicht machen, aber versprechen, versprechen möcht ich’s nicht (lacht).
ME/SOUNDS: Stehst du lange vorm Spiegel, bevor du auf die Bühne gehst?
NIEDECKEN: Ich kann nicht sagen, daß ich uneitel bin. Ich denke schon darüber nach, was ich anziehe. Ich möchte auf der Bühne nicht wie ein Depp rumstehen, da überleg ich mir schon, ob ich mir langsam die Haare mal wieder wasche.
ME/SOUNDS: Was wäre denn, wenn die Matte eines Tages lichte Stellen bekäme? Echte Berufsrokker wie Elton John schwören aufs Toupet, Udo Lindenberg bevorzugt die Hut-Variante.
NIEDECKEN: (lacht) Ich bin zum Glück nicht in dieser Situation. Aber wenn mir die Haare ausgingen, würde ich sie mir. solange das nicht wirklich beschissen aussieht, ganz kurz schneiden. Und wenn’s gar nicht mehr geht, würde ich mir eine Glatze rasieren lassen wie Julian Dawson. Das kommt doch gut. Ich würde jedenfalls nicht auf jugendlicher Poseur machen.
Nimm zum Beispiel den Major, bei dem wird die lichte Stelle hinten am Kopf auch immer größer. Was soll’s. Mal geht er mit, mal ohne Mütze auf die Bühne. Er kommt sich deswegen nicht blöde vor. Wenn du deine „Platte“ unter Mützen und Tüchern versteckst, werden die Medien nur noch neugieriger. Ich wüßte auch mal gerne, wie Little Steven ohne Kopftuch aussieht (lacht).
ME/SOUNDS: Von den Kahlköpfen zu Gipsköpfen — in ,Jipsmann“ singst du vom „Horror vorm Beichten“, von der Inquisition und daß sich sogar „Schweine-Parteien“ mit Christi Namen schmücken dürfen. Ist die Abrechnung mit der katholischen Kirche noch immer nicht beendet?
NIEDECKEN: Ich schreibe solche Stücke nicht als Abrechnung — auch dieser Song ist eher aus einem Zufall heraus entstanden. Ich hatte mir auf dem Flohmarkt diese Jesus-Büste gekauft. Und meine beiden Kinder haben prompt gefragt, warum ich mir denn ausgerechnet sowas in die Bude stellen würde. Das hat eine Menge Assoziationen ausgelöst. Und das mußte ich ihnen dann erklären — aber das erfordert genaue Formulierungen und einfache Bilder.
Die Fragen meiner Kinder verblüffen und inspirieren mich immer wieder, du siehst danach vieles mit anderen Augen. Die klaren Gedanken, die Kinder sich machen, gehen den Erwachsenen leider ab. Du kannst viel von Kindern lernen.
ME/SOUNDS: Abo „Kinder an die Macht“?
NIEDECKEN: (lacht) Ich glaube, das hat der Herbert Grönemeyer damals nicht so emst gemeint.
ME/SOUNDS: Aber seine Absicht, die Fehde zwischen euch zu beenden, die war emst gemeint?
NIEDECKEN: Ja, ich bin wirklich heilfroh, daß diese lange Phase der angespannten Atmosphäre endlich vorbei ist. Wir haben uns im letzten Jahr in Frankfurt, beim „Heute die, morgen Du“-Festival gegen Rassismus, mit Handschlag begrüßt. Wir hatten vor- und nachher lange und ausführlich miteinander telefoniert. Über diese sogenannte Fehde zwischen uns gab es ja die skurrilsten Gerüchte: Wir hätten nicht zum gleichen Zeitpunkt bei unserer Plattenfirma durch den Flur laufen können und ähnlicher Quatsch.
ME/SOUNDS: Grönemeyer hat kürzlich wieder ordentlich auf den Tisch gehauen, ab die Lufthansa 500 Videos dieses Festivak kostenlos an Goethe-Institute geschickt hatte und er sie per einstweiliger Verfügung zurückholen ließ — weil er nicht gefragt worden war. Hätte man den folgenden Medien-Eklat nicht durch vorherige Gespräche vermeiden können?
NIEDECKEN: Der Herbert ist ein ungeheurer Gerechtigkeits-Fanatiker. Sobald der nur wittert, daß ihn einer falsch eintütet oder ihm das Wort im Mund umdreht, geht er an die Decke.
Bei uns liegt die Reizschwelle etwas tiefer. Aber in der Sache hatte er recht: Die Lufthansa hätte diese Aktion nicht, ohne Zustimmung der Künstler starten dürfen. Und das ist keine Lappalie.
Ich fand diesen Video-Versand überhaupt sehr bedenklich. Man darf nicht vergessen, daß die Goethe-Institute auch Vorzeige-Charakter für Deutschland im Ausland haben. Während die Politiker bei uns so tun, als würde die rechte Gewalt nicht existieren, werden wir Künstler im Ausland als Muster-Deutsche gezeigt, die gegen den Neonazismus auf die Straße gehen. Diese Heuchelei der Politiker ist widerlich.
ME/SOUNDS: Nach den Morden in Mölln protestierten die deutschen Musiker auf einer Reihe von Festivals in Köln, Bonn, Frankfurt oder I^eipzig gegen Neonazis. Was bleibt nach Solingen davon übrig — nur Ohnmacht?
NIEDECKEN: Solche Aktionen können nicht ausreichen, da darf man sich keine Illusionen machen. Ich bilde mir auch nicht ein, daß wir mit unseren Liedern oder Aktionen per Knopfdruck die Welt verändern können, aber ich hoffe, daß sich wenigstens ein bißchen in den Köpfen verändert.
ME/SOUNDS: In Köln habt ihr nach dem „Arsch huh“-Konzert eine gleichnamige AG gegründet. Hat das was gebracht?
NIEDECKEN: Wir haben über eine Million Mark eingenommen und stehen derzeit in Kontakt mit Jugendzentren in Ostdeutschland, die geschlossen wurden und die wir gerne wieder eröffnen würden. Dann haben wir von einer Pädagogengruppe Unterrichtsmaterialien erstellen lassen, die über Stadtbibliotheken an Kölner Schulen verteilt wurden. Ziel war, anhand des „Arsch huh“-Konzertes das Thema Neo-Faschismus zu diskutieren. Und später haben wir noch eine Woche gegen Ausländerfeindlichkeit in Köln mit initiert — ein großes Erfolg. Bei manchen Aktionen haben sogar stadtbekannte Atheisten in der Kirche gesungen.
ME/SOUNDS: Du auch?
NIEDECKEN: Nee, ich hab bei einem Kölner Karnevalsverein mitgesungen, das fand ich lustiger. Meine Probleme mit dem institutionalisierten Karneval sind ja bekannt. Und da stand ich dann mit den Gardesoldaten auf der Bühne, und wir haben zusammen „Arsch huh“ gesungen — das war schon ein toller Moment.
Man darf den Kopf jetzt nicht zu sehr hängen lassen. Ich weiß nicht, was passiert wäre, wenn wir Mitte November ’92 nicht angefangen hätten, gegenzuhalten. Ich glaube, es wäre wahrscheinlich noch mehr passiert.
ME/SOUNDS: Bleibt dir ein Song wie „Kristallnaach“ heute nicht im Hals stecken?
NIEDECKEN: Das läßt sich nur schwer beschreiben. Als ich auf dem Festival in Frankfurt sang, hatte ich wirklich einen Kloß im Hals. Ich hab nur gedacht: „Hoffentlich kriegst du’s zu Ernte gesungen. “ Ich merkte, wie mir das Wasser in die Augen stieg und der Kloß dicker wurde.
Bei dem „Arsch huh“-Konzert war’s genauso. Wir haben auf dem Chlodwigplatz gespielt — dort, wo ich aufgewachsen bin. Ich erinnere mich noch an eine Passage bei Heinrich Böll. in der er beschreibt, wie die SA über den Chlodwigplatz marschiert und welche Angst er dabei hatte. Und als ich in Köln“.Kristallnaach“ sang, hättest du eine Stecknadel fallen hören können, weil sie alle wußten, um was es ging. Die „Kristallnaach“ hatte ja auch auf dem Chlodwigplatz stattgefunden.
Aber als das Konzert vorüber war, hatte ich auf einmal ein ganz merkwürdiges Gefühl. Einerseits war ich froh, daß so viele Leute gekommen waren und es keine Probleme gegeben hatte. Und dann hatte ich auf einmal Angst. Ich wohne nur 200 Meter von dem Platz entfernt. „Was machst du“, dachte ich, „wenn dir au) dem Heimweg ein paar rechte Idioten auflauern und dich zusammenschlagen.“
ME/SOUNDS: Die Toten Hosen bekamen nach dem Erfolg ihrer „Sascha“-Single rechte Drohbriefe und eine Klage der „Republikaner“ ins Haus…
NIEDECKEN: Das ging uns ähnlich, es blieb jedoch nicht nur bei Drohbriefen. Meine Haustür wurde über Monate hinweg angerotzt, man schob mir Drohungen unter der Tür durch. Ich wohne halt mittendrin, und die Leute wissen das, auch wenn mein Name nicht an der Tür steht. Aber davon mal abgesehen, gab es auch ermutigende Signale. So sollte beispielsweise am gleichen Tag unseres „Arsch huh“-Festivals ein Konzert mit Störkraft in Köln über die Bühne gehen — das hat die Stadt einfach verboten.
ME/SOUNDS: Wie hast du die nahezu hysterische Medien-Resonanz auf rechte Rock-Bands wie Störkraft empfunden?
NIEDECKEN: Das war grauenhaft, ich habe mich schwarz geärgert über diese Art der Berichterstattung. Vor allem über die Begründung, daß man den journalistischen Auftrag habe, diese Arschlöcher zu interviewen. Muß man diesen Idioten denn auch noch ein Forum bieten, sich zu profilieren?
ME/SOUNDS: Daniel Cohn-Bendit, All-Sponti und mittlerweile Multi-Kulti-Referent in Frankfurt, hatte etwas anderes probiert: Er wollte öffentlich diskutieren, ob die Böhsen Onkelz, gewissermaßen als bekehrte Fascho-Band, Vorbild-Charakter für rechtsextreme Jugendliche haben könnten.
NIEDECKEN: Ich finde den Versuch nicht falsch. ME/SOUNDS: Er hat dafür, vor allem von der Linken, viel Kritik einslecken müssen.
NIEDECKEN: Die Linke ist leider sehr oft störrisch und verbohrt. Ich finde es nicht gut, alle in einen Sack zu stecken. Zwischen Störkraft und den Böhsen Onkelz liegen Welten.
Die Böhsen Onkelz hatten mir einen Brief geschrieben und mich gebeten, doch mal unvoreingenommen ihre Texte zu lesen. Das habe ich gemacht. Von ihren unsäglichen alten Songs wie „Türken raus“, von denen sie sich lange distanziert und deren Entstehung sie tausendmal erklärt haben, jetzt mal abgesehen, würde ich ihre Stücke in etwa in die Sauf- und Rauf-Heavy Metal-Ecke in der Gegend von Iron Maiden einordnen. Das ist nicht meine Musik, ganz bestimmt nicht. Aber wenn die sich jetzt von ihrer Vergangenheit lösen wollen, finde ich es falsch, sie für alle Zeiten zum Sündenbock zu machen.
Vielleicht wäre es gar nicht so schlecht, zu zeigen, daß man sich von hirnrissigen Ideen auch lösen kann. Das wäre für viele der frustrierten Kids vielleicht wichtiger, als wenn sich Pop-Größen dahinstellen, von denen man eh weiß, daß sie links stehen.
ME/SOUNDS: Nach der Häme, die du und andere in den 80ern für politische Texte einslecken mußten, scheint es momentan eher andersherum zu sein, werden von dir Songs gegen die braune Gewalt erwartet. Eine überraschende Wende?
NIEDECKEN: Abwarten. Auf der neuen CD befassen sich viele Songs mit diesem Thema. Daß wir für unser Engagement früher oft kritisiert worden sind, hat uns nicht sonderlich gestört. Meine Texte haben immer von dem gehandelt, was sich gerade bei mir im Kopf abspielte. In Zeiten wie diesen müßte ich mich schon auf eine Alm in die Alpen zurückziehen, um unpolitische Songs schreiben zu können.
Die Morde von Solingen hauen mich einfach um. Und ich merke an mir selbst, daß mich die rechte Gewalt, die Art, wie die Leute miteinander umgehen, aggressiver gemacht hat. Wenn es früher auf einer Demo zu Ausschreitungen gekommen ist, habe ich entweder versucht, das zu schlichten oder ich habe gemacht, daß ich wegkomme.
Heute bringt mich sowas schnell auf die Palme, mir würde vielleicht sogar selbst die Hand ausrutschen. Ich merke, wie sich bei mir die Faust in der Tasche ballt und ich richtig laut werde — so war ich früher nie. Ich meine, ich würde heute wahrscheinlich genauso reagieren wie früher in vergleichbaren Situationen, nur sieht es in meinem Inneren anders aus.