WIRE


Im Vorprogramm von Roxy Music waren Wire in Deutschland auf wenig Gegenliebe gestoßen. Die vier Engländer, die eher ihre Instrumente verschrotten würden, als dem Publikum um den Bart zu gehen, beharren auf ihrer Rolle als Nicht-Musiker. Unbeugsam auf der Bühne, unbeugsam im Interview. Seit Erscheinen ihrer zweiten LP gehören die extravaganten Briten zu den fesselnden Neuerscheinungen auf der englischen Szene. Aber sie machen es einem nicht leicht.

Es heißt, daß die vier Musiker von Wire beharrlich schweigen können. Das ist möglicherweise übertrieben. Man kann mit ihnen über Gott und die Welt reden, wenn man in Kauf nimmt, daß einem ständig exaltierter Widerspruch entgegenschlägt, daß sie einen vielleicht nicht ganz für voll nehmen oder eine Diskussion in den Bereich des Abstrakten treiben und dann abbrechen, weil konkrete Aussagen über sie und ihre Musik schwer aus ihnen herauszuholen sind. Die Rollen sind verteilt: Sänger/Gitarrist Colin Newman – ein äußerst kritischer, aber beständiger Gesprächspartner; Bassist Graham Lewis – exaltiert und ein wenig arrogant; Gitarrist Bruce Gilbert – mürrisch scnweigend, hin und wieder ein brummelnder Einwurf; schließlich Drummer Richard Gotobed, der nur stiert und schweigt.

Du mußt mit ihnen klarkommen, nicht sie mit dir. Und wer sich von der zweiten WireLP, „Chairs Missing (fünf Sterne in ME 12/78), antörnen ließ, kann bei einem Konzert schon völlig vor den Kopf gestoßen sein. „Es ist nicht unser Interesse, das Album auf der Bühne zu reproduzieren“: Wire sehen ihre Aufgabe nicht darin, dem Publikum einen netten Abend zu bereiten. Schließlich sei es kein Kunst, die Leute mit bewährten Methoden zum Klatschen zu bringen. „Wir wollen ein Konzert interessant halten,“ erklärt Graham. „Bei den Gigs spielen wir oft sehr viel neues Material – damit müssen die Leute klarkommen. Natürlich bekommst du immer Zuspruch, wenn du bekannte Titel bringst. Deshalb spielen so viele Bands auch Rock’n’Roll-Songs. Das bedeutet guaranteed reaction. Aber das langweilt uns.“ Und was ist, wenn die Zuhörer eure neuen Songs nicht mögen? „Das ist hart …… für sie!“ Colin und Graham blicken entschlossen, ich zweifelnd.

Daran muß ich denken, als ich abends im Hamburger Congress-Centrum zwischen zwei verfeindeten Lagern stehe. Die einen brüllen nach Roxy, die anderen spenden verbissen Beifall, und der Rest verläßt den Ort der seltsamen Handlung. Die vier Gestalten dort oben auf der schwach beleuchteten Bühne scheinen sich wirklich nichts aus dem wütenden Protestgeschrei zu machen. Ich habe nur den Eindruck, daß sie den Buh-Rufern voll Überlegenheit ihre Unfreundlichkeit heimzahlen.

Zugegeben: Wer unvorbereitet in ein Wire-Konzert gerät, mag verstört sein. Doch nach einem fast 60minütigen Fight mit der Band ist man erstaunlich sensibilisiert für das, was vor sich geht. Jede Stimmung aus dem Publikum scheint zurückzukommen. Seiten habe ich ein derartiges Feedback erlebt. Wire, die wie die frühen Roxy Music als Nicht-Musiker (mit Einschränkungen) die Szene betraten, behandeln ihre Instrumente; sie spielen nicht. Während die kurzen Songs ihrer zweiten LP in der Haupsache positive Ausstrahlung besitzen, kann so ein Auftritt durchaus bösartig werden. Das Album liefert wie gesagt nur ein grobes Gerüst für die Auftritte. Dazwischen ist sehr viel Raum für Launen und spontane Eingebungen. Da kann es passieren, daß Bruce mit der Gitarre wie mit einem Waschbrett umgeht. Wütend! Ein unorthodoxes Sound-Happening, das Stimmungen provoziert, reproduziert, verarbeitet. Da liegt es an dir, ob du dich geohrfeigt fühlst. Wire wollen mit jedem einzelnen kommunizieren, nicht mit einer grauen Masse, die in riesigen Rockarenen gleichgeschaltet von den Sitzen aufspringt oder die Arme in die Luft wirft. Denn das wäre ja zu billig! ,,Es ist schwerer, die Leute zum Denken zu bringen, aber interessanter.“ Und: „Wir bringen keinen Spaß – genug andere tun das.“

Nicht langweilig sein, ihre Arbeit (für sich und das Publikum) interessant halten, nicht auf konventionellen Erfolg programmiert sein – darauf läuft es bei Wire hinaus. Kreativ bleiben, irgendetwas machen – darauf kommt es an. Und zur Zeit ist es eben das Medium Musik, das sie fesselt. Der Art-School-Background klebt noch unverkennbar an ihnen; aber noch sind ihre Ideen so frisch, daß ihre Kompromißlosigkeit glaubhaft wirkt. Aber werden sie es wirklich rechtzeitig merken, wenn sie sich irgendwann in eine normale Rockband verwandeln? Sie wollen aussteigen, ehe es soweit ist; nicht so weitermachen wie Roxy Music, nachdem Eno draußen war. Wirklich? ,,Na gut, das sagen wir heute“, geben sie ungern nach hartnäckiger Befragung zu.

Über sich selbst sprechen sie nicht gern, auch nicht über ihre Musik. „Alles, was es dazu zu sagen gibt, geht aus den Songs hervor.“ Auf die geradezu plastische Atmosphäre angesprochen, die „Chairs Missing“ ausstrahlt, meint Colin nur, es sei ein wichtiger Faktor, daß ihre Musik hauptsächlich aus Atmosphäre bestehe. Aber es habe keinen Sinn, über abstrakte Dinge zu sprechen. „Das kannst du zu Tode analysieren.“

Seit April arbeiten Wire an einer neuen LP. Auf die Frage, ob sie fortfahren wollen, so extrem kurze Songs zu machen, regt sich Graham auf: „Wer hat eigentlich die Regel aufgestellt, wie lang ein Song zu sein hat?“ (Hat euch irgendjemand einen Vorwurf gemacht?) „Unsere Songs haben die richtige Länge!“ (Ist ja gut!) „Ein Song ist so lang, wie er lang ist. Wir haben eben keine Lust, eine Idee über eine LP-Seite auszudehnen. Das ist Zeit- und Geldverschwendung.“ (Völlig deiner Meinung, aber du läßt mich ja nicht ausreden!) Ihr Verhältnis zur geläufigen New Wave-Szene definieren Wire so, daß sie nicht dazugehören. „Nach der Initialzündung kam die große Desillusion“, erklärt Colin. ,,Die Bands der ersten Stunde sind kaputt oder sind dabei, sich zu zerstreiten. Es gibt jetzt viele neue Bands, die das, was sie tun, ernst nehmen. Bei der Punk-Bewegung ging es darum, einen Lebensstil zu entwikkeln, anstatt etwas zu kreieren.“ Und Graham fügt gleichnishaft hinzu: „Wir sind nicht hier um zu antworten, sondern mehr daran interessiert, Fragen zu stellen und nicht zu predigen.“

Keine „Schlagt kaputt“-Thesen, keine Parolen. Aber: als Wire im Berliner „Esso 36“ auftraten, gab es mächtig Krawall, als einige Jugendliche aus Protest gegen die hohen Eintrittspreise den Club stürmten. Der Laden liegt in Berlin-Kreuz berg im Viertel der Ärmsten und erweckte Unwillen wegen seiner provozierenden Exklusivität. Edelpunks sollen hier für ein Bier bereitwillig 5 Mark bezahlt haben, während in der Kneipe nebenan manch einer gerade zwei Mark dafür übrig hatte. „Wir konnten nicht begreifen, warum sie diesen Club angegriffen haben“, kommentiert Graham den Überfall. „Wenn sie meinen, daß der Club nicht richtig geführt wird – warum machen sie nicht ihren eigenen auf, anstatt das zu zerstören, was genug andere gut finden?“

Unnötig zu fragen, ob die Wire-Musik von der Straße kommt, aber interessant, auf eine Antwort zu spekulieren. „Die Straße? Wo ist die?“ Colins Miene wird verächtlich, als habe er den großen Rock’n Roll-Schwindel durchschaut. „Ich meine, daß die Musik aus den Köpfen der Leute kommt.“ Graham sieht’s radikaler:,,Wenn du auf die Straße gehen willst, dann schließt du dich einer revolutionären Gruppe an. Dann singst du nicht, sondern du tötest.“