„Wir werden nie erwachsen sein“
Ergründete eine Band. Sie veröffentlichte eine Platte. Und jeder hat sie geliebt. Jetzt erscheint das zweite Album von Art Brut, und es ist wieder gut. Ein Interview mit Eddie Argos,dem Komiker mit Tiefgang.
Eddie Argos hat es geschafft: „Ready, Art Brut?“ So lautet seine Frage vor jedem Song, wenn er mit seiner Band, die – aber dazu kommen wir später – eigentlich eine Gang ist, auf der Bühne steht. Nach dem Debütalbum Bang Bang Rock’n’Roll wurden die Bühnen und Hallen, in denen das Quintett (das sich seinen Namen von Jean Debuffets Begriff für Außenseiterkunst entlieh) auftrat, immer größer. Und wir standen im Publikum und freuten uns des Lebens. Spätestens nach dem vierten oder fünften Konzert jedoch schlichen sich leise Zweifel in so manchen Hinterkopf: Klar, diese Songs trafen den Nagel auf den Kopf, verbanden Humor und Rock, Pop und Spaß. Aber was konnte denn noch groß kommen nach „Emily Kane“ und dem kleinen Bruder, der den Rock’n’Roll für sich entdeckt hat? Art Brut boten ein perfektes Bild moderner Schnelllebigkeit. Da ist es verständlich, dass man sich ab und zu mal fragt, ob diese Band am Ende nicht doch nur ein sehr heißes Strohfeuer sein könnte.
Aber zurück zum Anfang – Eddie Argos hat es geschafft: Er und seine Brut haben ein Album aufgenommen, das tatsächlich nicht wie ein Abklatsch des ersten klingt. Erstaunlich, It’s A Bit Complicated heißt es. Für Argos selbst jedoch ist alles ziemlich einfach.
War es „a bit complicated“, sich an die Arbeit für ein neues Album zu machen?
Nicht wirklich. Ehrlich gesagt habe ich mir überhaupt keine Gedanken gemacht. Ich habe einfach weitergemacht. Ich bin kein komplizierter Charakter. Ich bin ein ziemlich einfacher Typ. Kompliziert wurde es erst, als wir im Studio waren und das Album aufnahmen. Na, ja, eigentlich war das auch nicht besonders kompliziert. Wir haben nur die ganze Zeit behauptet, alles sei ein bisschen kompliziert. Da war es nur logisch, dass dieses geflügelte Wort dann zum Titel wurde.
Nun sind ja die Geschichten, die du auf dem Album zu erzählen hast, tatsächlich ein bisschen kompliziert…
(lacht) Nur so kompliziert wie das Leben! Aber du thematisierst ja schon Probleme, die jeder junge Erwachsene kennt. Du erzählst eine recht klassische Geschichte vom Erwachsenwerden.
So ist es. Beim ersten Album bin ich in die Rolle eines 17-jährigen geschlüpft. Diesmal bin ich vielleicht 19 oder 20. Beim nächsten Album bin ich dann vielleicht 22. Und wenn ich mich beeile, habe ich vielleicht irgendwann mein tatsächliches Alter eingeholt.
Bist du nostalgisch?
Und wie! Ich lebe in der Vergangenheit! Manchmal mache ich mir sogar Sorgen um mich selbst: Ob das nicht vielleicht ein Zeichen dafür ist, dass ich überhaupt nicht mit der Realität klarkomme und eigentlich verrückt bin? Nein, war nur ein Witz! Ich bin in der Tat ein sehr nostalgischer Mensch, aber ich glaube, das hat vor allem damit zu tun, dass ich irgendwann eingesehen habe, dass der Begriff „erwachsen“ ein Konstrukt ist, das mit deiner persönlichen Wirklichkeit nicht viel zu tun hat. Man macht sich halt noch immer Gedanken, welche Hose man anzieht, auch wenn das Sorgen sind, die man ab einem gewissen Alter nicht mehr haben sollte. Machen wir uns doch nichts vor. Wir sind alle manchmal kindisch, das ist auch okay so. Bis zu einem gewissen Alter erwartet man unheimlich viel vom so genannten „Erwachsenwerden“. Irgendwann kommt man an den Punkt, an dem man einfach Bescheid weiß.
Weißt du jetzt, wo du im Leben stehst?
Ich weiß überhaupt nichts. Alles ist genauso unsicher wie vorher. Aber ich weiß, dass das völlig normal ist. Und das ist eine Menge wert. Da wird man gleich viel entspannter.
Andererseits dreht sich auf dem neuen Album sehr viel um die Auseinandersetzung mit verschiedenen Lebensentwürfen und um Abgrenzung vom prototypischen Umgang mit dem, was die Erwachsenen unserer Eitergeneration unter „erwachsen“ verstehen.
Selbstverständlich, ich habe nie ein geregeltes Leben geführt. Ich hatte einen Haufen Jobs. Ich habe als Postbote gearbeitet, hinter der Bar Bier gezapft, solche Sachen. Aber ich wusste immer, dass das nichts ist, was ich mein Leben lang machen will. Wir waren eine Zeit lang pleite. Das hat keinen Spaß gemacht. Aber es war immer noch besser, als einen langweiligen Job anzunehmen. Da habe ich keine Lust drauf.
Es ist immer einfacher, zu formulieren, was man nicht will, als sich Gedanken darüber zu machen, was man wirklich will…
Ich weiß bis heute nicht, was ich will. Ich wollte in einer Band spielen. Das mache ich jetzt. Ich habe alles im Leben erreicht. Hurra!
Und die Band wollte zu „Top Of The Pops“.
(lacht schallend): Ja! Und dann haben die das einfach abgesetzt, die Schweine! Die haben meinen Lebenstraum versaut! Ich möchte, dass die gesamte Musikpresse sich dafür einsetzt, dass es „Top Of The Pops“ wieder gibt. Sonst habe ich nichts, auf das ich noch hinarbeiten kann.
Ihr wart doch in Deutschland da!
Stimmt. Das kann man gelten lassen. Wir brauchen ein neues Ziel. Diesmal wollen wir ins „TOTP“-Magazin.
So etwas gibt es?
Ja, draußen im Aufenthaltsraum der Plattenfirma liegt eins rum, mit Tokio Hotel auf dem Titel. Ich will genauso groß werden wie das Mädchen, äh, der Junge von Tokio Hotel. Ich will ein Interview, ein großes Bandfoto und einen Songtext, der auf einer Seite im Original und auf der anderen in der deutschen Übersetzung steht! Das wird fantastisch… Siehst du? Ich werde nie erwachsen sein, alles wird immer gleichbleiben.
Das kann ich mir kaum vorstellen. Du sprichst doch die ganze Zeit vom juvenilen Wandel. Immerhin geht es bei „People In Love“ auch darum, dass Trennungen mit einer gewissen Routine nicht mehr so schlimm sind.
Oh, da wollte ich nur mal einen ehrlichen Song über Trennungen schreiben. Es ist doch so: Irgendwann muss man sich gestehen, dass man den Ablauf nach einer Trennung ziemlich genau kennt. Es tut schrecklich weh, man betrinkt sich und heult seine Freunde voll, irgendwann tut es nicht mehr so weh, man heult weniger, macht schon wieder bittere Witze, während man sich mit seinen Freunden betrinkt, und so weiter. Die Welt geht nicht unter, auch wenn es sich anfangs so anfühlt. Man lebt weiter. Und dann fängt alles wieder von vorne an. Ich habe den Song nach einer Trennung geschrieben, als ich mir all diese Gedanken selbst gemacht habe. Meine Ex-Freundin meinte, sie wolle ohne mich nicht leben und überstehe das nicht. Da habe ich gesagt: Sei doch mal ehrlich zu dir! Du wirst nicht sterben. Du wirst dich bald wieder neu verlieben und eventuell irgendwann wieder trennen. Sei realistisch. Alles ist doch halb so wild.
Du schreibst immer mehr persönliche Songs. Wie kommt das?
Ich finde es leichter, über Dinge zu schreiben, von denen ich was verstehe. Außerdem halte ich mich nicht für etwas Besonderes oder für anders als die anderen Leute. Ich bin nicht gut darin, mir Geschichten auszudenken, zu denen ich keinen persönlichen Bezug habe. Und ehrlich gesagt bin ich dazu auch meistens zu faul.
Hast du nicht manchmal Angst, dich damit selbst zu kompromittieren?
Keineswegs. Damals, als ich „Emily Kane“ sang, dachten alle, das sei eine erfundene Geschichte oder ich wolle einen besonders lustigen, ironischen Witz machen. Aber die Geschichte stimmte, und ich war der Meinung, ein tolles Liebeslied geschrieben zu haben. Das war schon ein bisschen frustrierend. Ich bin eine ehrliche Haut und sage, was ich denke. Egal ob in einem Song oder hier in diesem Interview.
Glaubst du, ihr werdet manchmal als musikalischer Witz wahrgenommen?
Das will ich doch nicht hoffen. Ich schreibe Songs, als würde ich mich mit Leuten unterhalten. Um die Unterhaltung etwas zu beleben, mache ich öfter mal einen Witz. Das ist schlicht meine Art, ein Gespräch aufzulockern. Ich mache niemandem was vor. Wenn ich Songs darüber schreibe, was es mir damals bedeutet hat, ein Mixtape von einem Mädchen zu bekommen und mir zu jedem Song Gedanken zu machen, ob er nicht eine versteckte Botschaft enthalten könnte, oder-noch viel schlimmer – wie ich selbst Mixtapes gemacht habe und die ganze Zeit grübeln musste, ob die Botschaft gleichzeitig subtil und verständlich genug ist.
Machst du heute noch Mixtapes?
Selbstverständlich! Dummerweise hat kaum mehr jemand ein Tapedeck. Andererseits ist das Medium Kassette so fantastisch, weil man nicht einfach einen Song weiterskippen kann. Wenn ich heute jemandem ein Mixtape schenke, kaufe ich gleich einen Walkman dazu. Die Dinger kosten ja so gut wie gar nichts mehr. Das finde ich viel schöner als Mix-CDs.
Ihr macht immerhin noch LPs von euren Alben. Das ist dem Medium Kassette schon näher.
Klar, da macht man sich beispielsweise Gedanken, mit welchem Song die zweite Seite anfängt. Die Choreografie eines Albums wird viel wichtiger, wenn man das Medium berücksichtigt. Ich würde es lieben, unsere Alben auch auf Kassette herauszubringen. Vinyl ist eine Mischform, ein Kompromiss. Ich halte nicht viel davon, sich einzelne Songs auf iTunes oder ähnlichen Plattformen zu kaufen, das wird dem Albumcharakter gar nicht gerecht.
Trotzdem schreibst du Songs, die für sich selbst stehen können.
Na klar, das Single-Geschäft funktioniert ja genau so. Ich glaube, dass ein Song, egal wie viel stärker er im Gefüge eines Albums wirken kann, immer eine eigene Kraft entwickeln muss. Songs, die nicht für sich selbst stehen können, haben auf einem Album nichts zu suchen. Da muss jeder eine Hookline und eine Aussage haben, die alleine Sinn ergibt.
Hast du nie das Gefühl, vielleicht zu viel von dir in einem Song zu offenbaren?
(lacht) Ich habe schon einen Song über Erektionsprobleme geschrieben. Wie kann ich mich denn noch lächerlicher machen? Ich glaube, es gibt nichts, über das ich keinen Song schreiben würde.
Würdest du auch einen Song über einen großen, schmerzlichen Verlust schreiben?
Ja. Selbst das wäre Anlass für mich, einen Song zu schreiben. Allein deshalb, weil es mir das Schreiben hilft, meine Gedanken zu ordnen. Ich mag zwar wie ein lustiger Vogel rüberkommen, aber im Grund tue ich das alles vor allem für mich selbst.
Art Brut sind ja nicht gerade das Medium, mit dem man sensibles Songwriting zu selbsttherapeutischen Zwecken verbinden würde…
Wieso eigentlich nicht? Wir sind mit Rockmusik aufgewachsen. Wir betrinken uns, gehen tanzen, machen laute Musik. Aber trotzdem haben wir doch unsere Probleme. Ich sehe keinen Grund, weshalb Humor und Ernsthaftigkeit, Nachdenklichkeit und Lautstärke nicht zu vereinbaren wären. Es geht darum, sich auszutauschen, Freunde zu finden. Das ist das Schönste daran, in einer Band zu spielen und die ganze Zeit auf Tour zu sein: Man trifft ständig neue Freunde. Sowohl andere Musiker als auch Leu«te, die zu unseren Konzerten kommen.
Fans, die nach den Konzerten mit euch rumhängen wollen, gehen euch nie auf den Geist?
Argos: Nein! Ich liebe es, neue Leute kennen zu lernen. Man kann nie genug Freunde und Bekannte haben. Das ist es ja: Ich lebe meinen absoluten Wunschtraum. Ich treffe permanent Leute, sehe die Welt und kann mir auch noch viele andere Bands angucken. Das ist sehr inspirierend. Es ist geradezu das Paradies.
Gibt es Musiker, mit denen du gerne zusammenarbeiten würdest?
Es gibt einen Haufen tolle Bands, die ich beneide, weil mir nie so gute Songs einfallen. Aber eine Zusammenarbeit mit Art Brut halte ich für unmöglich. Wir sind nicht nur eine Band, wir sind eine Gang. Da passt kein Blatt dazwischen. Solo oder in anderer Zusammensetzung kann ich mir viele Nebenprojekte vorstellen. Aber Art Brut sind Art Brut. Ohne Gäste, ohne Kompromisse.
www.artbrut.org.uk