„Wir sitzen alle in der Falle“


P.I.L. sind wieder da. Sie tanzen Tango mit den Mumien des Punk und geben den Fast-Toten des Heavy Metal eine Mund-zu-Mund-Beatmung. Sylvie Simmons traf in London einen mit sich und seiner Band zufriedenen Johnny — selbst der alte Name Rotten ist wieder da.

Als ich Johnny Rotten im Londoner Virgin Hauptquartier i treffe, preßt er gerade sein Gesicht gegen ein Fenster, verdreht seine Glupschaugen und macht mit Zeige- und Mittelfinger das V(ictory)-Zeichen. Er erschreckt ältere Damen auf der Straße und sorgt bei seiner Plattenfirma für Befremden und Verzweiflung.

Doch Johnny Rotten ist heute viel ruhiger als er jemals war. Er ist weiß gekleidet, hat sich mit Mühe herausgeputzt. Privat und beruflich ist er zufrieden, sowohl mit der Band, mit der er seit zwei Jahren zusammen ist (Lu Edmonds, John McGeoch, Alan Dias und Bruce Smith) wie auch mit seiner aus Stuttgart stammenden Frau, der Mutter von An Up von den Slits. „Das hat nichts mit zur Ruhe setzen oder so zu tun“, erklärt Johnny, „wir sind ganz einfach nur glücklich.

Das ist a es.“

Das neue Album ist die Fortführung des quasi-Metal Sounds, den er schon mit Session-Musikern wie David Lee Roths Gitarristen Steve Vai und Ginger Baker auf Album eingespielt hatte. Auch einige der alten Rotten-Themen tauchen auf, und manchmal bewegt es sich in tanz-orientierte Bereiche.

Happy? ist der Titel der LP. Warum das Fragezeichen??

„Warum nicht? Mich fasziniert es, daß so viele Journalisten ein Fragezeichen in einem Album-Titel so merkwürdig finden.“

Weil wir doch diejenigen sind, die die Fragen stellen.

„Das ist richtig! Und wenn man diesen natürlichen Lauf der Dinge umkehrt, dann sind alle verblüfft.“

Johnny Rotten hat mir einmal, damals in der Pistols-Zeit, gesagt, „das Leben ist ein langer, düslerer Marsch. Und dennoch muß man das Beste daraus machen — niemand ist glücklich.“

„Richtig.“ Rotten grinst entwaffnend. „Und ich glaube, genauso habe ich es gemacht. Das Leben ist sehr hart. Die Gesellschaftsformen, die wir, die menschliche Rasse, uns geschaffen haben, sind unsere Versklavung. Wir sitzen in der Falle, wir werden unterdrückt von Steuern und Gesetzen und Vorschriften und allen möglichen Widrigkeiten, die das Leben eben unbequem machen. „

„Und dann bekommst du diese ganzen Pop-Platten“, wirft Lu ein, „die auch nicht viel besser als zwei Aspirin wirken.“

Zeug wie Madonna, Michael Jackson, Samantha Fox, die Leute, die „die Industrie beherrschen und niemandem einen Platz lassen“.

die Leute, die P.I.L. mehr als alle anderen hassen.

„Das Leben ist ein Kampf, sagt Lu. „Das hat schon Lenin gesagt und der ist tot.“ Beide lachen.

„Mit großer Freude würde ich zusehen, wie die Musikindustrie stirbt“, sagt John. „Sie verdient es. Uns würde das auch bestimmt nicht davon abhalten weiterzuarbeiten.“

Die letzte Tour von P.I.L. in England war schon fast eine Farce. John McGeoch wurde ins Krankenhaus geschafft und sein Gesicht mit 57 Stichen genäht, nachdem ihn eine Flasche getroffen hatte; John hat geschworen, nicht mehr in Großbritannien aufzutreten, weil die Leute ihn angespuckt haben.

„Punks haben es zugelassen, daß sie zu Comic-Figuren werden, zu einem Teil der Sklavenwelt, die vollkommen tot ist, im Vergleich zu dem, was Punk ursprünglich und eigentlich bedeuten sollte“, sagt John.

Aber hat man nicht gerade aus ihm auch eine totale Comic-Figur gemacht?

„Ich bezweifle das sehr. Oft versucht, doch nie erreicht. Ich bin sehr anpassungsfähig an meine jeweilige Situation, ich verändere mich ständig.“

Ist Johnny Rotten anzuspucken nicht das gleiche, wie Tom Jones mit Damen-Slips zu bewerfen?

„Nein, Nein! Ich habe vom Beginn meiner Karriere an gesagt, daß ich es nicht mag, wenn die Leute mich anspucken, es ist respektlos. Die Leute, die spucken, sind dieselben, die in all diese Konzerte nur gehen, um Rabatz zu machen. Schlachtenbummler.“

Seine Songs, sagt er, seien seine „Babies“. Er mache sich um sie Sorgen, er könne ihretwegen nicht schlafen, letztlich sei er aber doch sehr stolz auf sie. Er sagt, er erwarte voll und ganz, daß sie „für die meisten Leute sehr schwer anzuhören seien, bis sie gelernt haben, wie es geht.“ Er definiert Musik „einfach als organisierten Lärm.“

Er ist immer noch idealistisch, „da es P.I.L. immer geben wird. Ich bin für alle Zeiten dazu entschlossen, P.I.L. nicht zerstören zu lassen. Ich werde keine Lügen oder irgendein blödes Image verkaufen. Wir sind nicht die Herren des Universums und wir versuchen auch nicht, es zu sein. Wir machen ganz einfach nur weiter.“

“ Und wir haben normal große Penisse“, sagt Lu.