Wieso der Schlagzeuger Wolfgang Flur nach 17 Jahren im Kraftwerk den Stecker zog
Ou hast Ralf Hütter 1996 zuletzt gesehen. Wie kam das Treffen zustande?
Wir hatten uns auf Initiative von Emil Schult (das „heimliche“ fünfte Kraftwerk-Mitglied – Anm. d. Red.) verabredet. Emil hat mich immer mal bedrängt, wieder Kontakt mit den Jungs aufzunehmen.
Was hat das Gespräch gebracht?
Tja, eigentlich nix. Es hat mir gezeigt, daß es richtig war für mich, den Hut zu nehmen, weil Ralf vom Musiker zum Sportler geworden war. Er hat den Radsport genauso perfektionistisch betrieben wie früher die Musik.
Wissen Ralf und Florian von Deinem Buch?
Ich nehme es an. Ich nehme auch an, daß es ihnen überhaupt nicht recht ist. Emil weiß von dem Buch, und Emil hat ja Kontakt zu Ralf und Florian. Er hat mir gegenüber schon ein paar Bemerkungen gemacht, die natürlich von deren Adresse kamen. Wenn er etwas sagt wie „Meinst Du, es wäre gut, dieses Buch zu schreiben? Vielleicht zerstört es ja den Kraftwerk-Mythos. Du hast doch auch davon profitiert“, dann weiß ich, daß das die Worte von Ralf oder Florian sind. Sie haben tierische Angst vor dem Buch, weil sie denken, sie kämen schlecht weg.
Ich finde nicht, daß sie schlecht wegkommen Ja! Ich habe auch gar keinen Grund, Kraftwerk schlechtzumachen. Wir sind Menschen, wie alle anderen auch. Wir haben Schwächen und Stärken. Und ich hatte vorwiegend mit den Stärken von Kraftwerk zu tun. Das Buch ist eigentlich eine Hymne an Kraftwerk, auch wenn die Sache für mich traurig geendet hat. Meine Entscheidung, zu Kraftwerk zu gehen, hat mich zur elektronischen Musik gebracht. Und dafür werde ich ihnen immer dankbar sein.
Im Buch beschreibst Du, wie sich Ralf und Florian als „Arbeitskleidung“ Maßanzüge schneidern ließen, während Sie Dir und Deinem Kollegen Karl Bartos Konfektionsware kauften. Steht diese Begebenheit stellvertetend für die Hierarchie bei Kraftwerk?
Absolut. Ralf und Florian haben immer in der imaginären Chefetage gewohnt, Karl, Emil und ich waren die Mitarbeiter. Ralf und Florian kommen aus sehr wohlhabenden Elternhäusern, wo man sich Maßanzüge hat schneidern lassen.
Wie wurden die Einnahmen aufgeteilt?
Ich muß das klarstellen: Kraftwerk ist eine Erfindung von Ralf und Florian. Die beiden haben sich geschäftlich nicht in die Karten gucken lassen. Wir anderen wurden ja nun auch nicht schlecht bezahlt. Aber es war von Anfang an klar, daß wir keine Beteiligung an den Tantiemen bekommen würden.
Aber ihr habt ein Festgehalt bekommen?
Ja, das haben wir immer wieder neu ausgehandelt.
Du gibst als Grund für Deinen Ausstieg die immer größeren Zeitspannen zwischen den Plattenaufnahmen an. Wie muß man sich diese lethargische Phase vorstellen?
Wir sahen uns immer seltener. Ralf hatte, wie gesagt, eine neue Liebe, sein Fahrrad, und er hatte eine neue „Band“, das war seine Fahrradtruppe. Leute, die er um sich geschart hatte, denn Ralf ist eine Führernatur. Unser Kling Klang-Studio stand damals voller Fahrräder, Reifen und Montagegestelle. Karl und mich hat das zusehends gelangweilt. Wir mußten warten und warten. Und irgendwann habe ich die Lust verloren, weil ich gemerkt habe, daß ich als Mensch übergangen wurde. Nach dem „Electric Cafe“ ist nichts mehr geschehen.
Das ist einfach so im Sand verlaufen?
Ich habe ja nie ordentlich gekündigt, ich war ja auch nie ordentlich eingestellt worden mit Vertrag oder so. Ich hatte irgendwann Freunde bei einer Ausstellung kennengelernt, die hatten ein Möbelatelier in Düsseldorf. Bei denen gefiel’s mir gut, weil sie so menschlich miteinander umgingen. Von da an ging ich immer mehr in das Atelier und immer weniger ins Kling Klang-Studio. Ja, und ich dachte, wenn’s noch irgendwie weitergeht mit Kraftwerk, können die mich ja anrufen. Aber es kam kein Anruf.
Spätestens bei den Aufnahmen zu „The Mix“ hätte Dein Telefon klingeln können.
Die brauchten mich ja nicht für „The Mix“. Das war doch nur eine Aufarbeitung alten Materials. Sie haben jahrelang alte Bänder digitalisiert, das Studio umgebaut und sich die teuerste Elektronik angeschafft. Kraftwerk wurde ein unflexibler Koloß. Kraftwerk waren da am besten, als sie kaum Ausrüstung besaßen, weil sie unheimlich viel improvisieren mußten. Wenn man sich zu sehr mit Bedienungsanleitungen beschäftigen muß, kann man keine musikalischen Visionen mehr entwickeln.
Du erzählst. Du hattest Ralf 1989 angerufen, und er habe nur gesagt, „Wolfgang wer? Kenne keinen Wolfgang“, und dann aufgelegt. Das ist kaum zu glauben.
Ja, das war für mich auch kaum zu glauben. Ich war geschockt. Aber das hat mir bewiesen, daß Ralf menschliche Reaktionen zeigen kann. Das war verletzte Eitelkeit, weil ich nicht mehr gekommen bin, nichts anderes. Er konnte mir gegenüber ja kein Gefühl zeigen, das es mir leichtgemacht hätte wiederzukommen. Wenn er mich angerufen hätte und gesagt hätte, „Komm‘ doch mal wieder bei uns vorbei, Du fehlst uns“,dann wäre ich sofort wieder da gewesen.
Wieso sind Ralf und Florian so öffentlichkeitsscheu?
Kraftwerk waren ja nie eine Teenieband, keiner von uns war ein Frontmann, nach dem sich die Fans verzehrt haben.
Ich habe aber die ersten Artikel über Kraftwerk als 13jähriger in der „Bravo“ gelesen.
Ja, das war schon erstaunlich, wie die „Bravo“ damals über uns berichtet hat. Wir waren trotzdem nie eine Teenieband. Die Entscheidung, in der Öffentlichkeit nicht über unsere Persönlichkeiten zu lamentieren, fand ich immer gut. Das hat uns Ruhe zum Leben gegeben und hat auch den Kraftwerk-Mythos gepflegt. Nur die Musik zählte. Wer sie mag, soll sich die Platten kaufen, sonst nichts. Die Einstellung finde ich heute noch gut.
Dem HipHop-Pionier Afrika Bambaataa, der 1982 in seinem Stück „Planet Rock“ Kraftwerk-Samples verwendet hat, wirfst Du „übelsten Diebstahl“ vor.
Wie der sich verhalten hat, das war übel.
Ist es nicht vielmehr so, daß Bambaataa durch die Sampleaktion Kraftwerk erst einer neuen Generation von Hörern zugänglich gemacht und damit die Legende gefestigt hat?
Natürlich ist es gut, was durch Afrika Bambaataa ausgelöst wurde, aber es hätte auch auf der legalen Ebene ablaufen können.
Glaubst Du allen Ernstes, Bambaataa hätte die Erlaubnis bekommen, die Samples zu benutzen, wenn er nachgefragt hätte?
Das hätte Ralf wahrscheinlich nie zugelassen. Das hat Bambaataa geahnt und deshalb auch gar nicht erst angefragt.
Ich glaube, daß Kraftwerk ohne Afrika Bambaataas „Diebstahl“ heute längst nicht so legendär wären.
Könnte durchaus sein. Das ist nicht ganz falsch gedacht.
Deine Ex-Kollegen haben jüngst 400.000 Mark eingestrichen für den offiziellen Jingle zur „Expo 2000“, der nur ein paar Sekunden lang ist.
Das war ein genialer Deal. Der Florian ist ein guter Geschäftsmann. Mit Sicherheit hat er den Deal ausgehandelt. Sowas konnte Florian schon immer gut, weil er auch sehr gerne viel Geld verdient. Es sei ja jedem unbenommen, gute Geschäfte zu machen. Aber ich frage mich, ob das nicht dem Image von Kraftwerk schadet. 400.000 Mark in Verbindung mit Kraftwerk- das klingt für mich schon fast ein bißchen obszön. Ich gönne es ihnen ja, aber es ist ungeschickt zum jetzigen Zeitpunkt. Das wirkt so, als ob es Ralf nd Florian mehr Spaß machen würde, Geld zu verdienen, als neue Musik aufzunehmen.
Wie lange, glaubst Du, haben Kraftwerk bei ihrem Arbeitstempo an dem Jingle gebastelt?
Ich glaube, das haben die ganz schnell hingekriegt.
Also, wenn sie wollen, können sie’s auch?
Natürlich!