Kolumne

Wie Putinfreunde den „Frieden“ zum Kampfbegriff pervertiert haben

Mit den Boys of Summer per Wohlstandskarre ins Wolkenkuckucksheim. Josef Winklers Kolumne.


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„Out on the road today I saw a ‚FÜR WELTFRIEDEN‘ sticker on a Tesla.“ Na, erkennen Sie das gewitzt abgewandelte Zitat? Steht da jedenfalls letztens vorm Dorfladen ein riesiger weißer Tesla mit dem aus riesigen weißen Buchstaben offenbar selbstgeklebten Slogan auf der Heckscheibe: „FÜR WELTFRIEDEN“. In den Augen von Don Henley stand der „Deadhead sticker on a Cadillac“ in „The Boys Of Summer“ 1984 emblematisch für den Sell-out seiner Generation und der Ideale der Sixties.

Traurig genug. Gut 40 Jahre später, am wohl wiederum nur vorläufigen Höhepunkt des globalen Clusterfucks, in den uns (und damit meine ich mal ganz grob: die Erde und alle ihre Bewohner/innen, die den Odem des Lebens in sich haben) der damals Anfang der 80er zum Siegeszug ansetzende Neoliberalismus (Stichwort „Politikwechsel“) hineingeritten und -gepeitscht hat, sieht’s mit „Weltfrieden“ auf „Swasticar“ ein Stück komplexer aus. Oder nur orwellianischer?

„Für Friede, Freude, Eierkuchen“ oder wie?

Allein das Maß an Stumpfheit resp. Zynismus, das es wohl braucht, um in diesen Zeiten weltweiter blutiger Konflikte, erodierender Bündnisse, fragmentierender Gesellschaften, der Gaza-Katastrophe und eines monströsen Angriffskriegs in Europa überhaupt mit diesem Märchenwort aus dem ideellen Wolkenkuckucksheim hausieren zu gehen, ist ja schon blanker Hohn. „Für Friede, Freude, Eierkuchen“ oder wie? Nicht umsonst wurde es zuletzt eigentlich nur noch ironisch bemüht („Saufen für den Weltfrieden“ etc.), und spätestens seit dem russischen Überfall auf die Ukraine haben die Rechten, die Schwurbler und Putinfreunde von Wagenknecht bis Trump den „Frieden“ gekapert und zum vergifteten Kampfbegriff pervertiert.

Und dann klebt er da, der Weltfrieden, als blöder, leerer Slogan auf dem Arsch einer Hipster-Wohlstandskarre aus der Fabrik ausgerechnet jener Ausgeburt all der niederen Regungen und Eigenschaften, die zu allen Zeiten jedwedem Frieden entgegenstanden – Dummheit, Borniertheit, Hybris, Gier, Fanatismus, Empathielosigkeit, um nur ein paar der nicht allzu justiziablen zu nennen. Jenes grotesken Menschen, der jetzt als hitlergrüßender, ketaminfressender Vollstrecker einer bizarr entmenschten US-Regierung dabei ist, die ohnehin heißlaufende Welt endgültig in Brand zu setzen … Puh. Äh. Sorry, ich weiß: Musikkolumne.

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Tief durchatmen, Josef. Was ich meine: Sorry, Herr Henley, aber ich fürchte, das schlägt die Sache mit dem Grateful-Dead-Aufkleber. „Für Weltfrieden“. So behämmert. Mich erinnert’s inhaltlich und von der beschränkten Diktion her an den modern classic Wahlslogan von Die Basis: „Lieber Frieden als TOT“. Der wiederum klingt wie ein Songtitel von Knorkator (so legendär wie aktuell: „Ick wer zun Schwein“). Ich halte dagegen: Lieber versoffenener Samstag als verkaufsoffener Sonntag! Apropos: Haben wir zwei eigentlich schon auf das Wahlergebnis der FDP getrunken? Ach kommen Sie schon, man muss die Feste feiern, wie sie fallen. Stößchen! Auf den Weltfrieden!

Diese Kolumne erschien zuerst in der Musikexpress-Ausgabe 5/2025.