Kolumne

Wie Ozempic Regression in die Popkultur injiziert hat


Julia Friese erklärt, warum es keine echten Safe Spaces mehr gibt.

Drei Beobachtungen:

1. als die alt-stars noch mal wie damals schienen …

„You want a hot body? You better work bitch“, singt Britney im ausgelaufenen Ende der 2000er-Dekade. The Aughts, wie sie auch genannt werden. Indie Sleaze. Das war die Zelebrierung des Dünn- und Fertigseins. Raw-Party-Pictures. Uffie und Feadz. Remix-Kultur zu Sonnenbrillen und kurzen, federigen Röcken über Stiefeln. All das ist quasi wieder da. Dabei hatte man sich erst 2017 per „Body Positivity“-Dekret darauf geeinigt, dass Frauen im Pop auch mehr wiegen können als 55 Kilogramm. Am besten hatten sie thick sein sollen. Stichwort: BBL (Brazilian Butt Lift). Alternativ ging aber auch eine ­Lizzo– oder Beth-Ditto-Rubensfigur – sofern das Gesicht schön symmetrisch war.

Trotzdem hätte der Durchschnittskörper von der „Body Positivity“ irgendwie mitgemeint sein sollen. Wir sind doch alle schön! Was natürlich stimmen kann, was aber durch die zuvor verinnerlichte Size-Zero-Prägung kaum mehr war als ein: Das-sagt-man-jetzt-so-bis-man-es-glaubt. 2024 nun greifen Atheist:innen zur Sättigungsspritze. Christina Aguilera sieht daher aus wie 2002. Lana Del Rey, Kesha und Katy Perry auch. Ozempic hat Regression in die Popkultur injiziert. Und Shirin David? Die steckt sich tonale Naivität auf ihren All-American-Minaj-Spieß und sticht in Bauch, Beine und Po des Publikums: „Du willst ein‘n Body? (Ja) / dann musst du pushen (uh) / Geh ins Gymmie, werde skinny, mach daraus eine Show“ 3

2. … und katy die parody versuchte …

Erst als sie sich optisch an Amerikas Fünfzigerjahre-Pin-up-Comic „Katy Keene“ orientierte und sich in Katy Perry umbenannte, wurde aus Katy Hudson der TEENAGE DREAM (2010). 2017 begann #MeToo. Und Perry brach zum ersten Mal mit der Keene-Ästhetik. Für WITNESS (2017) schnitt sie sich die Haare kurz, und ließ sich tagelang in einer Art Big-Brother-Haus beobachten, um zu zeigen, dass sie unter Katy Perry auch gelitten habe, dass sie auch Feministin sei. Sie zeigte ihr Dekolleté fortan seltener – und ihr kommerzieller Abstieg begann. Das bisherige Tal hieß SMILE (2020). Die visuelle Welt dieses Albums sah keine Sexualisierung vor. Perry trat als blonder Clown auf.

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Für die Aughts-Wiederkehr wollte Perry nun zurück zu ­Keene – diese Regression aber auch nicht unkommentiert lassen. So collagierte sie für das Video zu „Woman’s World“ die überstrapaziertesten Bilder der westlichen Welt (wie Rosie The Riveter vom „We can do it!“-Poster), um dieses dann sexualisiert im „Lunch atop a skyscraper“-Foto tanzen zu lassen. Auf die Klischees lässt sie einen Amboss fallen, in dem die Zeit vorläuft. Man sieht Frauen arbeiten, Motocross fahren, gewinnen. Katy Perry wird als luftleere und halb-maschinelle Hülle am Strand der Gegenwart angespült. Sie muss sich selbst betanken, um dann Trisha Paytas (Typ: Rubens) zu treffen, die so stark ist, dass sie einen schwerbereiften Truck ziehen kann.

3. … aber man besser lächelte like a swiftie

Shirin Davids „Bauch Beine Po“ ging in den deutschen Charts auf die Eins. „Woman’s World“ aber hat nicht funktioniert. Ein weiblicher Popstar, der sich wie eine Maschine in einen leicht geupdateten Default-Modus zurücksetzt, um roboterhaft davon zu sprechsingen, dass Frauen ja doch die Welt gehört, ist einfach zu bitter, um sich von hinten durchs Auge noch happy-skinny-male-gaze-sexy zu verkaufen. Pop darf sich nicht selbst hinterfragen, er muss sich selbst völlig so meinen.

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Weibliche Sexualisierung funktioniert heute vor allem, wenn sie einem female gaze entspricht, also vorgibt, nicht an Männer adressiert zu sein. Siehe den sapphischen Pop von Chappell Roan und (neuerdings) Billie Eilish. Auch Shirin David gibt vor, für Frauen zu singen, steigt sie doch „mit Carmen, Tina und Angie“ gemeinsam in den „Rangie“. Und Charli xcx ist eine brat für brats in Sonnenbrillen zu kurzen fedrigen Röcken und Stiefeln, die die Remix-Kultur der 2000er zu jeder Single mit einem anderen weiblichen Popstar aufleben lässt. Im Video zu „Guess“ gibt Featuring-Gast Billie Eilish dabei die starke ­Trisha Paytas, fährt mit einem Bagger auf einen Unterwäscheberg.

Taylor Swift bricht Schweigen zur Wien-Konzertabsage: „Neues Gefühl der Angst“

Swifties feierten die Eras-Konzerte als female Safe Spaces, bis die Konzerte in Wien wegen eines vereiteln Terroranschlags abgesagt wurden. Realität ist, dass es natürlich keine echten Safe Spaces, keine vollumfängliche Body Positivity, und in der Öffentlichkeit auch keine vom male gaze befreite weibliche Sexualität gibt. Aber es ist doch der Pop, der uns all diese Utopias glauben machen lassen muss. Gerade jetzt.

Diese Kolumne erschien zuerst in der Musikexpress-Ausgabe 10/2024.