Wie keine langnasige Tiere?


Antworten auf diese und andere noch drängendere Fragen geben Judith Holofernes und Blixa Bargeld im Jahresendzeit-Gespräch mit dem Musikexpress.

Sie haben sich im Frühjahr 2003 in Kreuzberg kennen gelernt, als ihre Bands im selben Studio an ihren jeweiligen Platten arbeiteten. Die Sängerin von Wir sind Helden und der Sänger von Einstürzende Neubauten. Zum gemeinsamen Interview mit Judith Holofernes erscheint Blixa Bargeld im Büro der Plattenfirma schick im Nadelstreifenanzug mit Weste, Krawatte und Blume am Revers, was Frau Holofernes ein bisschen verunsichert. Judith holofernes: Blixa ist immer so schick.

blixa BARGELD: Ich wusste ja auch, dass ich hier zu einer Fotosession komme. Ich kann dir meine Blume geben, dann siehst du total dressed up aus und ich … JUDITH: …total vernachlässigt (steckt sich die Blume an).

MUSIKEXPRESS: Judith darf die erste Frage stellen.

blixa: Wir interviewen uns gegenseitig?

JUDITH: Das ist ja schick!

blixa: So sparen sich die Journalisten Arbeit. Sie laden Leute ein, die sich gegenseitig befragen.

JUDITH: Wann wart ihr denn fertig mit eurem Album? Lange nachdem wir weg waren? Das war April.

blixa: Bei uns hat das nicht sehr viel länger gedauert. Aber es hat natürlich wieder alles in allem viel zu lange gedauert, viel zu viel gekostet und ist wieder in der langen Tradition von Neubauten-Platten, die keinen Pfennig einspielen, weil sie so teuer waren (lacht).

Apropos Geld. Die Neubauten haben bei der Aufnahme ihres neuen Albums einen neuen Ansatz verfolgt. Gegen einen bestimmten Betrag konnte jeder, der wollte, den Aufnahmeprozess auf eurer Homepage verfolgen. Das Geld sollte der Band finanzielle Unabhängigkeit für die Produktion garantierten.

blixa: Wir haben versucht, die Platte jenseits der normalen Plattenfirmenmechanismen herzustellen. Wir hatten ja erstmal gar keinen Vertrag mehr. Wir hatten uns auch gar nicht darum bemüht.

Das Album sollte ja auch nur übers Internet vertrieben werden.

blixa: Ist es ja auch. Die Internetplatte ist ja auch nur an die Supporter gegangen.

Judith: Wie viele Supporter waren denn das?

BLIXA: Am Ende waren es etwas über 2000. Dann wurde uns klar, wenn wir 2000 Unterstützer mit dieser Platte versorgen, würde uns das kaum eine Tour ermöglichen.

Judith: (lacht) Stimmt. Vor allem, wenn sie überall auf der Welt verstreut sind. blixa: Da haben wir uns gedacht, wir müssen noch ein anderes Album* machen. Wir haben mit Mute geredet, und deswegen sitzen wir jetzt auch hier, (zu Judith) Wir sind ja bei derselben Plattenfirma, genau genommen.

Bald gibt ’s sowieso nur noch eine.

blixa: Genau! PERPETUUM MOBILE erscheint am 9.2. bei Mute/Virqin

Judith: Ja, bald gibt es nur noch eine Plattenfirma auf der ganzen Welt.

blixa: Dann haben wir noch eine zweite Platte gemacht und das ganze Geld verbraten. Das Geld von Mute und das von den Supportern. Und wie ging’s bei euch? Zackzack?

JUDITH: Naja, nicht so richtig. Wir haben auch viel länger gebraucht als wir dachten, aber nicht Monate lang. Man leidet, wenn ein Album abgeschlossen ist. Das hätte ich nicht gedacht.

blixa: Du leidest für immer, für eine falsche Betonung, die du hast durchgehen lassen. Immer, wenn du es hörst, ärgerst du dich.

Blixa, es heißt, die Neubauten hätten die Arbeit an manchen Tracks nicht fortgesetzt, wenn die Supporter nicht darauf bestanden hätten.

blixa: Wir haben auf unserer Website angeboten, dass die Supporter eine exklusive Platte bekommen, die es nicht im Handel geben wird und dass sie an der Entstehung dieser Platte teilnehmen können. Wir haben das Studio mit Webcams ausgestattet und regelmäßig Sessions übertragen. Die Supporter konnten uns bei der Arbeit zusehen und gleichzeitig im Chat ihre Kommentare dazu abgeben. Und wir konnten auf Monitoren sehen, wie unsere Arbeit ankam. Wenn wir was Uninteressantes gemacht haben, haben die Leute über ganz andere Dinge geredet. Auf der anderem Seite insistierten sie, dass wir an gewissen Sachen weiterarbeiten sollten. Bei mir ist es oft so, wenn ich bei einem Song nach zwei Anläufen das Gefühl habe, er funktioniert nicht, dann denke ich, er ist schlecht und schmeiße ihn weg.

Ich stelle es mir schon schwierig vor, innerhalb einer Band fünf Meinungen unter einen Hut zu bringen

blixa: Na ja, ist ja gar nicht so mit den fünf Meinungen. Meistens, wenn ich irgendetwas vorschlage, dann wird das einfach akzeptiert. Ich kriege vom Rest der Band eigentlich nie irgendein Feedback.

bist du ein diktator?

BLIXA: Nö. Wir spielen jetzt seit fast 25 Jahren zusammen. Ich komme nicht an und sage: „Ich stelle euch jetzt mal meinen neuen Text vor. Und, was haltet ihr denn davon?“ Nein, ich singe, und einer fragt vielleicht hinterher „Was ist das für ne Zeile? ‚ Aber ansonsten kriege ich da nicht viel zu hören.

Judith: (lacht) Ist das gut oder schlecht ?

BLIXA: Es ist so.

Judith: Das ist interessant. Und auf jeden Fall selten.

blixa: Es ist einfach so. Und mit den Unterstützern war das natürlich komplett anders. Bei einem Stück wurde ich konkret auf einen inhaltlichen Fehler im Text aufmerksam.

JUDITH: Das ist großartig!

blixa: Ich habe den Text dann geändert, obwohl er schon aufgenommen war, weil er einfach inhaltlich falsch war. Das hört sich vielleicht störend an, aber eigentlich hat der ganzen Band die Arbeit mit den Unterstützern, diese Anteilnahme, total genützt.

Ist der Gedanke der finanziellen Unabhängigkeit auch vor dem Hintergrund der Branchenkrise zusehen?

blixa: Der Gedanke selber ist ja nicht neu. Das ist ja einer der Bannersprüche des Punk. Die Wahrheit hinter dem Wort „Independent“. Natürlich gibt es einen Zusammenhang zwischen neuen Technologien und der Krise der Plattenindustrie. Und auch die Tatsache, dass die fusionieren wie verrückt und immer mehr zu einem globalen Zensurmedium werden, hat auch etwas damit zu tun, dass wir uns verstärkt um andere Dinge kümmern.

Judith: Das ist natürlich auch eine Möglichkeit, die Bedrohung Internet für sich zu nutzen. Für uns war das Internet keine Bedrohung. Es hat dafür gesorgt, dass die Leute die Lieder kannten, bevor sie sie im Laden kaufen konnten. Und bei den Konzerten konnten sie mitsingen, obwohl wir damals nur die beiden Singles draußen hatten.

Ist das Gejammere der Plattenindustrie gerechtfertigt ?

Judith: Die haben schon genug Grund zu jammern, es ist nur die Frage, ob sie über die richtigen Sachen jammern.

blixa: Das ist schön gesagt. Das Problem ist, dass die meisten Menschen, die bei den Plattenfirmen was zu sagen haben, überhaupt keine Ahnung von Musik haben. Es geht da doch gar nicht um Musik. Es geht in erster Linie um Geld. Das nimmt ihnen ja auch niemand übel, aber dieses Geld wird hauptsächlich damit erwirtschaftet, dass man Identitäten schafft und verkauft. Du verkaufst Modelle, den ganzen Lebenszusammenhang, die Vorstellung, die Kleidung, das, was konsumiert werden soll. Dabei ist die Musik eigentlich nur ein Vehikel. Das sind diese – man kann sie gar nicht mehr Plattenfirmen nennen-großen Medienkonglomerate in den letzten Jahrzehnten geworden: Bereitsteller von Identitätsmodellen. Insofern hat das mit Musik sowieso nichts zu tun.

Die könnten auch Waschmittel verkaufen.

blixa: Die verkaufen ja auch Waschmittel!

JUDITH: Das sind ja genau dieselben. Die Firmen sind gezwungen, unheimlich schnell zu funktionieren und in unheimlich schnellen Zeitabschnitten Geld zu machen. Deshalb meine ich, jammern sie über die falschen Sachen oder sie ziehen die falschen Schlüsse.

blixa: Die falschen Schlüsse ziehen sie sowieso. Jetzt jammern sie jeden Tag und es wird immer schlimmer. Wie viel muss man heute für die Goldene Schallplatte verkaufen? 100.000? Nächstes Jahr vielleicht nur noch 20.000?

Manche Bands profitieren ja von der Herabsetzung der Goldgrenze.

JUDITH: Ja, ja.

blixa: Habt ihr schon eine?

JUDITH: Wir haben uns – ehrlich gesagt – geweigert…

blixa: …sie anzunehmen?

judith: …nein, das nicht. Wir lassen uns die jetzt noch nicht verleihen, weil wir das zu albern finden.

blixa: Hast du den Goldenen Download auch schon? JUDITH: Den Goldenen Download? Der wäre schick.

Wie gefällt euch die Idee, dass Musik bald nicht mehr auf Tonträgern geliefert wird, sondern als Datenstrom?

judith: Ich glaube nicht ganz daran. Aber vielleicht werde ich diese Entwicklung gar nicht so schlecht finden.

blixa: Die meiste Musik, die konsumiert wird, kommt aus Lautsprechern. Worauf sie letztendlich festgehalten wird, macht für mich keinen bedeutenden Unterschied.

JUDITH: Ich glaube, wenn es in diese Richtung geht, werden sich auch die visuellen Aspekte entwickeln. Das brauchen die Leute. Ich brauche es auf jeden Fall. Ich brauche das Booklet, und ich möchte die Texte lesen können.

blixa: Dann wird auf deinem iPOD eben nicht nur der Titel angezeigt, sondern auch alles andere.

Judith, kannst du dich daran erinnern, wann du zum ersten Mal von den Neubauten gehört hast?

judith: Ganz, ganz früh. Vielleicht mit 12 oder 13. Vielleicht sogar noch früher. Habt ihr nicht mal einen Gastauftritt in einem Film gehabt? „Richy Guitar?“

blixa: Nee, nee, das sind wir nicht. Das sind Die Arzte.

judith: Dann habe ich ein wunderschönes Bild von Blixa zuhause…

blixa: .. .wo ich den Dreizack habe? Das ist von Anton Corbijn.

Blixa, wann hast du zum ersten Mal von Wir sind Helden gehört?

blixa: Das war als „Guten Tag“ herauskam. Ich fand s gut. Es hat mich an was erinnert, aber das haben bestimmt schon andere Leute vor mir gesagt. An Plastic Bertrands „Ca plane pour moi“.

Judith: Ja, das haben wir schon öfter gehört.

blixa: Du kennst das vielleicht gar nicht, weil du zu jung bist.

JUDITH: Ich kenne es jetzt. „Ca plane pour moi“ heißt ja „für mich ist alles dufte“ und in „Guten Tag“ ist eigentlich gar nichts dufte.

blixa: Es ist ja auch nicht dasselbe.

JUDITH: Es ist eigentlich ein Rock’n’Roll-Riff.

blixa: Genau.

Und wie war das, als ihr euch persönlich kennen gelernt habt?

blixa: Das war in einem Studio in Kreuzberg. Wir sind Helden haben an ihrer Platte im kleineren Aufnahmeraum gearbeitet, wir an unserer im größeren.

JUDITH: Wir waren furchtbar eingeschüchtert…

BLIXA:… weil wir immer als Horde auftreten

JUDITH: Alle waren extrem gut gekleidet…

blixa: (lacht) Hast du Angst vor gut gekleideten Menschen?

JUDITH: (lacht) Ja, ich habe Angst vor extrem gut gekleideten Menschen. Wenn wir aufs Klo wollten, mussten wir an ihrem Studio vorbei durch einen Gang in die Küche gehen. Wir haben uns die ersten Tage kaum mehr aufs Klo getraut, weil wir die nicht stören wollten. Die saßen in der Küche mit ihren Laptops und Kopfhörern, alle extrem konzentriert. Wir haben die Luft angehalten und sind da durchgeschlichen.

blixa: Nein, ihr wolltet nur lauschen. Wir wollen ja auch immer lauschen, und irgendwann habe ich gedacht, nanu, jetzt spielen sie Ton Steine Scherben. Dann haben wir uns auf dem neutralen Gelände zwischen den Studios über Rio Reiser unterhalten.

Ihr habt einen gemeinsamen Song aufgenommen. Warum ist der nicht auf dem Neubauten-Album ?

blixa: (lacht) Warum? Was meinst du, was wir noch alles übrig haben!

Judith: Ich musste was sprechen und sollte dabei zickig sein.

blixa: Warste aber nicht.

Judith: Es ging einfach nicht. Ich hab’s wirklich nicht geschafft. Ich musste sagen: „Wie geht’s? Nicht so gut? So siehst du auch aus.“

blixa: „Willst du was trinken, oder gehst du gleich wieder?“

JUDITH: Das hat bei mir immer total besorgt und freundlich geklungen anstatt boshaft. Aber es hat Spaß gemacht. Ich hol‘ mir noch ’nen Kaffee. Du auch, Blixa? blixa: Nee, ich bin kein… Kaffeetrinker.

Du bist auch kein Zigarettenraucher mehr.

BLIXA: Nee, ich bin auch kein Zigarettenraucher mehr. Das ist ziemlich gut, ne? Schon seit zweieinhalb Jahren.

Ich habe das Gefühl., dass mit ganz wenigen fiusnahmeri – Musik aus Deutschland entweder als heißester Scheiß gehandelt wird – wie die HDW oder der aktuelle Hype oder gar nicht existiert.

blixa: Gibt’s schon wieder einen Hype?

Ja ja, und Wir sind Helden sind die Anführer.

JUDITH: Der heiße Scheiß, (lacht) Einen Mittelweg scheint es dabei nicht zu geben.

blixa: Als ich anfing, Musik zu hören, bin ich sehr schnell bei deutscher Musik gelandet. Das war allerdings vor der Neuen Deutschen Welle: Kraftwerk, Can, Neu!-die ganzen Düsseldorfer und Kölner Bands. Das sind Sachen, die ich immer noch sehr bewundere und die mich bestimmt auch musikalisch vorgeprägt haben. Die haben sich eigentlich alle vorm Singen gedrückt. Entweder hatten sie einen ausländischen Sänger wie Malcolm Mooney und Damo Suzuki bei Can, oder sie haben’s gleich sein lassen, und über den Kraftwerk-Gesang wollen wir gar nicht erst reden. Die einzigen, die Deutsch sangen, waren Ton Steine Scherben. Und die Neubauten ließen sich eigentlich immer definieren als eine Band, die im Oszillationsfeld aus diesen beiden Polen entstanden ist. Dann die Neue Deutsche Welle, Alfred Hilsbergs glorreiche Erfindung, bei der dann alle wie selbstverständlich Deutsch gesungen haben, das war eine Tendenz, die ich großartig fand. Ich fand deutschen Gesang immer sehr wichtig.

judith: Ich habe irgendwann mit 19 gemerkt: „Ach guck mal, man kann Songs in seiner eigenen Sprache schreiben“. Und irgendwie bewege ich mich da wie ein Fisch im Wasser. Es ist alles selbstverständlich. Ich kann alles, was in meinem Kopf ist, direkt aufs Papier bringen. Ich habe von 14 bis 19 auf Englisch geschrieben. Weil ich dachte, das tut man eben so (kichert).

Es gibt ja diesen beliebten Medienmechanismus. Erst wird eine neue Band hoch gelobt, dann, wenn sich mehr Leute dafür interessieren, fallen gelassen wie eine heiße Kartoffel.

blixa: War bei mir nicht so. Wir wurden zuerst niedergeschrieben und dann vorsichtig gelobt, weil die Auslandspresse angefangen hatte zu loben.

Was macht man als Musiker, um nicht Klaus Lage zu werden?

JUDITH: (lacht) Keinen Bart wachsen lassen, verdammt. Ich werde mir Mühe geben. blixa: Wie meinst du das, ich verstehe das nicht.

Ich glaube, Wir sind Helden sind der Gefahr ausgesetzt, dass die Leute beim zweiten oder dritten Album sagen, geh’mir weg mit diesem Scheiß. Es wird aber trotzdem weiter eine Fanbase geben, die vergleichbar ist mit der von Klaus Lage…

JUDITH: (lacht) … die, die’s sowieso lieben und nicht durch die Presse abzuschrecken sind. Aber das sind so Mechanismen, über die sich aufzuregen so sinnvoll ist wie übers Wetter zu schimpfen. Die Medienwelt wünscht sich ja Soap Operas. Das merken wir ja jetzt schon. In dem Moment, in dem alles sehr gut läuft für eine Band, werden Haarrisse gesucht. Und daran liegt es auch, dass die Leute uns fragen, ob wir denn nicht zufällig gerade anfangen, uns zu zerfleischen, weil immer der Fokus so sehr auf mir liegt und ob denn die Jungs nicht total eifersüchtig seien. Die Leute wünschen sich Drama, auch wenn sie eigentlich wohlwollend sind und nicht wollen, dass es uns schlecht geht. Trotzdem suchen sie nach Drama und alleine deshalb wünscht sich die Presse, dass es wahnsinnig schwierig wird mit dem zweiten Album.

Apropos Mediens gibt es etwas das in Artikeln über eure Bands ständig wiedergekäut wird und euch fürchterlich auf die Nerven geht?

BLIXA: Ja! Ne Menge Zeug. Soll ich ne Liste machen?

Judith: (lacht) Ja, mach mal. Das ist ein sehr schönes Thema.

BLIXA: Der Presslufthammer! Wir hatten noch nie einen Presslufthammer. Wir hatten einen Elektrohammer, aber keinen Presslufthammer. Ich finde das ist ein bedeutender Unterschied. Ein Presslufthammer ist eine ziemlich große Maschine – fein, gut, hätten wir vielleicht auch gerne gehabt, hatten wir aber nicht. Und bei der letzten Platte war die ständige, originelle Intervieweröffnung: „So, silence is sexy. Früher war immer Hämmern auf Metall und jede Menge Krach und jetzt silence is sexy. Ist das nicht ein Widerspruch?“ Oooooch. Das ist grauslig.

JUDITH: Es gibt für jede Band fragen, die immer wieder kommen, das sind die, bei denen man sich langweilt und denkt, wie kann jemand dich wie ein junger Hund anschauen und ganz begeistert fragen: „Wie seid ihr eigentlich auf euren Bandnamen gekommen?“

BLIXA: Fragen sie dich nicht auch nach Judith Holofernes?

JUDITH: Ja, natürlich!

blixa: Sie fragen mich auch immer nach Blixa Bargeld. Ich heiße ja so. Der Name ist eingetragen in meinem Pass. Irgendwann mal habe ich ein Schreiben bekommen, in dem ich darauf hingewiesen wurde, dass ich in der Öffentlichkeit unter diesem Namen wirke und ich doch mal vorbeikommen möge. Normalerweise darfst du in Deutschland nicht einfach einen Künstlernamen führen, du musst nachweisen, dass du in der Öffentlichkeit unter diesem Namen wirkst. Und bei mir war es so, dass sie mich daraufhinwiesen, dass ich unter diesem Namen wirke. Da bin ich zu einem Amt in Berlin hingegangen, habe drei Artikel aus der Zeitung hingelegt, und dann haben sie mir den Namen in den Pass eingetragen.

JUDITH: Das ist super. Das mache ich auch.

BLIXA: Ich habe eine Kreditkarte, auf der steht „Bargeld“ drauf.

2003 war ein sehr deutsches Jahr. Das ZDF hat „Die 100 besten Deutschen“ gesucht, Deutschland sucht nach wie vor den „Superstar“…

JUDITH: …und hat ihn immer noch nicht gefunden der deutsche Pop war wieder wer. Ist dieses neue Selbstbewusstsein eine Reaktion auf schwere Zeiten, auf eine hilflose Politik?

blixa: Das ist eine sehr hochgestochene, bedeutende Frage.

Judith: Ich habe einen Verdacht, der hat aber nichts mit schlechter werdenden, fürchterlichen Zeiten zu tun. Die Leute wünschen sich deutschsprachige Musik, weil sie sich damit identifizieren können, weil sie sie verstehen, weil sie wissen, worum’s geht, weil ihnen dieser ganze transparent gewordene Plastikscheiß auf die Nerven geht. Ich glaube nicht, dass es heute mehr Plastikpop gibt als zuvor. Die Entstehung des Plastikpop ist nur transparenter geworden. Man kann nicht mehr so tun, als hätte man es nicht gemerkt. Wir werden auch dauernd gefragt, ob wir Rezessionspop machen (lacht)

blixa: Rezessionspop ist ein schönes Wort.

JUDITH: Ich fand eigentlich, dass in den Jahren, in denen der deutsche HipHop hochgekommen ist, deutschsprachige Musik heißer war als jetzt. Die Alexanders dieser Welt singen ja dankenswerterweise nicht auf Deutsch.

blixa: Alexander?

judith: Einer von diesen Superstars. Die singen ja nicht auf Deutsch, weil man dann merken würde, dass es Schlager ist.

blixa: Die Frage ist doch auch, welche Funktion die Musik für die Leute im täglichen Leben hat. Und wenn es dabei eine Rolle spielt, ob etwas in Deutsch gesungen ist, wird es auch deutsche Musik geben. Aber wenn die Sprache in der Musik keine Funktion hat, dann ist das pissegal. Wenn Wir sind Helden großen Erfolg haben und die Band den Leuten etwas bedeutet, dann ist das doch gerechtfertigt.

Ich glaube sogar, dass sich die Mehrheit der Musikkonsumenten gar nicht für Musik interessiert.

BLIXA: Das ist definitiv richtig!

JUDITH: Ja, ich hör‘ so Charts (lacht) Marilyn Manson hatte die Wahlen Bush zum US-Präsidenten damals begrüßt., weil durch das gemeinsame Feindbild Musik und Kunst profitieren würden. Ist das so?

BLIXA: Sieht beinahe so aus.

JUDITH: Haben Kunst und Musik in der Kohl-Ära profitiert?

BLIXA: Vielleicht an diesem globalen Rezessionspop.

JUDITH: Natürlich ist es schön, kollektiv dagegen sein zu können. Natürlich beflügelt das.

BLIXA: (singtwieGroucho Marxin „Horse Feathers“):

„Whatever it is, l’m against it. No matter what it is, or who commencedit, l’m against it“.

Judith: Mir persönlich macht das Dagegensein nur Spaß, wenn man auch was zum Dafürsein findet.

Michael Moore war neulich auf Deutschlandtour. Und schon werden Stimmen laut von Leuten, die ihn scheiße finden obwohl sie auch gegen Bush sind. Dieses Indie-Ding, „ich bin anders gegen Bush als Moore“.

JUDITH: Ich mag Michael Moore, obwohl ich ihn fürchterlich polemisch finde. Aber ich finde das gut, weil er so unterhaltsam ist und weil ich glaube, dass die Amerikaner auch eine unterhaltsame Gegenstimme brauchen.

BLIXA: Entertainment ist ein gutes Vehikel auch für politische Inhalte.

Judith: Du kannst aufjeden Fall viel Öffentlichkeit kriegen, wie man an Michel Moore sieht. Natürlich kann man ihm vorwerfen, dass er genau die gleichen schrägen, schiefen Mittel benutzt, die er dann aufdeckt, dass er auch Zahlen komisch darstellt. Aber es funktioniert und es ist furchtbar lustig.

BLIXA: Er macht et was, das für amerikanische Verhältnisse kaum üblich ist. Er stellt Zusammenhänge her. Auch in seinem Film „Bowling For Columbine“ sagt er ja nicht einfach, „es ist schlecht, dass wir Schusswaffen haben „, sondern stellt ganz interessante Zusammenhänge her.

Wenn wir schon von Zusammenhängen sprechen. Mich wundert es ein bisschen, dass jetzt, wo Bushs Vorwände für den Irak-Krieg geplatzt sind…

blixa: Ich wusste gar nicht, dass der MUSIKEXPRESS eine so politische Zeitschrift ist. Lange nicht mehr gelesen.

JUDITH: Wir hatten schon mal ein sehr interessantes Gespräch, das war auch so.

… die Empörung in der Öffentlichkeit nicht größer ist.

Judith: Das ist ein Medienproblem. blixa: In den USA wächst der Widerstand gegen die Bush Administration.

JUDITH: Die Deutschen sind einfach traurig und müde, weil sie denken, dass sie nichts ausrichten können, weil sie es bis jetzt nicht geschafft haben. Die ganze Sache ist einfach nicht mehr so präsent. So ist unsere Medienberichterstattung. Und in Amerika kommt das jetzt, weil ihre eigenen Leute sterben, wie damals in Vietnam. Wenn sich irgendwann nicht mehr verheimlichen lässt, dass Menschen sterben, dann erst funktioniert sowas in Amerika.

blixa: Ich möchte noch anmerken, dass die Geschichte mit dem Öl zur Hälfte immer noch Humbug ist. Es gibt mehr Gründe für diesen Krieg. Die meisten hängen mit der ehemaligen Sowjetunion zusammen. Die amerikanische Politik betreibt ein Einkreisen Russlands. Das ist ihr untergründig erklärtes Ziel, und das kannst du dir auf der Landkarte ganz genau angucken. Der Irak war der größte Schuldner Russlands. Russland wird dieses Geld jetzt nie wieder bekommen. Der zweitgrößte Gläubiger des Iraks war Frankreich. Und nun kann man sich fragen, aufweicher Grundlage die Entscheidungen darüber getroffen werden, ob man einen Krieg gegen den Irak anfängt oder nicht. Natürlich fängt Frankreich keinen Krieg gegen ein Land an, das ihnen sehr viel Geld schuldet. Und Russland tut das auch nicht.

Eine sehr hypothetische Frage: An was werdet ihr denken, wenn ihr euch in zehn Jahren an 2003 erinnert ?

blixa: Ich denke dabei immer an die Platten, die ich aufgenommen oder veröffentlicht habe. Bei 1993 fällt mir tabula rasa ein. Ich kann mich selber in der ganzen Platte wiederfinden. Ich weiß, was ich gedacht habe, ich weiß, wen ich geliebt habe, mit wem ich zusammen war. Ich werde 2003 wahrscheinlich mit www. neubauten.org und Perpetuum MOBILE verbinden.

JUDITH: Für uns werden einige Dinge klar werden, die wir jetzt noch überhaupt nicht sehen können. Wir sind so mittendrin in dem Geschehen, dass wir nur ab und zu mal grinsend innehalten können und sagen: In zehn Jahren werden wir das alles gar nicht glauben können. Was war euer schönstes, erstaunlichstes, überraschendstes Erlebnis 2003?

blixa: Da habe ich eine ganz komische Spontan-Assoziation. Ich habe das erste Mal in meinem Leben frische Erdnüsse gegessen. Erstens sind Erdnüsse gar keine Nüsse. Sie wachsen unter der Erde, deswegen heißen sie auch so. Das sind so eine Art Wurzelknollenverdickungen. Die sind, wenn sie frisch sind, weich.

JUDITH: Vielleicht bin ich dagegen gar nicht allergisch.

blixa: Wieso? Bist du gegen Erdnüsse allergisch?

JUDITH: Gegen Nüsse allgemein.

blixa: Die Erdnuss ist gar keine Nuss. Das ist das Beste daran. Köstlich ist das. Das ist eine Spezialität, das war toll.

JUDITH: Ich hatte da einen Sofortassoziationsfilm, weil das bei uns allen ganz schwierig ist, irgendwelche Momente gegen andere auszuspielen. In meinem Kopf ist ein Fluss von Bildern von unserer Tour. Ich habe mir unheimlich Mühe gegeben, das zu genießen, ich habe mir Mühe gegeben, mich zu erinnern, wie ich irgendwann ein Lied geschrieben habe – zuhause, allein auf meinem Bett mitten in der Nacht – und überhaupt nicht wusste, was damit wird, und dann gucke ich da runter und sehe die Leute, die das alle mitsingen und ihren Spaß haben. Ich hatte auch tolle Momente mit Nahrungsmitteln und kleinen Tieren.

Mit kleinen Tiere?

Judith : Ich kann mich über kleine, langnasige Tiere begeistern wie über Musik und Kinder.

BLIXA: Was für kleine langnasige Tiere?

JUDITH: Weiß ich nicht. Es kann mir passieren, dass ich einen Hund sehe und eine Woche davon zehre.

blixa: Die sind langnasig?

JUDITH: Es gibt sehr langnasige Hunde. Es gibt auch Erdferkel.

blixa: Erdferkel sind wirklich amüsant.

judith : Die können mich für Wochen glücklich machen, sie stehen in harter Konkurrenz zu mindestens drei Konzerten (lacht) Die Berlin-Frage muss noch geklärt werden.

Judith: Hust.

blixa: Ich finde, Berlin sollte wieder Hauptstadt werden, ja. (lacht) Es liegt ja sehr nahe euch nach Berlin zu fragen, weil ihr beide daher kommt.

blixa: Du kommst aus Berlin?

JUDITH: Ich bin in Berlin geboren, aber mit sechs in Freiburg eingeschult worden und wohne seit sieben lahren wieder hier.

blixa: Wir haben beide kaum einen Berliner Akzent.

Obwohl, Judith berlinert bei dem Ton Steine Scherben-Cover schon ein bisschen.

blixa: Stimmt, da kommt der Akzent ein bisschen rüber.

JUDITH: Ja?

blixa: Rio war auch Berliner, das ist wahr. Aber was wolltest du denn über Berlin wissen? Das ist ja das Problem. Mir ist keine Berlin-Frage eingefallen.

JUDITH: Soll ich dir mal sagen, was alle anderen immer fragen?

Ja, bitte, bitte.

Judith: Ihr seid ja eine Berliner Band. Stimmt aber überhaupt nicht wir kommen aus Hamburg, Hannover und Berlin. Und dann werden die Journalisten immer ein bisschen traurig. Ich habe das Gefühl, dass sich die Nation ganz doll wünscht, dass es einen Berlin-Hype gäbe. Ich persönlich hänge an Berlin und an Kreuzberg und ich möchte nicht mehr weg. Berlin prägt mich durch seine Entspanntheit, weil ich hier so vor mich hinwurschteln kann, aber ich weiß nicht, ob es dieses Berlin-Ding gibt.

BLIXA: Für mich hat die Bedeutung Berlins immer weiter abgenommen. Ich habe die Stadt auch immer sehr gemocht. Während du in Freiburg abgehangen hast, habe ich hier im Westberliner Soziotop gelebt. Seit das inzwischen nicht mehr da ist, hat sich Berlin natürlich ziemlich verändert, aber gleichzeitig hat die Stadt für mich persönlich an Bedeutung verloren.

JUDITH: (an MUSIKEXPRESS) Darf ich noch was sagen, und du bringst das unauffällig noch irgendwo unter? Die Neubauten-Platte ist wahnsinnig schön. blixa: Danke schön!