Who Power
Sie kamen, sangen und siegten: die Who. Zum ersten Mal seit Jahren wieder auf Deutschlandtournee fanden die vier Rocker ihre Fans in Hochstimmung. Aber: es gab auch Kritik.
„Und dafür habe ich achtzehn Mark ausgegeben!“ stöhnt ein verzweifelter Konzertbesucher. „Ich kenne keine Band, die mit so einer Schweine-Anlage ankommt und so einen liederlichen Sound losläßt“‚, flucht ein anderer. „Lauter geht’s wohl nicht mehr“, knirscht sein Freund und ballt die Hand zur Faust. „Ich geh mal eben ‚raus und teste, ob mein Trommelfell noch da ist. Neben den drei verärgerten Fans, die ihrem Bargeld nachtrauern, steht einer, der gerade den siebten Himmel betreten hat. „Wunderbar, so eine Show bringt keine Band der Welt so stark wie die WHO.“
Die Who ist seine Lieblingsband seit zehn Jahren. Der End-Zwanziger ist mit den vier flotten Engländern groß geworden. Besonders bei Titeln wie „Substitute“ blickt er verklärt zurück in die Pubertät. Solche, wie den langjährigen Who-Fan, gab’s viele in Bremen, Düsseldorf und Ludwigshafen. Die Who, seit Jahren zum erstenmal wieder in Deutschland: Das war eindeutig der Höhepunkt unter den Herbstourneen. Denn die enttäuschten Besucher waren eindeutig in der Minderheit.
Die Popularität der Who ist wirklich unglaublich. Die Band ist seit 10 Jahren zusammen. Und nicht nur die Beatfans der ersten Stunde halten der Who die Treue: Die 15bis 18jährigen sind ohne Generationsprobleme zur Millionenmasse der Who-Anhänger in aller Welt gestoßen. Ob gerade die jungen Rockfans auch in Deutschland den eigenartigen Charme der Berufs-Jugendlichen aus London schätzen, war vor dieser Tour ungewiß. Aber die Who sind so begeistert von ihren deutschen Konzerten, daß sie gleich einen neuen Tourneevertrag unterschrieben haben. Jetzt wollen sie im Januar und Februar wiederkommen, diesmal aber auch in die Großstädte.
Denn die Who sind nicht etwa aus Angst vor der Pleite oder aus Liebe zur Provinz nach Bremen oder Ludwigshafen ausgewichen. In Hamburg, Berlin und München war einfach keine große Halle kurzfristig anzumieten. Und die Who, spontan wie Achtjährige in ihren Entschlüssen, kamen erst Ende September auf den Gedanken, in Deutschland einzufallen.
EINFACH, HERB UND FRISCH: DER WHO-SOUND
Ihre Spontaneität, ihre unverbrauchte Frische und Jugendlichkeit, dazu eine zehnjährige intensive Erfahrung im Popgeschäft, das macht die Who unschlagbar. Ermüdungserscheinungen kennt vor allem der Kopf und Motor der Band, Pete Townshend (30) nicht. Im Gegenteil, der Who-Gitarrist und Komponist hat einen alten Wunschtraum jedes Showstars wahrgemacht: Er hat den typischen Who-Sound der ersten Stunde in den wichtigsten Details beibehalten, hat aber gleichzeitig die Qualität seiner Kompositionen vertieft.
So kommt’s, daß die Who ihre Show mit „Substitute“, einem Hit von 1968, beginnen. Es folgt ein ganz alter Schinken: „Can’t Explain“, etwas später „Baba O’Reily“ (von der LP “ Who’s Next“) aus dem Jahre 1971. Keine Fassung braucht besonders modernisiert zu werden, die einfache, herb-frische Liedkonzeption ohne langatmige, ausgeflippte Passagen klingt bei den Who immer noch modern.
GESCHWINDIGKEIT IST HEXEREI
Trotzdem wirkt natürlich ein spätes Who-Album ausgereifter. Die letzte Scheibe „Who By Numbers“ zeigt genau die Marschrichtung des Who-Machers Townshend. Exzellente Produktion – hier ist Spitzenqualität, im Gegensatz zu manchen katastrophalen Konzerten, wirklich Trumpf. An Melodienreichtum ist Townshend wohl kaum von einer ähnlich erfolgreichen Band zu schlagen. (Und Konkurrenz machen ihm da wohl nur die Rolling Stones.) Technik aber behandelt der geniale Komponist mit der gebührenden Vorsicht. Er braucht niemanden mit überragender Geschwindigkeit zu behexen, oder mit elektronischen Finessen von minderwertigen Kompositionen abzulenken. Technik spielt immer eine untergeordnete Rolle: Sie ist selbstverständlich, aber nie dominierend. Trotz gewaltiger Konzepte ist die Musik immer einfach und leicht verständlich geblieben. Eben gute Unterhaltung.
BÖSE BUBEN – AUFSÄSSIG, FRECH UND FRUSTRIERT
Ebenso unterhaltend wie ihre Musik sind sicher auch die vielen anderen Aktivitäten der glorreichen Vier. Sie begannen ihre Karriere als Hausmusikanten der Mods. Die Mods, ein englischer Teenagerkult der frühen und mittleren 60er Jahre, verlangten artgerechtes Verhalten auf der Bühne und sonst überall in der Öffentlichkeit. Die Who erfüllten ein wahres Übersoll an Aufsässigkeit. Selbst den Rolling Stones, die als die bösen Buben von nebenan Karriere machten, blieb angesichts der Frechheiten der Who oft genug die Spucke weg.
So machten Pete Townshend & Co auf der Bühne allerlei Gewalttätigkeiten salonfähig: Sie erfanden das Zertrümmern der Gitarren, sie prügelten sich schon mal um die Reihenfolge der Songs oder um den Notenschlüssel. Was eben so anlag. Ihre Songs waren von Anfang an furchtbar frustriert, sie verspotteten alles und jeden, am liebsten sich selbst. Pete Townshend war zu Beginn des Who-Senkrechtstarts bereits zwanzig, ein kluger Kopf mit messerscharfer Beobachtungsgabe. Und er ist bis heute hellwach und kritisch geblieben.
AUCH DIE WHO WERDEN MAL ERWACHSEN
„Mick Jagger ist ja auch noch gut im Geschäft“, kommentiert Townshend die Lage, „aber er, oder David Bowie etwa, die werden niemals erwachsen werden. Sie haben als rotzfreche Halbstarke angefangen. Und sie können sich gar nicht leisten, irgendwann den geistig Hochstehenden heraushängen zu lassen. Dann wäre ihre ganze Masche im Eimer. Ich aber war schon immer als scharfzüngiger Durchblicker bekannt!“
Es gibt Anzeichen dafür, daß die Who eines Tages sogar ihre finsteren Spaße einstellen, sicher ohne ihr Image damit zu belasten. Keith Moon (29), der halbirre Trommler, terrorisierte jahrelang das Hotelgewerbe der ganzen Welt. So zündete er beispielsweise im WC einer Luxus-Suite eine Sprengladung. Den Schaden blechte er nach jedem Attentat mit breitem Grinsen: „Im Gegensatz zu anderen Leuten tue ich immer, was mir Spaß macht.“ Von manchen ihrer Mammuttourneen brachte die Band keinen Penny nach Hause – denn für ihre Zerstörungsgelüste haben sie immer brav bezahlt.
PETE TOWNSHEND FILMT FÜR MEHER BABA
Pete Townshend hat sich inzwischen zum braven Mann gewandelt. Bei der vorangegangenen Englandtournee trennte er sich nach den Konzerten immer gleich von seinen Kollegen und verschwand mit seiner Frau ins abgeschirmte Privatleben. Townshend ist Anhänger des Meher-Baba-Kultes. Er hat jetzt andere Dinge im Kopf: Zwischen den Tourneen arbeitet er an einem 6-mm-Film über das Leben der Delia DeLeon, einer Anhängerin von Meher Baba. „Dieser Dokumentarfilm ist der erste einer ganzen Reihe, die ich mit ein paar Freunden in London in Szene setzen will“, verrät Townshend. „Ich will noch andere religiöse Führer porträtieren. Wie Delia DeLeon sind alle Frauen.“
DALTREY ALS LISZT, KEITH MOON ALS BÖSEWICHT
Die Leidenschaft für den Film läßt auch Roger Daltrey (31) und Keith Moon nicht mehr los. Roger Daltrey, der blonde, pferdegesichtige Who-Sänger mit den Engelslocken, entdeckte erst durch seine Hauptrolle in „Tommy“ sein Naturtalent. „Eine echte Begabung“, urteilte der exzentrische Tommy-Regisseur Ken Russell. Bereits im April dieses Jahres, als „Tommy“ gerade im Kasten war, stand Daltrey wieder vor der Kamera: in der Hauptrolle des Franz Liszt in „Liszomania“, einem Ken Russell-Film über das Leben des berühmten Komponisten. Jetzt wartet Daltrey auf neue Angebote. Keith Moon, der in „Tommy“ den bösen, perversen Onkel Ernie mimt, will sich als komischer Filmbösewicht an spielfreien Tagen verdingen. Und wenn er mal keinen Regisseur findet, der ihn mag, hilft er sich selbst: Er geht verkleidet spazieren, als Dracula, Frankenstein, Adolf Hitler oder Queen Victoria.
Aber zunächst wird es für die Who wenig Freizeit geben. Europa, Amerika, England und hoffentlich bald wieder Deutschland, das sind die Etappen im Tourneekalender der Who. Da muß auch Baßmann John Entwistle (30) die Tourneepläne mit seiner Band Ox aufstecken. Denn die Who sind zur Zeit – entgegen vielen Unkenrufen – das Heißeste, was die Popszene zu bieten hat! Da müssen sich die Rolling Stones, die im Frühjahr reinschauen wollen, wohl mächtig anstrengen.