Whitesnake


Die Symbolik bei Whitesnake ist eindeutig. David Coverdale macht aus seinem bevorzugten Hobby kein Geheimnis. Daß ein klassischer Rock´n´Roll-Macho privat trotzdem unglaublich charmant sein kann, erlebte Gitti Gülden, die ihren Widerstand völlig dahinschmelzen sah.

David Coverdale. Um Himmels willen! Ausgerechnet mit Ihm soll ich mich unterhalten? Allein die Cover von Whitesnake-Platten treiben mir Zornesröte auf die Wangen. Plumpe Symbolik, in den Texten immer wieder das gleiche Thema, es geht nur um das EINE wozu sind wir schließlich geschaffen?! Wham, bam, thank you, Monsieur! Meine Vorurteile dem Verfasser und Interpreten dieser Werke gegenüber stehen unerschütterlich wie die chinesische Mauer – allein: die Neugierde siegt.

Ein strahlender, gutaussehender junger Mann reicht mir lächelnd die Hand. Den markanten Kopf umwallt ganz Rock’n’Roll-Tradition – die Rauschgoldengelb-Mähne. „Hallo, ich bin David. „

Nicht beeindrucken lassen, auch wenn er entwaffnend ist. Galant stellt er seinen beachtlichen neuen Manager vor, einen bärenähnlichen Herrn, der mühelos Catch-König Rene Lasartesse entthronen könnte, wenn er wollte. „Das ist Big John.“

Fürwahr. John Ferguson hat sich hinter den Bühnen aller möglichen Bands weltweit Meriten verdient, u.a. als Bodyguard der leibwächterwilden AC/DC. Seit Anfang August nun steht er in Whitesnakes Diensten; er organisiert die Welt-Tournee der Band und kümmert sich dabei speziell ums leibliche Wohl der Musiker.

So schnappte er sich seinen neuen Herrn sowie den neuen Trommler Cozy Powell (ja, der Mann mit den Schlagzeugstökken, so dick wie Kinderärmchen), schnallte ihnen Rucksäcke auf den Buckel und schickte die Herren auf einen Wandermarsch durch das englische Dartmoor.

„Ende ’81“, so Coverdate, „stimmte nichts mehr bei Whitesnake. Die Jungs schienen sich damit zu begnügen, auf dem Gold-Status rumzudümpeln, anstatt Hunger aul Platin zu entwickeln, besser zu werden, die Hymne von der Schlange der ganzen Welt zu verkünden. Kurz, die Band hatte ihren Biß und ich die Kontrolle über die Band verloren. Dann gab es neun Monate lang juristische Streitereien, bis ich mich endlich von meinem alten Management scheiden lassen konnte. Das hat nichts mit Musik zu tun, das ist nur noch knochenhartes Business.

Danach hatte ich das dringende Bedürfnis, mich einem totalen Frühjahrsputz zu unterziehen. Wir sind pro Tag zwischen 30 und 40 Kilometern stramm marschiert, haben draußen kampiert, in getrennten Zelten, möchte ich betonen. Ein unglaublich effektives Training für Kopf und Körper.“

Wandern als Geheimnis für jugendfrisches Aussehen und Fitness für die Tour?

„Normalerweise halte ich mich dadurch frisch, daß ich 60 Zigaretten am Tag qualme und reichlich trinke,“ reagiert mein Gegenüber blitzschnell, erst richtig ernst, dann dröhnendes Gelächter. Er ist offensichtlich ehrlich, redet nicht pressegerecht, sondern immer frisch von der offenbar noch nicht ramponierten Leber weg.

„Die ganzen Party-Exzesse während einer Tour schwitzt du während der Gigs wieder aus. Aber diese vergangenen neun Monate, die ich im Grunde abwarten mußte, waren furchtbar. Irgendwann dachte ich, nie von diesem gruseligen Management loszukommen. (Der bedauernswerte Michael Schenker befindet sich mittlerweile in den Klauen jener Herren, ein Grund auch für C. Powell, nun für Coverdale die Stöcke zu schwingen.) Ich img an, etwas zu viel und zu häufig im Cognac zu schwimmen. Wenn ich nicht irgendwann damit aulgehört hätte, wäre ich vermutlich ertrunken.“

Ein Mann wie David Coverdale scheint sich aus allen Situationen selbst raushelfen zu können, oder braucht er Hilfe?

John paßt natürlich auf mich auf. Ich weiß aber selbst, wie weit ich gehen kann. Ich muß mich dabei nicht an den Haaren aus dem Müll ziehen, ich brech‘ mir stattdessen lieber ein Fußgelenk, haha.“

Eine Anspielung auf seinen Unfall, dessen Folge ein wochenlanger Beingips war. Im übrigen haßt der selbstbewußte Sänger Gespräche über die Vergangenheit.

„Diese Phasen werden im Nachhinein mit zu großem Ernst betrachtet. In den 60ern war ich blutjung, die Rockmusik war auf dem Höhepunkt. In den 70em gab’s neue gute Sachen, heute ist Pop-Musik ein Teil des Alltags – und 1990 werden wir vermutlich rückblickend sagen: ‚Weißt du noch, diese 80er waren doch irre‘.

Durch eine zu große Erwartungshaltung stolperst du immer in diese Meinungs-Fallen. Ich möchte von der Vergangenheit nur lernen, nicht in ihr leben. Man sollte nicht ernsthalt über Rockmusik reden. Das ist genauso, als ob man todernst über’s Fußballspielen reden würde. Beides sollte stets das sein, wozu es ursprünglich gedacht war, nämlich Unterhaltung. „

Die menschliche Stimme ist sicher das schwierigste, weil sensibelste Instrument. Was bedeutet dem ehemaligen Boutiqueverkäufer Singen, wie hört er die Sänger der jungen Bands?

„Singen ist eine Sache des Gefühls, nicht der theoretischen Vorstellung davon. Vermutlich spielen fast alle neuen Mode-Gruppen nur nach Ideen, nicht nach Gefühl. Daher finde ich sie so irritierend – wie eine Fliege, die mir permanent um den Kopf summt. Ihre Musik berührt mich nicht, hat keinen Einfluß auf mein Leben. Ein paar Songs sind hervorragend, werden aber lediglich als leblose Produktionen behandelt. Diese Dinge sindvermutlich dafürverantwortlich, daß Rock’n’Roll total langweilig geworden ist, unmenschlich. Seelenlose Platten mag ich nicht, Techno-Filme wie Star Wars‘ sind was anderes. „

Die modischen Bands rekrutieren sich logischerweise aus immer jüngeren Musikern. Fühlt sich der charmante Plauderer (ja, ja, man wird doch noch ein Vorurteil abbauen können!) angesichts dieser geballten Jugend manchmal schon etwas betagt?

„Sich alt fühlen, ist nur eine Frage des Koples. Ich kann z. B. bei meinen Konzerten nicht am Jubel feststellen, wie alt die Leute im Publikum sind, ob jemand 12 oder 32 ist. Zusammen klingen sie phantastisch, folglich interessiert m ich ihr oder m ein A1ter nicht.

Die modischen Bands sehe ich eher als Zeiterscheinung, in gewisser Weise also interessant, im Grunde aber der ewig gleiche Zirkus. Wenn du dich angesichts 14jähriger Kids im Publikum alt fühlst, ist das dein Dilemma. Die meisten Kids möchten nämlich wie eh und je älter sein als sie wirklich sind.“

Mir scheint, als wolle David das Thema Alter elegant vom Tisch fegen. Dabei kenne ich niemanden, der nicht früher oder später darüber grübelt, ob er nicht vielleicht schon zu alt …

„Du redest mit der absolut falschen Person über dieses Phänomen, meine Liebe. Ich war untröstlich, als ich 30 wurde. Ich war gerade in Portugal, tauchte voller Verzweiflung in Unmengen weißen Portweins unter und konnte es nicht fassen: 30 Jahre alt! Inzwischen bin ich 31 und kann mich immer noch nicht darüber amüsieren.“

Mittlerweile ist etwas eingetreten, was ich nicht im Traume erwartet hatte: Ausgerechnet dieser Coverdale fangt an mir zu gefallen. Wann findet man heutzutage schon einen amüsanten, offenen Interview-Partner, der einem flirtgeschult auch noch das Gefühl vermittelt, gerade diesesGespräch gefalle ihm ganz besonders, die anderen 5000 hingegen seien ausgesprochen langweilig. Abgesehen von seiner Abneigung zu Bemerkungen über Vergangenes und über sein Alter, mag D. C. noch etwas ganz und gar nicht:

“ Wenn mich jemand Dave nennt. Eine ausgesprochene Faulheit, Namen so willkürlich zu verkürzen. Ich heiße David. Guiseppe Verdi heißt ja auch nicht Joe Grün, oder Luciano ¿ Paverotti: Wird der etwa Lucky Würstchen genannt?“

Ich bitte David, einmal den Herrn Coverdale zu beschreiben, der nicht auf der Bühne steht.

„Im Privatleben schmeiße ich weniger mit Mikro-Ständern um mich – ein Unterschied. Ich schwitze weniger, schreie auch nicht ganz so häufig. Im Grunde bin ich auf der Bühne eigentlich ziemlich ich selbst.

Es muß auch merkwürdig sein, wenn ein Rocksänger sich wie ein Schauspieler ein Kostüm überstreift, um als völlig gewandelte Person die Bühne zu betreten.

„Ich habe David Bowie mal gefragt, wie er das schalft. Er lebe jeden Charakter, antwortete er. Dann muß es in seinem Bewußtsein eigentlich wie in der Hölle aussehen. Noch nicht mal schizophren, das wären ja nur zwei Ebenen. Eherwieein Octopus, ein Achtfach-Hirn.

Bei mir gibt’s fast nur Extreme, nichts Mittelmäßiges, Ausgewogenes. Mal bin ich der Pfau, stolz und unübertroffen, mal der kleine verlorene Junge. Meine Texte sagen eine Menge über meinen Charakter, sogar die schmuddeligen, dreckigen, sexistischen.“

Das klingt aber nun sehr nach Macho. Sind Sie ein Chauvi, Herr Coverdale?

“ Wenn jemand das bei meinen Songs assoziiert, lasse ich ihm den Glauben. Ich gebehäufig Autogramme autBeine, Brüste, aul alle möglichen weiblichen Körperteile. Die Damen scheinen das zu mögen. Was soll’s, solange Leute saufen und bumsen, wird’s Rock’n’Roll geben, weil das die beste musikalische Untermalung iür körperlich es un d em otion ales A ustoben ist. Vorausgesetzt allerdings, die Musik wird ehrlich präsentiert. „

Coverdale lebt total, bezeichnet sich selbst als ausgeprägten Hedonisten, als Lustmenschen also. Es blieb dem aufmerksamen Leser sicher nicht verborgen, daß er zum Trunke neigt, wobei er stets auf Qualität achtet und die Fassung wahrt. Er ist Meister im Mixen exotischer Cocktails (Spezialität: mexikanische Margheritas), er liebt die japanische Küche, kann sich nicht satt sehen an den kunstvoll zubereiteten Sushi-Köstlichkeiten. Im alten Griechenland hätte man ihn sicher als Epikuräer eingestuft. Hat die Schlange für ihn außer der eindeutig-zweideutigen noch eine besondere Bedeutung?

„Ich mußte während einer Foto-Session mal so eine verdammte Riesen-Schlange um den Hals tragen. Zu meinen Füßen wand sich ein bezauberndes Mädchen, entblößt und attraktiv, die ich aber nicht mal beachtete. Vor Angst sträubten sich fast meine Nacken-Haare, ich fing an zu schielen, es war furchtbar.

Ich wünschte, ich hätte die Band „Bockwurst“ genannt, dann wäre es wirklich offensichtlich gewesen. Das hätte allerdings auf Fotos nicht so gut ausgesehen. Ich hätte dann höchstens allen militant feministischen Journalistinnen einen Gefallen getan.

Was soll’s, es wimmelt in meinen Texten nur so von Symbolismen für Phallus und Pussy. Wenn ich in Jamalca geboren wäre, hätteich die Bandvermutlich ‚Blacksnake‘ genannt. Die Schlange war schon immer ein Symbol für Fruchtbarkeit. Solange ich noch schar/ auf Jemanden sein kann, werde ich auch ein ehrlicher Rock-Sänger sein. Ich hob‘ die Band ‚Whitesnake‘ genannt, weil’s besser klingt als Bockwurst.“ (‚Bockwurst‘ sagt er übrigens immer auf deutsch.) Soweit das Thema Würstchen und Schlangen. Selbst auf die Gefahr hin, daß sein Charme und seine gute Laune einfrieren, möchte ich wissen, wie er seinerzeit ausgerechnet mit Klassik-Rock-Fusionist Eberhard Schoener zusammenkam. Reaktion: Verzweifeltes Augenrollen, gespieltes Entsetzen.

“ Was für eine bizarre Frage! Damit habe ich nicht gerechnet. Ich hob’mal eine fanz furchtbare Sache namens WINDOWS unternommen (1974, München. Gemeinschafts-Komposition von Jon Lord und Schoener.) Schoener ist ein sehr guter Typ, ein großes Talent, aber musikalisch haben wir nicht das Geringste gemeinsam. Wir leben in zwei verschiedenen Welten. Ich sehe nach wie vor keine Verbindung zwischen klassischer und Rock-Musik. Er mag Rockmusik, hat aber keine richtige Annäherung dazu. Schließlich geht es bei Rockmusik um wesentlich mehr, als nur he Gitarre aulzudrehen und laut zu schreien.“

Worum geht es dann in der Rockmusik?

„Es geht um Leidenschaft, meine Liebe“, knurrt er katergleich, so daß es einen winzigen Schmetterling in meinem Bauch zum Flirren bringt, „um Spannung und Hingabe. Ich liebe es.“