Whale
Am Anfang gab's nur einen Song - den aber mochte MTV so gerne, daß Schwedens Punk-Hopper in die 'Active Rotation' rutschten, jetzt gibt's den Nachschlag
Stockholm, Suburbia. Vor dem heruntergekommenen Jugendzentrum, das in einem häßlichen Plattenbau untergebracht ist, lungern ein paar 14jährige herum, aus dem Ghettoblaster tönt Survivors ‚Eye Of The Tiger‘. Dumpfes Baßwummern deutet aber an, daß hier noch etwas anderes im Gange ist. Im Disco-Raum des Clubs herrscht kreatives Chaos. Hier, von den gelangweilten Halbwüchsigen weitgehend ignoriert, probt Schwedens jüngste Alternative-Hoffnung Whale für die bevorstehende erste Tournee, in drei Tagen soll’s losgehen.
Mit seinen 26 Jahren ist Gitarrist Henrik Schyffert zwar bereits ein alter Hase im Musikgeschäft, nur war er bisher für die andere Seite tätig. „Ich war 14, da schrieb ich einen Brief ans staatliche Radio, sie brächten nur Schrottmusik, und die schrieben zurück: Gut, dann komm‘ doch vorbei und mach’s besser. Ich dachte: ‚äh…was? Ich weiß bis heute nicht, was in sie gefahren war.“ Nach vier Jahren beim Radio ging’s mit 18 zu MTV nach London, wo das Wunderkind drei Jahre lang als Producer für die Indie-Show ‚120 Minutes‘ fungierte. Heute ist der baumlange Schwede in der Heimat ein gefragter Mann bei Radio und Fernsehen, leitet eine Comedytruppe – und hat jetzt noch einen Job mehr: Henrik, seine Freundin und Kollegin Cia Berg, bisher in so illustren Combos wie Cia And The Penises aktiv, und der HipHop-Produzent Gordon Cyrus, Inhaber eines eigenen Labels für Schweden-Hop, sind Whale. „Wir hatten nie vor, eine Band zu starten“, erzählt Schyffert, der bislang in „uninteressanten Punkbands“ die Gitarre würgte. „Gordon und ich produzierten die Backgroundmusik für den Musiksender, bei dem ich arbeite. Wenn wir im Studio noch mehr Zeit hatten, als wir brauchten, jammerten wir oft noch rum. Bei einer dieser Sessions entstand dann ein Song. Wir riefen Cia an und nahmen das Ding auf.“ Das Ergebnis gefiel, darum erlaubte man sich den Spaß, das Tape an diverse Plattenfirmen zu schicken – und hatte aufgrund eines einzigen Tracks plötzlich einen Vertrag in der Tasche. Doch wovon jede Jungband träumt, erschien den drei Vielbeschäftigten zunächst weniger himmlisch.
„Damals gingen wir zum Krachmachen in den Probenkeller, zum Abreagieren, tranken ein paar Bier und blödelten rum. Und plötzlich artete das ganze in Arbeit aus.“ Hetzen ließ man sich aber erstmal gar nicht, auch nicht von der Tatsache, daß MTV die Newcomer liebgewann und das überdrehte Video zu ‚Hobo Humpin‘ Slobo Babe‘ Ende 1993 rauf und runter spielte. Anstatt den Überraschungserfolg zu nutzen und gleich weitere Singles oder eine LP nachzuschieben, gab man sich gelassen. „Die Plattenfirma weinte natürlich, aber wir hatten damals weder Zeit noch Lust, neue Songs zu machen. Jeder von uns hatte seinen Job zu tun.“ Geschlagene anderthalb Jahre nach ‚Hobo Humpin‘ Slobo Babe‘ gibt es jetzt Neues vom Wal. Der EP ‚Pay For Me‘ folgt im Juli das erste Album ‚We Care‘. Zum Stilmix aus Punk und HipHop tischen die drei Freaks kryptische Texte auf, die bevorzugt nach dem von Henrik favorisierten System der „Post Production Rationalisation“ entstehen. Schyffert erklärt: „Meiner Meinung nach eine sehr gute Denkweise. Erst denkst du dir was aus, dann entscheidest du, was es bedeutet. Unsere Texte funktionieren wie diese Tintenkleks-Tests. Jeder kann etwas völlig anderes heraushören, und jeder hat recht.“ Daß sie dabei auf generelles Unverständnis stoßen könnten, läßt Whale kalt.
„Wir sitzen nicht da und überlegen, welche Message wir der Welt jetzt übermitteln könnten. Wenn man politische Texte machen will, muß man das clever anstellen. Nicht wie Clawfinger, die glauben, Schwarzen in den USA erzählen zu müssen, wie sie sich gegenseitig zu titulieren haben. Ich kann diese ‚Sag mir was ich tun muß, oh yeah, ich bin ein zorniger junger Mann‘-Attitüde nicht ausstehen.“