Westernhagen: So ein Glück!


Ein Mann sieht rosa: mit LIVE zum Sonnenkönig des deutschen Pop-Olymp, mit Ehefrau Romney zum Honeymoon der Lebensfreude. Sein süßes Erfolgsgeheimnis: liebe dich selbst dann lieben dich auch die Fans.

Noch nie standen die Sterne so schlecht wie heute. Das vierzeilige Horoskop in der „Abendzeitung“, sonst stets verläßlicher Aufheller des tristen Journalisten-Alltags, liest sich wie ein Horrorskop: „Seien Sie mißtrauisch, geben Sie nicht zuviel preis“, heißt es da beim Schützen Westernhagen, unter meinen Zwillingen steht lapidar: „Bleiben Sie heute lieber im Bett. “ Glauben heißt nicht wissen, rede ich mir ein, doch Marius‘ Glaubensbekenntnis trägt nicht gerade zu meiner Beruhigung bei:

„Wer nur das glaubt, was er sieht, ist ein armer Mensch. Gott ist kein alter Mann mit einem langen, weißen Bart. Gott ist in dir selbst.“

Mein Gott – dabei zuckt noch nicht einmal der Winkel seines Mundes, derselbe Mund, der auf der letzten Platte Zeilen wie „Dein Hintern ist rund, süßer Gestank, vor Geilheit ganz krank“ sang. Mag man fast nicht glauben, halten sich doch alle anderen Sanges-Götter im deutschen Pop-Olymp strikt bedeckt in Glaubensfragen.

Westernhagen hat keine Hemmungen, über Gott und die Welt zu sprechen. HALLELUJA ist fast Doppel-Platin, LIVE liegt weit jenseits der 300.000, eine halbe Million kreischende Fans waren bei seinen Konzerten – doch das alles wären höchstens Argumente für Zeitgenossen, die ihr Selbstbewußtsein am aktuellen Kontostand ablesen.

Westernhagen hat sein geistiges Kapital besser angelegt, sein Persönlichkeits-Guthaben mehr als vervielfacht: Er hat geheiratet. Marius hatte drei Leben: eines vor der Frau, das zweite war der Kampf um die Frau, und nun will er. daß das dritte Leben, das mit Romney, auch sein letztes sein soll. Drei Jahre lang mußte er quer über den Weltball dem dunkelhäutigen Star-Model hinterherwerben. Ausgerechnet der Lennon-Fan Westernhagen. der dem Ex-Beatle jene Yoko-Manie nie so recht abkaufen konnte, fand dasselbe wie John – die große Liebe und sich selbst: „In meinem Leben davor wußte ich nie, daß ich nichts zu verlieren habe. Ich habe mich für nichts hundertprozentig engagiert. Und nun mußte ich es auf einmal – für einen Menschen. Um es ganz pathetisch zu sagen: Ich mußte bereit sein, für diesen Menschen zu sterben.“

Mehr Glück als Verstand also, daß an diesem Tag mein Lieblings-T-Shirt („Don’t Marry – Be Happy“) in der Wäsche lag. Denn Show kann das nicht sein, diese Innigkeit, mit der die Eheleute Westernhagen den ganzen lieben Tag mit uns durch Hamburg ziehen, so daß sogar ein fanatischer Heirats-Hasser wie unser Fotograf Fred angesichts dieser warmen Frisch-Verliebtheit nach zwei Ring-Jahren leise Zweifel bekommt, ob das Er-war-einsam-aber-schneller-Dasein als Junggeselle wirklich das alleinseligmachende Lebensmodell für einen jungen Mann ist.

Marius zumindest hätte sich an meinem Provo-Shirt nicht sonderlich gestört, er kann inzwischen voll und ganz zu sich und seinem Weg stehen: „Ich treibe keine Politik, ich taktiere nicht, und ich verstecke mich nicht. Wenn mir jemand eine zu intime, unangenehme oder dumme Frage stellt, bin ich ja nicht gezwungen, sie zu beantworten. Ansonsten sage ich das, was ich denke. Wenn mich jemand angreifen will, muß er das von vorne tun.“

Aber deshalb wollten wir Westernhagen ja auch nicht treffen. Viel eher schon, weil er da eine Frage aufgeworfen hat. Nicht die Frage nach dem Sinn des Lebens, wie in dem Buch „Per Anhalter durch die Galaxis“, das nun schon seit einem halben Jahr ungelesen neben Westernhagens Nachttisch liegt („Ich muß wirklich mal wieder Urlaub machen, sonst komme ich nie zum Lesen“). Was wir wissen wollten: Wie schafft es dieser dünne Hering, ein so dicker Fisch zu werden und dennoch nicht zu stinken?

Schon einmal, 1981, war Marius ganz oben, fast über Nacht und fast so glänzend wie in diesem Jahr, doch jetzt kommt er damit besser zurecht: „Ich habe noch nie soviel Erfolg gehabt wie im Moment, unglaublich. Ich stehe davor und staune, kann es heute aber besser ertragen, es macht mich sogar glücklich. Als mir vor Jahren ähnliches passierte, hat es mir Angst gemacht. Auf einmal stand ich in Schuhen, die mir viel zu groß waren und habe versucht – vielleicht noch nicht mal bewußt – alles wieder kaputt zu machen. „

Ja, ja, schlimm, schlimm. Wieder einer, der seinen Beruf ausübt, dabei Erfolg hat, und damit seine Probleme hat. Und soo unvorbereitet dürfte es ihn nicht getroffen haben. Er ist kein Arbeitersohn, arbeitete aber schon immer hart als Musiker und Schauspieler. Als seine Karriere mit „Theo“ und STINKER schon einmal explodierte, hatte er schon fünf LPs gemacht und in etlichen Filmen gemimt. „Ist ja gut“, lenkt er ein, „eigentlich gab es keinen Grund zum Jammern: Ich verkaufte viele Platten, die Konzerte waren voll, und ich verdiente natürlich wesentlich mehr Geld als vorher. Aber ich stand auch plötzlich unter einem mördermäßigen Druck.“

Und unter dem Eindruck eines kleinen privaten Wirtschaftswunders. Marius lehnt sich in die Ledersitze seines schwarzen Jeeps und versucht, seiner Stimme noch einen Kick mehr Festigkeit zu geben: „Wichtig ist, daß ich mich von materiellen Dingen, die ja schon fast sinnlich sein können, nie abhängig gemacht habe.“

In Prunk und Protz lebt der stabile Umsatz-Garant seiner Plattenfirma tatsächlich nicht. Keine Villa mit Sauna und Pool, nur eine schmucke Zwei-Etagen Wohnung im feinen Hamburger Stadtteil Harvestehude. „Sicher – ich habe heute einen ziemlich hohen Lebensstandard, aber ich muß nicht alles haben. Wenn ich mir etwas kaufe, überlege ich auch jetzt noch, ob ich es wirklich brauche. Ich kann für ein Hemd viermal in den gleichen Laden laufen, den Verkäufer fast zum Wahnsinn treiben und es mir dann doch bis zum nächsten Tag zurücklegen lassen.“

Und warum sollte sich ein Mann mit 41 Jahren, in Beruf und Ehe erfolgreich, nicht mit ein paar schönen Dingen umgeben, solange er nicht abhebt. Marius hat die Bodenhaftung nie verloren, mittlerweile unterstützt von Romney: „Sie ist immer dabei und rückt mir den Kopf zurecht, wenn er zu dick wird.“

Zu dick zu werden, war nie Gefahr für den noch immer täglich trainierenden Sportler, aber es bestand ebenfalls nie die Gefahr, um das Existenzminimum bangen zu müssen.

Ja, was ist, wenn keiner meine Platten mehr kauft? Ich kann nicht beantworten, wie ich darauf reagieren würde. Wenn ich vor 60.000 Leuten spiele, genieße ich das in vollen Zügen, aber es ändert mich nicht. Was ich versuche, ist, mir meine Naivität zu bewahren. Ich will einfach nicht in die Situation kommen, alles als gottgegeben anzusehen. Wenn dir jeden Abend zigtausend Menschen zujubeln und du bist nicht mehr fähig, dich zu freuen und dir zu sagen verdammt noch mal, die kommen alle nur wegen uns – der Wahnsinn!‘, dann wird es gefährlich.“

Als er noch Müller-Westernhagen hieß, war er auch ein talentierter und mehrfach preisgekrönter Schauspieler. Vorsicht ist also geboten, wenn dieser Mann nun einen auf ich-freumich-wie-ein-Kind macht. Doch das ist nicht gespielt: Wir warten vor dem WEA-Haus darauf, daß uns das Garagentor aufgemacht wird, als ein Mitarbeiter der Firma eine Promo-CD des neuen ZZ Top-Albums reinreicht. Marius‘ Schmal-Backen ziehen sich sofort in ungeahnte Breiten. Der Mann, der sich alles kaufen kann, freut sich wirklich wie ein Kind.

Zwei Stockwerke darüber ist die Wand im großen WEA-Besprechungszimmer mit Goldenen und Platin-Schallplatten tapeziert, nicht wenige davon gehen auf Westernhagens Konto. Kurz grinst Marius über den letzten Satz der Englisch-Schulung für WEA-Leute an der Tafel („to become famous“), sein Blick schnellt aber sofort zum Edelmetall zurück: „Ich freu mich auch heute noch über jede goldene Platte. Ich hätte jeden, der mir am Anfang meiner Karriere prophezeit hätte, einmal Goldene und Platin-Platten zu bekommen, für verrückt erklärt. Genausowenig habe ich daran gedacht, vor so vielen Menschen Konzerte zu geben. Ich weiß noch, als ich mit 15 oder 16 die Beatles in der Grugahalle sah, dachte ich mir: ,Mein Gott ist die riesig‘.“

Fast so riesig wie die Westfalenhalle zu Dortmund, in der Marius als Gefühls-Guru 20.000 Seelen beglückte. Diese Messe brachte er inzwischen als Live-Platte und -Video heraus. Marius sagt dazu, was er sagen muß: „Ich wollte lange Zeit keine Live-Platte machen. Wir hatten zwar auch auf früheren Tourneen ab und zu mal ein Konzert mitgeschnitten, aber es hatte weder die Atmosphäre noch die Qualität, die ich mir vorstellte. Diesmal hat einfach alles gestimmt, und das hängt sicher auch damit zusammen, daß ich endlich die richtigen Musiker gefunden habe.“

Er sagt auch – ihm kann man das getrost glauben – voller Stolz, daß ihm die Plattenfirma in seine Entscheidungen noch nie reingeredet habe und auch der Entschluß, ausgerechnet nach dieser erfolgreichen Mega-Tour einen Live-Tonträger auf den Markt zu werfen, Galaxien jenseits des reinen Reibachs sei. Doch solche Rechtfertigungen hat er schon lange nicht mehr nötig: „Oft ist es bei Plattenfirmen so, daß man, wenn ein Act sehr erfolgreich ist, in der Pause zwischen zwei Studio-Alben eine Live-Platte veröffentlicht, die – auch was zum Beispiel das Cover betrifft – wenig kosten, aber eine Menge zusätzlichen Gewinn bringen soll. Was ich wollte, ist ein Event. Für mich, für meine Band und natürlich auch für die Fans. Ich habe nicht mit mehr als 150.000 verkauften Platten gerechnet, was für ein Live-Doppelalbum schon ein sehr gutes Ergebnis ist. Daß es nun innerhalb von zehn Tagen über 300.000 Stück verkauft, hat mich doch sehr überrascht.“

Westernhagen, von seiner Sprachmelodie her eher seiner Geburtsstadt Düsseldorf denn der langjährigen Wahlheimat an der Alster verbunden, freut sich wirklich, wenn er sich freut. Heute freut er sich sogar fast den ganzen Tag. Die für Hamburger Verhältnisse verdammt grelle Sonne an diesem warmen Herbst-Nachmittag zeigt es mit fast brutaler Klarheit: Glückliche Menschen haben Grins-Falten. Selbst, als er in der Innenstadt auf dem Weg zu seinem Lieblings-Imbiß in der Nähe des Rathausmarktes keine zehn Schritte ohne Autogrammwunsch gehen kann, zucken dauernd diese Glücks-Muskeln im Gesicht. Die Leute auf der Straße begegnen ihm ausschließlich freundlich, ein Grund für ihn, immer noch hier zu wohnen: „Diese hanseatisch-unterkühlte Zurückhaltung ist mir sehr angenehm. „

Dem Star-Rummel entkommt natürlich keiner in der Spielklasse Westernhagens – an die meisten Auswüchse hat er sich aber gewöhnt. Er gesteht: „Ich bin eigentlich sehr introvertiert. Ich ertrage den Rummel, denn er gehört zu meinem Beruf. Wenn mich Leute auf der Straße nach einem Autogramm fragen, denke ich mir oft: Sie kaufen schließlich meine Platten und gehen in meine Konzerte. Das heißt: Im Endeffekt zahlen sie mein Auto, meine Wohnung, und natürlich auch, daß ich meine Arbeit so machen kann, wie ich mir das vorstelle.“

Star sein als Beruf – kaum ein anderer verkörpert diese reichlich undeutsche Einstellung so überzeugend wie dieser Westernhagen, der von seinen Musikern Kreativität und Zuverlässigkeit verlangt, und der ganz genau weiß, welchen Preis er für seinen Erfolg zu zahlen bereit sein muß. Das sind weniger die Einschränkungen im Privatleben, das außerhalb seiner Wohnung immer auch ein Öffentliches ist. Gefragt nach jenem Preis, den er zu begleichen nicht mehr in der Lage ist, muß er denn auch lange überlegen. „Ach, den gibt es eigentlich gar nicht. Ich habe schon mal depressive Phasen, aber ich bin doch in der Situation, daß sich das alles nur im deutschsprachigen Raum abspielt. Ich bin doch nicht wahnsinnig. Ich steige ins Flugzeug, fliege nach Amerika oder sonstwohin und keine Sau kennt mich – herrlich!“

Halt – es gibt doch Schattenseiten des Erfolges, die ihm arg ans Leder gehen. Wenn er auf der Bühne steht, vor ihm zigtausend „Wahnsinnige“, die ihm an den Lippen hängen, dann weiß er. daß er die Leute in seiner Hand hat. daß er für sie an diesem Abend allein die Verantwortung trägt. Damit Erfolg zu haben – das steigt schnell in den Kopf. Marius hat da einen Selbstschutz-Trick: Er versucht, sich einfach als Medium zu sehen, als Schwamm, der die feuchten Gefühle und Projektionen seiner Fans aufnimmt und an sie zurückgibt.

Daß einer bei dieser Masse noch Klasse bewahrt, ist selten in Deutschland, wo viele Kollegen öffentlich jammern, daß sie leider nicht mehr in kleineren Clubs spielen können, die angeblich so viel intimer seien als die großen Hallen. Wer Marius live gesehen hat, weiß, daß es auch anders geht, und Marius weiß, daß es vielleicht auch mal wieder ganz anders werden kann: „Wie oft hat man im Leben als Musiker Gelegenheit, vor so vielen Leuten zu spielen ? Vor 2(X) Leuten werde ich immer spielen können.“

Der geile Prinz („Danke – das sehe ich als Kompliment an“) wird – das ist sein Trick – auch mit tausenden von Fans sofort intim. Erlauben kann er sich das. denn seine Musik konzentriert sich auf hormonschweren Rhythm ’n‘ Blues. Rock ’n‘ Roll und alles, was sonst noch Eier unten dran hat. Und dennoch – daß er mit einer derart traditionellen Musik, weitab von allem, was sonst zur Zeit durch die Charts geistert, gerade so viele junge Leute begeistert, dieses Phänomen kann er sich selbst auch nicht erklären. Alles was er weiß, ist: „Immer wenn meine Arbeit mit mir selbst zu tun hatte, also mit mir identisch war, hatte ich Erfolg. Wenn ich aber versucht habe, mich hinter irgendwelchen Rollen zu verstecken, habe ich mich nicht nur von mir, sondern uueh vom Publikum entfernt.“

So ist es in der Tat – die wahre Schönheit kommt von innen. Und auch die schöne Wahrheit. Wenn Marius von Gott spricht, meint er den Gott in sich selbst, denn für sich hat er seinen Gott gefunden: die Liebe. Das einzige im Leben also, was auf Dauer besteht.

Deshalb singt er in seinen Texten auch vor allem darüber, schließlich will jeder Musiker ein Fünkchen Ewigkeitsanspruch in seiner Kunst haben. Dafür benutzt er mittlerweile Bilder, die jeder versteht, aber doch mit eigenen Gedanken anfüllen kann: „Wenn ich die Zeile ,wenn ich das Licht seh‘ singe, entstehen bei mir immer wieder neue Interpretationen. Das genau meine ich mit offenen Bildern.

Ein Bild, das sich irgendwann in meinen Kopf geschlichen hat. Ich weiß bis heute nicht konkret, was das Licht für mich ist. Vielleicht ist das Licht die Erlösung, vielleicht auch der Tod. Vielleicht auch beides.“

Marius hat gelernt, daß alles, was man von sich gibt, in irgendeiner Form wieder auf einen zurückfällt. So erklärt er auch Romneys kleinem Sohn Guilio das Lehen: „Wenn du die Menschen gut behandelst, werden sie dich auch gut behandeln. Wenn du sie haßt und ihnen ständig ohne Grund in den Arsch trittst, werden sie dir eben irgendwann auch in den Arsch treten.“

Die wahren Dinge im Leben sind eben einfach. Und gewiß nicht banal. „All You Need 1s Love“ sangen schon die Beatles. Daran ist nichts auszusetzen, und für Marius „ist das genau das, was ich in meinem Leben erfahren habe.“