Westernhagen: Hannover, Niedersachsenstadion
ES IST SEINE LETZTE TOURNEE, DIE ER ALS ROCKSTAR SPIELT, VERKÜNDETE HERR Westernhagen vor Wochen der Presse. Fast richtig. Nach dem Auftaktkonzert im ausverkauften Niedersachsenstadion muß es heißen: Es ist die letzte Tournee, bei der Westernhagen den Rockstar spielt. Die theatralisch überhöhte Totalinszenierung des Gesamtkunstwerkes „Westernhagen“ hat mit dieser Tournee ihren Höhepunkt gefunden. Auch ihren technokratischen: 300 Techniker und Roadies brauchte es, um die 570 Tonnen schwere Bühne aufzubauen. Eine neofuturistische Theaterbühne von orwellschen Dimensionen. Das Auge des Großen Bruders-ein riesiger, Radioteleskop-artiger Videoschirm -dreht sich in Zeitlupe zum Publikum, 700.000 Watt starke Wunderlampen blitzen auf, Super-Marius hüpft auf die Bühne und singt „Es geht mir gut“. Im lila Seidenanzug geht es ohne Zwischenansagen zackig weiter. „Schweigen ist feige“, bei „Willenlos“ sind Russ Meyers „Supervixens“ auf der Mega-Screen zu sehen. Westernhagen badet im Dreiminuten-Applaus.“Überwältigt von der Gefühlswelle der Fans“ steht in seinem inneren Drehbuch. Die uköpfige perfekte Band im Rücken, die vermeintlich sichere Song-Mischung aus ein paar neuen und vielen alten Hits auf der Setlist, die Mega-Bühnentechnik als wattstarke Schnittstelle zum Publikum – eigentlich sollte man denken, daß da nichts anbrennen kann. Und dennoch will in Hannover diese ganz speziell-intime, spirituelle Spannung nicht so recht aufkommen, die Westernhagen-Konzerte in früheren Jahren zu fast religiösen Events machte. Liegt es an der Song-Reihenfolge (fast auf jeden Hauer folgt kein Zweiter, sondern eine Ballade), an dem seltsam steifen, nervös am Gehrock nestelnden Westernhagen, an der mangelnden Zugkraft der neuen Songs? Oder vielleicht an der Überperfektion, mit der er und die Band ihre nette Schunkelmusik spielen? 65.000 Fans schunkeln mit, doch die Welle der Emotion erreicht erst bei „Wieder hier“, der letzten Nummer vor den sieben Zugaben, ihren Scheitelpunkt. Fairerweise muß man sagen: Andere großen Mimen der darstellenden Künste würden sich die Finger danach schlecken, ihre zweieinhalbstündige Inszenierung vor 65.000 Besuchern darbieten zu können. Gönnen wir Westernhagen den wohlverdienten Ruhestand als saturierter Rock-Multimillionär und zerren wir ihn nach Abschluß dieser Tour nicht wieder in die Sängerrolle vor eine Band. Glauben wir doch endlich seinen eigenen Worten: „Sexy? Das tut dem alten Mann doch weh!“