„Wer ist Herbert Grönemeyer?“
Red Hot Chili Peppers-Gitarrist John Frusciante ist erklärter Fan des kultigen deutschen Elektronik-Duos NEU! aus den siebziger Jahren. Sein Idol: NEU!-Gitarrist Michael Rother. Aber haben sich die beiden auch was zu sagen? Der Musikexpress hat's ausprobiert und sie zusammengebracht.
Wann hat man schonmal das Gefühl, an einem bahnbrechenden Konzerterlebnis nicht ganz schuldlos zu sein? Als die Red Hot Chili Peppers Ende März ihr Hamburg-Konzert spielten, war die Freude unter den mehr als 16.000 Zuschauern riesengroß – nicht allein wegen des großartigen Konzertes an sich, sondern auch wegen der Zugaben. Denn die nach Konzerten dieser Größenordnung erwartete Kür war mit 83 Minuten (!) länger als die Konzerte mancher Newcomer. Die Hamburger feierten die Band, die Zeitungen schrieben an den Folgetagen von einem Konzertereignis, wie man es nur alle paar Jahre erlebt. Wann hat es das schon mal gegeben, dass die Zugaben mehr Eindruck hinterlassen haben als das eigentliche Konzert? Was also war da in der „Color Line Arena“ passiert?
Anthony Kiedis war schon längst von der Bühne verschwunden, da tobten zigtausend Fans immer noch im riesigen Rund – weil sie Zeuge einer spontanen Jam-Session wurden. Auf der Bühne: Gitarrist John Frusciante, Bassist Flea und mittendrin ein schlanker, fast unscheinbarer Mann, das Haar angegraut, die Gitarre jedoch wie eh und je fest im Griff. Michael Rother, 53 Jahre alt und von 1971 bis 1975 Gitarrist bei der Siebziger-Jahre-Elektronik-Legende NEU! Das Duo aus Rother und Sänger Klaus Dinger hat mit seinen minimalistisch-mantragleichen Beats jahrzehntelang ganze Heerscharen von Musikern geprägt. Auch John Frusciante erzählt in Interviews oft und gern, wie sehr ihn Rothers Gitarrenspiel beeinflusst hat. Frusciante, sonst eher introvertiert, steht also an diesem Abend auf der Bühne und ruft: „Ihr könnt alle nach Hause gehen. Das hier ist Michael Rother – und wir spielen noch bis morgen früh.“ Selten, so sagt selbst Anthony Kiedis später backstage, hat man diesen schüchternen Musiker ausgelassener erlebt.
Ein paar Stunden zuvor, beim Zusammentreffen von Rother und Frusciante in den Backstage-Räumen, war der RHCP-Gitarrist tatsächlich noch zurückhaltend. Doch das legte sich schnell, denn er entpuppte sich als interessierter Fragesteller, der sich im NEU!-Werk bestens auskennt.
MUSIKEXPRESS: John, du hast sehr oft und immer wieder betont, wie sehr Neu! dich beeinflusst hat. Gibt es einen oder mehrere Songs, die du als bahnbrechend für dich und deine Arbeit bezeichnest?
JOHN FRUSCIANTE: Fast das gesamte Werk von Neu! ist für mich gewaltig. Jeder der Songs ist wie ein Teilchen, das zu einem großen Ganzen gehört. Jeder Titel ist wichtig und hat seine Funktion, und daher gehören die Songs von Neu! für mich auch alle zusammen. Fast wie ein Kunstwerk. Michael, was machst du zum Beispiel mit deiner Gitarre auf „Negativland“?
MICHAEL ROTHER: Das ist keine Gitarre, die wir da spielen. Klaus Dinger spielt eine Nagoya-Harfe, ein Instrument aus China oder Indien. Du zupfst mit der rechten Hand die Saiten und spielst die Melodie mit der linken Hand. Ein bisschen wie beim Pianospielen.
FRUSCIANTE(zieht einen Zettel mit Fragen aus der Hosentasche): Was sind die größten Unterschiede zwischen dir und Klaus Dinger bei Neu! gewesen?
ROTHER: Klaus war rockorientierter als ich. Ich wollte mehr neuartige Sounds ausprobieren, das ging aber nicht mit ihm. Ich habe 1973 Dieter Möbius und Hans-Joachim Rödelius getroffen, und neben NEU! habe ich mit den beiden bei Harmonia zusammen gespielt. Klaus und ich waren schon damals zerstritten, und die Harmonia-Tour mit Möbius und Rödelius hat mir neue Horizonte aufgezeigt. Auch wenn wir manchmal vor drei Leuten gespielt haben. Ich weiß nicht, ob ich ohne die beiden die Kraft gehabt hätte, noch NEU! 75 mit Klaus aufzunehmen. Wahrscheinlich wäre es schon vorher aus gewesen mit uns.
FRUSCIANTE: Beim ersten Song auf Harmonia ist immer so ein sirrendes Geräusch zu hören. Was ist das?
ROTHER: Meine Güte, du kennst dich wirklich gut aus! Ich weiß das leider nicht mehr, weil das Möbius‘ Einfall war. Möbi hat bis heute immer noch vollkommen verrückte Einfälle, irgendwelche Geräusche, die er in die Lieder einbaut. Er findet Dinge, die nichts mit Musik zu tun haben, und baut sie in die Songs ein. Ein Maniac. Live ist es uns oft nicht gelungen, diese Sounds nachzuspielen. Möbi ist ein intuitiver Arbeiter.
FRUSCIANTE: Macht ihr nochmal zusammen ein Album?
ROTHER: Bislang ist nichts geplant. Die Re-Releases von NEU! waren sehr wichtig, nun kommt demnächst mein Soloalbum. Vielleicht ist es nur eine Frage der Zeit, bis Möbi und ich wieder zusammen arbeiten. Aber auch wir sind sehr verschieden. Es hat viel mit Magie zu tun, und die Zeit mit Klaus Dinger hat mich wirklich geprägt, was die Zusammenarbeit mit anderen Musikern angeht.
FRUSCIANTE: Was hast du als Kind für Musik gehört?
ROTHER: Meine Mutter hat immer Chopin gespielt, ich denke, dass hat mich sehr geprägt.
FRUSCIANTE(fällt ins Wort):… mein Vater hat Chopin immer auf dem Piano gespielt. Das ist ja witzig! Da liegt eine kleine Generation zwischen uns, und wir leben tausende von Kilometern auseinander, und trotzdem sind wir mit derselben Musik aufgewachsen.
ROTHER: Chopin war der Lieblingskomponist meiner Mutter. Sie war Konzertpianistin, hat am Konservatorium gelernt. Sie war wirklich gut, aber als sie fertig war, das war Ende der vierziger Jahre, musste sie in einem Büro arbeiten gehen. Aber sie hat es mit Humor gesehen und sagte immer, die Muskeln, die sie durch das Piano spielen bekommen hat, kann sie jetzt für die Schreibmaschine gebrauchen.
FRUSCIANTE: Mein Vater war auch Konzertpianist. Aber er musste wegen Rückenproblemen aufhören. Er hat das nie richtig verwunden. Heute arbeitet er beim Gericht.
MUSIKEXPRESS: Mit welchem Stück habt ihr angefangen, Gitarre spielen zu lernen?
ROTHER: Mit Songs von George Harrison, und später, wie alle, habe ich Jimi Hendrix nachgespielt. Erst dann war man wirklich gut.
frusciante: Hat dich Hendrix dazu inspiriert, deine wunderbar kreativen Songs zu schreiben?
ROTHER: Nein. Ich wollte einfach all das vergessen, was ich gelernt habe. Ich war beseelt von dem Drang, etwas Neues und eigenes zu kreieren.
FRUSCIANTE: Wer hat dich inspiriert?
ROTHER: Conny Plank. Er war einfach ein begnadeter Produzent und einer der inspirierendsten Menschen, die ich je getroffen habe. Leider ist er viel zu früh, 1987, gestorben. Aber er hat mich nachhaltig beeinflusst, nicht nur in seiner Arbeit, auch in seiner Art als Mensch.
FRUSCIANTE: Wie lange hast du bei Kraftwerk gespielt?
ROTHER: Nur sechs Monate, aber das war eine harte und wirklich verrückte Zeit. Klaus, Florian und ich, wir passten eigentlich alle gar nicht zusammen. Das ging schon an die psychologischen Grenzen, denn jeder wollte alles ausprobieren. Popmusik war ja noch neu. Es war in allen Belangen extrem, es ging immer nur ums kämpfen, kämpfen, kämpfen. Das war auch der Grund, warum die alten Platten von NEU! so lange nicht auf CD zu haben waren. Klaus und ich, wir haben bis heute Stress und kommen einfach nicht zusammen. Wir sind so verschieden und leben in vollkommen anderen Welten, heute natürlich noch viel mehr als damals. Da gilt großer Dank Herbert Gronemeyer, der es geschafft hat, uns für die Re-Release wieder zusammenzubringen.
FRUSCIANTE: Wer ist Herbert Gronemeyer?
ROTHER: Ein deutscher Musiker und Schauspieler, ein großer Star bei uns. Er hat 1998 bei einem Fotoshooting NEU! zum erstenmal gehört und war verwundert, dass es die CDs nicht zu kaufen gab. Seitdem hat er alles daran gesetzt, sie wieder zu veröffentlichen. Das haben vorher schon viele andere versucht, aber er hat es dann geschafft.
FRUSCIANTE: Gott sei Dank. Ich habe die Re-Releases sofort gekauft, als sie zu haben waren. Und die Original-Vinyls hüte ich wie einen Schatz, die höre ich so gut wie gar nicht mehr.
MUSIKEXPRESS: John, hat dich NEU! mehr für deine Arbeit bei den Peppers oder für dein Solowerk beeinflusst?
FRUSCIANTE: Ich denke, für meine Soloarbeiten. Wobei ich eher von Inspiration denn Beeinflussung sprechen möchte. Was mich wirklich berührt ist die Arbeit von NEU!, sie waren für die damaligen Verhältnisse so präzise und hatten ein ungeheures Gespür für Melodien. Das versuche ich nachzuahmen, auch wenn ich komplett andere Musik mache.
ROTHER: Ich mag zum Beispiel, wie soft du Gitarre spielst, fast verzückt.