Was macht eigentlich… Roachford?
In einer losen Reihe erinnern wir an mutmaßliche One-Hit-Wonder sowie andere fast Vergessene. Den Auftakt macht eine der schönsten Soulstimmen des Lokalradios: Andrew Roachford. Der singt heute in einer anderen erfolgreichen Band.
In den Neunzigern zeigten sich Deutschlands Lokalradios von ihrer schöneren Seite: Industriemusik und dessen Protagonisten Bendzko und Co. waren noch nicht geboren, Klassiker von Elton John, Phil Collins und den unvermeidbaren, aber keinem wehtuenden Shania Twain, Roxette und Aerosmith dominierten die Airplays in Kantinen-, Firmen- und Supermarkt-Radios, die Welt war gefühlt in Ordnung. Und zwischendurch schummelten sich immer wieder vermeintliche One-Hit-Wonder in die Heavy Rotation, die eigentlich besser als ihr Umfeld waren – außerhalb dessen aber weitgehend unbeachtet oder unterschätzt blieben. So wie Roachford mit ihren 1994 erschienenen Hits „Lay Your Love On Me“ und „Only To Be With You“.
Roachfords Bandname leitet sich wie bei Bon Jovi, Wanda oder, äh, AnnenMayKantereit vom Nachnamen ihres Sängers ab: Der 1965 in London geborene Andrew Roachford gab der Band nicht nur seinen Namen, sondern auch Stimme und Gesicht. 1987 gegründet, tourten sie ein Jahr später bereits im Vorprogramm von Terence Trent D’Arby und The Christians. Im gleichen Jahr erschien ihr Debüt ROACHFORD – und warf mit „Cuddly Toy“ eine Debütsingle ab, die Musikalität und Mainstreamappeal vereinte: In „Cuddly Toy“ gesellten sich ein cheesiger 80er-Groove und eine Keyboard-Line wie aus einem Eddie-Murphy-Film zu offenen Jeanshemden, funkiger Gitarre und einer Vorliebe für Prince im Geiste. Der Song gelangte 2013 zu neuer Bekanntheit, als er in den Opening Credits der britischen Komödie „Alan Partridge: Alpha Papa“ eingesetzt wurde. Take Thats Gary Barlow coverte ihn 1997 für die B-Seite seiner Solosingle „Love Won’t Wait“.Video: Roachford mit „Only To Be With You“
Es folgten vier weitere Alben im Dreijahrestakt. Obwohl keines von ihnen je die Spitze der Charts erreichte, gelten Roachford als Columbia Records’ kommerziell erfolgreichster UK-Act der Neunziger. Schuld daran dürfte maßgeblich der Erfolg ihres dritten Albums PERMANENT SHADE OF BLUE (1994) im Ausland (Doppelplatin in Australien) sowie die nicht tot zu kriegenden Singles „„Lay Your Love On Me“ und „Only To Be With You“ gewesen sein.
Video: Roachford mit „Lay Your Love On Me“
Beide Stücke sind im Grunde Feelgood-Liebeslieder. Das eine eine Akustikgitarren-Ballade, das andere ein sich ins Uptempo steigender Poprock-Song mit Orgeln. Dazu Andrew Roachfords soulige, umarmende Stimme, der man so kitschige Zeilen wie „There isn’t a reason why this should be wrong, open your heart and I’ll play you a song“ in jeder Sekunde abnehmen wollte. Doch doch: Das hätte Lenny Kravitz als Gastsänger der Lighthouse Family nicht runder hinbekommen. Und wem das alles zu uncool klingt: „Lay Your Love On Me“ wurde übrigens von Gil Norton (Pixies, Foo Fighters, Jimmy Eat World, Counting Crows, Maximo Park) produziert.
Roachford: Das macht Andrew Roachford heute
Mit dem Ende der Neunziger wurde es auch um Roachford ruhiger. Andrew Roachford veröffentlichte ein paar Soloalben, mal unter seinem vollen Namen, mal als Roachford; zuletzt nahm er für ENCORE (2016) Coverversionen von Elton John, Simply Red, Red Hot Chili Peppers und John Lennon auf, die er auch live spielt. Eine Idee seines Managers. „Ich könnte auch eine Soul-Version von Mozart machen oder von Beethovens fünfter Sinfonie. Das ist irgendwie ein Geschenk, das ich in mir habe“, behauptete Roachford in einem Interview mit dem Deutschlandfunk. Ironie des Schicksals: 2010 hat Andrew Roachford als Leadsänger bei Mike & The Mechanics („Over My Shoulder“) angeheuert. Noch so eine Band, die aus den Lokalradio-Playlists seit 25 Jahren nicht wegzudenken ist.