Wahnsinn mit Methode


Das Unternehmen dieses Filmes ist nicht weniger spektakulär als die Story selbst Der unter extremsten Bedingungen fertiggestellte Streifen kommt nun endlich in die Kinos, nachdem die Dreharbeiten bekanntlich von Eklats und Schlagzeilen begleitet waren. Eric Oluf Jauch berichtet über dieses ebenso groteske wie traumhafte Kinowerk und sprach darüber mit dem Regisseur Werner Herzog.

Die Wirklichkeit dieser Welt ist für Brian Sweeney Fitzgerald, genannt Fitzcarraldo, den Titelhelden des neuen Werner-Herzog-Films, nur eine schlechte Karikatur dessen, was sich auf der Opembühne abspielt.

Nach Filmen über die Suche des spanischen Konquistadoren Aguirre nach den sagenhaften Goldschätzen Eldorados, nach den Odysseen Kasper Hausers und des Eigenbrödlers Stroszek hat der .wichtigste deutsche Regisseur seit Friedrich Wilhelm Murnau“ (so die Filmhistorikerin Lotte Eisner) wiederum einen Titanen überschäumender Fantasie gefunden und ihn – jeder für sich und Gott gegen alle – in seiner Urwald-Ballade „Fitzcarraldo“ porträtiert.

Fitzcarraldo hat, wie viele Herzog-Helden vor ihm, die fixe Idee, „einen Berg zu versetzen“. Fitzcarraldo will die große italienische Oper samt Enrico Caruso in den peruanischen Dschungel holen, eine Eisenbahnlinie quer durch den Urwald führen oder wenigstens einen neuen Transportweg für die Kautschukgewinnung erschließen, auch wenn man dafür Schiffe über Berge transportieren muß.

Und so beginnt die Irrfahrt des fanatischen Mannes den Amazonas hinauf. Jede Zivilisation weit hinter sich lassend, jeden Gedanken an das sogenannte Menschenmögliche ausklammernd, schlägt sich Fitzcarraldo in der Gestalt Klaus Kinskis durch die feindliche, lebensbedrohliche, sich schwül, üppig und unrealistisch darstellende Landschaft samt ihrer fremdenfeindlichen Menschen.

Ein einsamer Regenschirm, der herrenlos auf dem trägen Tropenfluß schwimmt, kündet vom schrecklichen Ende des letzten Versuchs, der Zivilisation eine Bresche in den Urwald zu schlagen. Doch der blindlings an seine Eingebungen glaubende Fitzcarraldo fährt weiter flußaufwärts. Die irritierten Indios beruhigt er mit Carusos Gesängen, die er in einer bizarren Szene vom Grammophon in den undurchdringlichen, geheimnisvoll-bedrohlichen Urwald trichtert. Was nun folgt, ist zweifellos eine Großtat cineastischer Fantasie: Fitzcarraldo und Hunderte von Eingeborenen ziehen die „Molly Adria“ quer durch den unwegsamen Dschungel – wiederum begleitet von Carusos Gesängen – über besagten Berg bis ins benachbarte Flußbett.

Man muß sich dabei vor Augen führen, daß die unglaubliche Story so, wie sie sich hier abspielt, auch gedreht wurde: Per Schiff und ohne Filmtrick über den Berg, mit Handkameras und Kinski an Bord über Stromschnellen und gegen die Amehuacas auf Kriegspfad. Man mag über den Filmemacher Werner Herzog, seine Arbeitsweise, Arbeitswut und Gigantomanie, seine Mimositäten und Grobheiten, sein Geltungs- und Herrschaftsbedürfnis denken was immer man will – Herzogs neuer Streifen kann durchgehend über fantasievolle, grotesk-irre, traumhafte, opernhaft-sinnliche, unbeschreiblich schöne Einstellungen verweisen. (Über die abenteuerlichen Dreharbeiten berichteten wir in ME 8/81)

Auch diesmal fand Werner Herzog Bilder, Situationen und Figuren, wie sie bisher kein Kinogänger sah: zum Beispiel das gesamte Orchestra Sinfónica del Repertoire aus Lima unter der Leitung von Maestro Manuel Cuadros Bare und vier Gesangssolisten auf Amazonas-Kanus. Oder Klaus Kinski, Großstar von Herzogs Gnaden, auf dem Glockenturm von Iquitos, sich wie ein Wilder gebärdend und von der Oper im peruanischen Dschungel kündend Oder ein verrückter Streckenwärter, der sechs Jahre lang mitten im Urwald ein Stück stillgelegter Eisenbahn pflegt. Oder zwölf schwitzende Indios, die sich vergeblich abmühen, einen gigantischen Baum zu Fall zu bringen. Champagner schlürfende Pferde, goldschluckende Krokodile, Schweine mit Sinn für Opernmusik. Und, vor allem, die Herrichtung, Abenteuer-Fahrt und den Transport des Amazonas-Vehikels quer über die Berge.

An einer historisch-exakten oder gar realistischen Ablichtung der Amazonas-Wirklichkeit war der Filmemacher nicht interessiert. Im Gegenteil: .Mein Film“, sagt Werner Herzog, .ist eine große Oper über den Urwald.‘ Eric Oluf Jauch Hollywood hätte es mit Sicherheit anders gemacht – aber bei Herzog (unten links) wurde nicht getrickst Seine Komparsen hievten das Schiff ohne Netz und doppelten Boden über den Berg. – Unten rechts: Wahnsinn mit Methode: Fitzcarraldo (Klaus Kinski) trichtert den Indianern von seinem Amazonas-Dampfer aus Caruso-Klänge ein.