Vorsprung durch Tekknik
Techno ist tot, es lebe der Tekkno. Der tanzende Untergrund hat eine Brachial-Variante entdeckt, die fast schon an Körperverletzung grenzt.
Es ist der 5. Jun 1991, Neue Deutsche Hauptstadt Berlin, „Love Parade“: 7000 Verrückte aus ganz Deutschland, dazwischen auch Belgier, Engländer, Italiener und Schweden, begleiten acht offene LKWs über den Q-Damm, vom Wittenberg Platz zum Adenauer Platz und wieder zurück. Von jedem der LKWs dröhnt der indignierten Normalbevölkerung härtester Techno-House entgegen — eine einzigartige Demonstration der sogar ain hellichten Tag in Trance tanzenden Techno-Jünger. Liebe unterm Stahl-Gewitter. Und wir dachten schon, Acid sei längst vorbei.
Ist es auch. Tekkkno, je nach Härtegrad mit ein, zwei oder mehr k’s geschrieben, ist die Steigerung und Weiterentwicklung des schieren Sounderlebnis in der House-Musik. Es ist die brutalste Attacke auf Körper und Geist seit Erfindung des Elektro-Schocks. Seit Acid geht es beim Dancefloor nicht mehr um schnöde Songs und lallige Melodien, sondern um nackte Sounds, die da heißen Bleeps oder Klonks. Je härter, desto besser, je hypnotischer, desto erwünschter. Permanentes Strobo-Licht, Nebel und Drogen in den Nachttempeln tun ihr Übriges, damit der Tekkno-Tänzer seinen Roboter-Orgasmus hat. Heraus spritzen Drähte, Widerstände, Oxydiertes. Das ist der Techno-Traum, den die vom Kultautor William Gibson betitelten „Cyberpunks“ am Bildschirm oder in der Großraumdisco träumen, Techno-Titel wie „Moog Erection“ oder „Digital Orgasm“ sind keine Seltenheit.
Es gibt Techno-Kids und -DJs, denen es weder zu hart noch zu schnell sein kann, allen voran die DJs in Berlin und Frankfurt, die sich laut DJ West Bam „nur noch das Brett geben“. Ohne Rücksicht auf Verluste halten sie die Clubwelt im Würgegriff. Für sie sind Charthits wie T 99s „Anastasia“ oder „Quadrophonia“ von gleichnamiger belgischer Truppe nichts weiter als eine nette Popmelodie. Härte, Schrägheit, ja die geradezu penetrante Bösartigkeit der Sounds ist es, was sie reizt. Endzeit-Stimmung. Hier wird die psychisch-physische Belastbarkeit des Hörers ausgelotet. Die Acts des führenden britischen Techno-Labels Warp machen sich sogar einen musikalischen Sport daraus, die Belastbarkeit von Club-PAs in Angriff zu nehmen. Noch ist nicht entschieden, ob LFO (Low Frequencies Oscillation) oder Trikky Disco nun die extremsten subsonischen Bässe aufweist; fest steht, daß man diese tiefsten Frequenzen mehr im Magen fühlt, als daß man sie hört.
Beim Publikum scheiden sich die Geister. Entweder fühlt es sich vollends malträtiert und will solch anonyme Tracks von System Imaginique, Mindstorm, Linae Alba oder kurz The R ohnehin nicht hören. Oder es zelebriert die eigene Party/Ekstase und zuckt verzückt zu der brachialen Gebrauchsmusik.
Neu ist jedenfalls: Der DJ bietet kein Unterhaltungsprogramm mehr, sondern spielt — trendy wie er ist — sogenannte white label-copys (Weißmuster), so als wären es mit Techno, House und Noise bespielte No-Name Party-Pappteller für 13,90 das Stück. Der Qualitäts-Grad dieser Platten schwankt zwischen extrem gut, dumpfem Dampfhammer-Gekloppe und unerträglichem Soundgewitter. Aber je gekonnter und schneller der DJ sein Rohmaterial zusammenmischt, um so stärker ist der Adrenalin-Ausstoß, um so weniger merkt der tanzende Mutant die Simplizität dieser Platten. Für Zuhause sind die meisten Tekkno-Tracks etwa so sinnvoll wie ein Panzer im Garten, aber trotzdem erscheinen täglich zehn, 20 solcher neuen Bedroom-Produktionen.
Und auch die Industrie ist aufgewacht, hat die Kaufkraft der Clubber erkannt und fischt nun im Untergrund nach verkaufbarem Material. Wenn es dann so kommerziell wie T 99 ist, einen Rap oder noch ’ne halbwegs eingängige Melodie hat, dann bitte. Doch das ist, wie es das deutsche Techno-Fanzine „Frontpage“ formulierte, Stoff für „Kuschel-Technos“, die sich gegen bedingungslose Härte wehren und lieber soften Techno von den führenden US-Labels Nu-Groove und Strictly Rhythm goutieren.
Davon aber will der härtegeprüfte Electronic Body Music-Fan nichts wissen. Er will das Brett.