Von TikTok bis Priscilla: Kuchen und Rüschen für alle!
Julia Friese referiert über den aktuellen Trend des Small und Big Screens, uns in surreale Welten zu entführen.
Drei Beobachtungen:
1. ist das kuchen …
„Die Videos der Zukunft bestehen aus nichts als Schnitt. Die Popsongs (…) aus nichts als Mixing. (…) Es wird der Tag kommen, an dem das Internet autark wird, an dem es keine Informationen von außen mehr benötigt“, schreibt Elias Hirschl in seiner Arbeitswelt-Satire „Content“ (Zsolnay, 2024). Dessen namenlose Protagonistin klickbare Inhalte erstellt, die nichts anderes sollen, als jemand anders Zeit kosten. Das ist ein Roman.
Real ist, dass gerade etliche Reels und TikToks entstehen, die versprechen, eine Frage zu beantworten, dann aber abbrechen, weil eine Person, die sie bereits gesehen hat, sie schnitt, um die belanglose Antwort nun hintendrein in blitzschneller Summary zu geben. Jetzt musst du dir das originale Video – falls es dir denn angezeigt wird – nicht mehr angucken. Ich hab dir Zeit gespart. Oder? In „Content“ erzählt die Figur Marta, dass sie die Zeit, in der sie die „Is it cake?“-TikToks drehte – also willkürliche Gegenstände mit einem Messer anschnitt, um zu zeigen, dass sie tatsächlich Kuchen waren – dazu führte, dass sie sich nun dauerhaft von ihrer Umwelt entfremdet fühlt. Alles fühle sich unwirklich an. Sie befürchte „jeder Schritt könnte ein Schritt in einen Gugelhupf sein“.
2. … oder ein rokokokleid?
„I dig my fingers in / expecting more than just the skin“, singen die groß berüschten The Last Dinner Party auf ihrem Debütalbum PRELUDE TO ECSTASY (2024). Und man kommt nicht umhin, sich zu fragen: Is it cake? Eine britische Rockband, also fünf Menschen, die sofort von Universal gesignt wurden, um mit hochpolierten Videos zu ihren Singleauskopplungen bekannt zu werden.
Und zwar über die Presse. Ein „NME“-Cover! Was? Noch mal: Fünf Frauen, die nicht zu Hause am Computer sitzen und Musik produzieren, die dann über Playlists und TikToks bekannt wird, sondern sich am College kennenlernten, um dann ein Jahr viele Gigs zu spielen, und ihren Durchbruch über ihre erste Single und Presse-Hype hatten? Das fühlt sich komisch an. Aber so wird es uns erzählt. Welches Jahr haben wir?
Ist das AI, ein Traum oder doch Regisseur Giorgos Lanthimos, dessen Filmheldin Bella Baxter gerade unter ebenfalls großen Rüschen durch „Poor Tings“ (2023) stakst? Ein Babygehirn im Körper seiner verstorbenen Mutter in einer viktorianisch anmutenden Zukunft. Rüschen gibt es auch in Christine and The Queens Video zu seinem Cover von „Stayin’ Alive“ (2024). Rüschenkleider und Venezianische Masken! War das nicht das Barock?
3. love me milka tender
Oder Rokoko? Egal, es ist eine Renaissance. Von irgendetwas. Wir wollen aus der Zeit ausscheren, auf dick flauschigem Flur laufen, wie Cailee Spaeny als Sofia Coppolas „Priscilla“ (2023). Ein Film, wie fast alle Coppola-Filme. Blauer Satinglanz auf einem so dicken wie dämpfenden Teppich aus immer neuen Tabletten. Es ist so angenehm, in Apathie zu verschwinden. Aber da kommen sie schon. Die Rezensionen, die mit ihrem Zeitgeist-Besteck im Film herumpulen: Hat Elvis Priscilla ge-groomt? Ist der Film auch feministisch?
Und der Kuchen fällt in sich zusammen. Zuckermatsch und Schmutz. Wollen wir nicht. Nie würden wir heute über die damals noch „Nippel“ genannten Memes lachen, die „TV Total“ in den 2000er-Jahren immer wieder einblendete, die zumeist Ausschnitte aus Nachmittags Talkshows waren. Nein. Heute lacht man nicht über „unten“. Aber über die Memes von Sveamaus. Wenn sie die gesträhnten Kurzhaarfrisuren der deutschen Innenstädte mit „Moni und Simone aus Hinterfotzelbach wetten, dass sie das Thermomix-Modell am Furz von 20 verschiedenen Männern erkennen“ überschreibt, dann ist das sehr gegenwärtig. Lustig. Den deutschen Kleingeist, unser Spießertum entlarvend. Denn ein bisschen sind wir doch alle so. Oder? Oder is it cake?
Diese Kolumne erschien zuerst in der Musikexpress-Ausgabe 3/2024.