Von Kreuzberg nach Kingston


Die Mönchskutten sind für Seeed nicht nur PR-trächtige Verkleidung. Die Elf aus Berlin verfolgt eine Mission, die an keinen Landesgrenzen Halt macht.

Gold. Gold, sie haben Gold! Seeed haben seit einigen Wochen ihre erste goldene Schallplatte im Sack. Und was für eine! „Gold in Trinidad und Tobago, das ist schon verdammt kurios“, findet Pierre Baigorry, Chefsänger des etwas chaotischen Ensembles, das gerade seine zweite Platte Music Monks herausgebracht hat. Abgesehen von dieser Randepisode wollen Seeed ihren Wirkungsradius tatsächlich erweitern. „Ich will in Amerika spielen“, sagt Pierres Sangeskollege Demba Nabé,“und in Mexico City.“ In diesem Sommer stehen immerhin schon Festivals in Holland, Ungarn und Tschechien auf ihrem Reiseplan. „Es ist uns sehr wichtig, mit unserer Musik rauszukommen, rein in die Welt“, ergänzt Baigorry. „Schön und gut, im Radio zwischen Afrob, Samy Deluxe und Gentleman zu laufen, aber wir wollen auch zwischen Missy Elliott und 50 Cent stattfinden.“

Doch zuerst gilt es, die Heimatbasis zu sichern. Schließlich war es nach der überwältigenden Resonanz auf die Quasi-Berlinhymne „Dickes B“, mit der Seeed im Sommer 2001 vermutlich mehr fürs Berlin-Image getan haben als sämtliche Broschüren der Stadtverwaltung, lange ruhig. Eine seltene Gesichtslähmung setzte Pierre im vergangenen Jahr monatelang außer Gefecht, die Aufnahme des neuen Werks verzögerte sich entsprechend. Doch wer das Debüt New Dubby Conquerors mochte, für den wird es auf Music Monks wenig auszusetzen geben. Okay, ein paar Elektrobeats hier und ein türkisches Streichorchester dort – doch die identitätsbildende Essenz der Band bleibt unangetastet: internationaler Dancehall-Reggae mit Berliner Wurzeln. Pierre dazu: „Wir sehen unseren Sound als deutsches Eigengewächs mit jamaikanischen Wurzeln. Wir haben nicht vor, jamaikanischer zu werden als die Jamaikaner.“

Die Klanggerüste ihrer Stücke beziehen Seeed nicht etwa, wie in Kingston üblich, aus der Fließbandproduktion eines Lohnproduzenten, sie entstehen meist bei Pierre in der Wohnung: „Die Riddims mache ich selber. Das Equipment, das ich dafür brauche, steht im Schlafzimmer.“ Nach Kingston sind sie trotzdem gereist, vor allem, um Gastvokalisten für Music Monks zu gewinnen. Was mal leichter und mal schwerer war. Pierre: „Wir wussten vorher wie die dort arbeiten. Nämlich schnell, schnell. Die hauen unheimlich viel Zeug raus. Das meiste ist Schrott, aber einiges, wie zuletzt Sean Paul, schlägt auch mal richtig ein.“ Während die Sängerin Tanya Stephens schon mit Seeed zusammen auf der Bühne stand („So etwas spricht sich dort natürlich auch rum“), waren andere Co-Stimmen wie Anthony B. oder Elephant Man eher mit Geld denn mit guten Worten zum Mitmachen zu bewegen. „Der Elephant Man hätte seinen Arsch niemals zu diesen Deutschnasen ins Studio bewegt, wenn wir ihm nicht 2000 Dollar geboten hätten.“ Geht ja noch. „Jamaica ist halt Entwicklungsland. Wir hätten auch nach New York gehen und Busta Rhymes engagieren können. Der nimmt zurzeit 30.000 Dollar pro Track.“

Letztlich haben Seeed es nicht nötig, sich mit teuer eingekauften Namen zu schmücken. Die elf zwischen 1955 und 1980 geborenen Musiker taten sich Ende der 90er „aus Spaß am Livespielen“ zusammen. Zentral für die Seeed-Ideologie ist der Gedanke eines offenen Soundsystems, in das jeder seine Einflüsse einbringt. Dazu gehört auch, dass sie auf Englisch, auf Deutsch und in einer dem jamaikanischen Idiom Patois nicht unähnlichen, aber dennoch frei erfundenen „Seeed-Speech“ singen. „In einer Band, wo die Hälfte der Leute bikulturell aufgewachsen ist, gehören Einwände wie ‚Berliner Jungs dürfen keinen Reggae machen‘ von vornherein in die Tonne“, findet Pierre. Der einzige Jamaikaner des Kollektivs heißt lustigerweise Alfred und ist Percussionist. Und Berlin, auch in Sachen Dancehall/Reggae Deutschlands klare Metropole, war sowieso genau der richtige Standort.

„Am Brodeln ist das hier schon seit Jahren“, so Demba. „Dass Dancehall aus dem Underground raus und in die Charts reingeraten ist, liegt daran, dass viele HipHop-Fans neugierig geworden sind, was es denn sonst noch so gibt. HipHop und Reggae sind ohnehin zwei Seelenverwandte.“ Als Seeed gemeinsam mit dem Kölner Gentleman und einigen anderen deutschen Dancehall-Künstlern im vergangenen Herbst ihr erstes Konzert nach Pierres Genesung in der Berliner Columbiahalle gaben, kamen 7000 Menschen seit Bob Marleys Auftritt in der Waldbühne hatte es in Berlin kein so großes Reggaekonzert mehr gegeben. Baigorry: „Der Ruf von Reggae hat sich verbessert. Seit ‚Sunshine Reggae‘ von Laid Back galt das in Deutschland als Dudelmusik für Grillfeste. Dieser Batlermann-Charakter war immer extrem hinderlich, wenn du ernsthaft Dancehall oder Reggae machen wolltest.“

Und ernsthaft gehen Seeed auf alle Fälle an die Sache ran. Der Titel Music Monks habe durchaus seine Bewandtnis. „Das nimmt schon religionsartige Züge an mit dieser Band. Wir glauben nicht alle an ‚Jah‘, aber wir glauben an Seeed.“

>>> www.seeed.de