Voll verrückt
Wie ein Nicht-Genre den HipHop aus seinem Innersten heraus erneuert.
2007 gab es Hipster-Rap. 2009 Emo-Rap. 2011 spricht man von Weirdo-Rap. Klingt bescheuert? Ist es auch. Und dennoch das Beste, was HipHop passieren konnte. Der Begriff sagt weniger über das Drinnen aus als das Draußen, mehr darüber, wie Rap im Allgemeinen funktioniert. HipHop entstand einst unter dem Diktat der Einzigartigkeit: Cool war, wer anders war. Als aus Rap Pop wurde und aus HipHop eine Industrie, wurde die Musik zwar besser, aber auch gleichförmiger. Beats und Attitüden gab es wie Baggy-Klamotten von der Stange. Das hat sich bis heute kaum geändert: Dazugehören ist erst mal wichtiger als sich abzugrenzen, das Alleinstellungsmerkmal liegt in Perfektion und Jahresumsatz.
Weirdo-Rap ist eher konzertierter Abgesang auf diese auf Dauer tödliche Logik denn echtes Genre. Was unter dem klangvollen Kampfbegriff subsumiert wird, könnte unterschiedlicher tatsächlich kaum sein. Gucci Mane etwa ist inhaltlich ein Gangstarapper klassischen Zuschnitts. Seine Geschichten vom Block aber verpackt er in windschiefe Dada-Reime, auf seine rechte Backe hat er flächendeckend eine Eistüte tätowiert. Danny Brown aus Detroit dagegen inszeniert sich eher als Kunde und Bohemien denn als kokstickender Bordsteinmillionär. Seine Oden an den Rausch trägt er im hautengen Beinkleid vor, unter der asymmetrischen Frisur baumelt ein Hipsterhemd mit ausgeschnittenen Ärmeln. A$AP Rocky aus Harlem hängt mit den Testosteron-Truppe The Diplomats rum, legt aber öffentlich Wert auf Designermode und fleischlose Ernährung. Medienliebling Tyler, The Creator dagegen frisst Würmer und fräße bestimmt auch Kinder, wenn er nicht selber noch eines wäre, das eher zufällig ein Erfolgsalbum beim Edel-Indie XL veröffentlicht hat.
Der wahre König des Weirdo-Rap, Lil B, schert sich nicht um klassische Vertriebswege. Seine bewusst unrhythmischen Reime direkt aus dem Innenleben eines Internetkids veröffentlicht er stilecht über YouTube, aufgenommen mit Webcam über übersteuerte MP3s im zweistelligen Kbit-Bereich. Wo in diesen Kosmos noch die dralle Pop-Prinzessin Nicki Minaj reinpassen soll, wissen nicht mal die Erfinder von Weirdo-Rap selbst.
Parallel zu den Weirdo-Rappern hat sich eine neue Generation von Produzenten herausgebildet, deren Beats sich vollends gelöst haben vom Groove-Diktat aus Papas Plattenkiste. Der volldigitale Sound von Clams Casino aus New Jersey etwa ist näher an Chillwave und elektrifiziertem Shoegaze-Pop als an James Brown und dem Funky Drummer. Das Duo Spaceghostpurrp zitiert Abseitiges wie den Screwed-&-Chopped-Sound aus Houston, zähflüssige, grotesk verlangsamte 808-Beats im Taktmaß der lokalen Traditionsdroge Hustensaft. Und der Knöpfchen-Akrobat Araabmuzik dichtet mit minimalen Eingriffen alte Trance-Gassenhauer von Kaskade oder Jam & Spoon zu beklemmend intensiven Endzeit-Epen um.
In der Summe ergibt das den besten HipHop-Jahrgang seit Menschengedenken. Und das, obwohl in den vergangenen zwölf Monaten kaum eine Handvoll solider Alben erschienen ist. Weird? Im Jahr 2011 eher ganz normal.