Virtuelle Kleingartensiedlung
Von Clap Your Hands Say Yeah! zu Depeche Mode: Fast jede Band läßt einen kleinen Garten bei MySpace bebauen. "Indie" ist das längst nicht mehr - Rupert Murdoch hat sich bereits eingekauft.
MySpace ist ein Mythos, ein Märchen und eines der mächtigsten Unternehmen, die das Internethervorgebracht: hat. Rund 700.000 Amateur-Bands, Rock- und Pornostars, Songwriter und DJs pflegen hier in der Hoffnung ihre Seiten, ein Millionenpublikum ohne finanzielle Unterstützung durch die Industrie zu erreichen. Das Potential ist tatsächlich überwältigend: Das Portal, das 2004 mit einem Minibudget online ging, verzeichnet seit letztem Herbst mehr Zugriffe als eBay und Google. 60 Millionen registrierte Mitglieder-täglich kommen zwischen 50.000 und 100.000 dazu – beackern dort ihre kleinen und in der Regel wenig attraktiv gestalteten Bereiche, um eigene Songs, Tourdaten, Tagebücher und Fotos zu veröffentlichen.
Die Website gilt als Geheimwaffe für Bands ohne Plattenvertrag, seit der Erfolg von Clap Your Hands Say Yeah! (myspace.com/clapyourhandssayyeah), der mittelmäßigen Emo-Hardcore-Pop-Punk-Band Hawthorne Heights (myspace.com/hawthornhights) und der Arctic Monkeys mit der Popularität ihrer My-Space-Seiten in Verbindung gebracht wird. Letztere allerdings dementieren: „Als wir Nummer 1 in England waren, wurde in den Nachrichten darüber berichtet, wie sehr wir von MySpace profitiert hätten. Typisches Beispiel für dummes Geschwätz von Leuten, die keine Ahnung haben. Wir wußten ja nicht mal, was MySpace ist“, so die Arctic Monkeys kürzlich. Ihre Demos, die im letzten Sommer für so viel Furore gesorgt haben, hatte ein technikversierter Freund der Band 2004 und 2005 über eine eigene Arctic-Monkeys-Website verfügbar gemacht.
ES hat nicht lange gedauert, bis die vermeintliche Credibility und die ungeheure Größe der Community die Industrie angelockt hat. Die Plattenfirmen von Depeche Mode, The Black-Eyed Peas und Neil Diamond haben neue Alben ihrer Künstler erstmals auf den jeweiligen MySpace-Seiten präsentiert. Interscope Records hat gemeinsam mit den My-Space-Gründern Chris DeWolfe (39) und Tom Anderson (29) eine Plattenfirma ins Leben gerufen, die derzeit daran arbeitet, die katastrophale HipHop-Hardcore-Screamo-Band Hollywood Undead in den Mainstream zu pushen. Die erste Veröffentlichung ist der Sampler Myspace Records Volume 1, auf dem neben Hollywood Undead auch Songs von mehr oder weniger aktiven MySpace-Usern wie Weezer (die myspace.com/weezer fast ausschließlich für Promotion-Zwecke nutzen), Dashboard Confessional (letzter Blog-Eintrag: „Gewinnt eine Xbox360 von MySpace“) und Fall Out Boy („Hey Leute, wir sitzen selten am Computer, deshalb können wir nicht so oft auf diese Seite schauen“) zu finden sind.
Jeglichen Rest von Unschuld allerdings hat My-Space eingebüßt, seit Rupert Murdoch das Portal mit seinen 175 Angestellten für die unglaubliche Summe von 580 Millionen Dollar seinem Imperium einverleibt hat. Die Präsenz des Australischen Medienmoguls, der die MySpace-Community vermutlich vor allem für Marktforschungszwecke mißbrauchen will, macht sich bereits unangenehm bemerkbar: seit einigen Monaten tauchen auf den Seiten immer häufiger Werbebanner für Kino- und – TV-Produktionen seiner FOX Broadcasting Company auf.
Die wahren Stars von MySpace sind längst nicht mehr die Musiker und Bands ohne Plattenvertrag. Es sind profilneurotische Halbprominente und konsumgeile Szenekids, denen völlig egal ist, daß ihre Seiten mit Werbung zugemüllt werden. Christine Dolce („ForBiddeN“: myspace.com/forbidden) ist kurz davor, das erste „It-Girl“ zu werden, das MySpace hervorgebracht hat. „Ich war schon immer hoch motiviert, erfolgreich und berühmt zu werden „, erklärt sie auf ihrer Seite. Ihre Rivalin, die asiatisch-amerikanische Sängerin Tila Tequila („Die frühe Madonna + Lil Kim + Gwen Steffani [sic!] = Tila Tequila“) hat es bereits auf das Cover des Stuff-Magazins geschafft. Die deutlichsten Worte aber findet Jeremy Jackson (myspace.com/jeremyjackson), der einst in der TV-Serie Baywatch als David Hasselhoffs Sohn „Hobie“ bekannt geworden ist: „Ich kenne Typen, die nicht mal so gut aussehen wie ich und trotzdem durch MySpace ständig Frauen abschleppen. Im Internet sagt man Dinge, die man sich sonst nie trauen würde. Bei MySpace geht es um Ärsche. Unendliche Mengen von Ärschen.“
Damit wäre das auch geklärt.