Vibrators – Schneller, schöner Spaß


Jawohl, es war der Untergang des Abendlandes! Vier bebende Energiebündel auf der Bühne der Hamburger Markthalle rockten, bis die Fetzen flogen. Sie spielten gar nicht mal so laut, aber was sie an Power losjagten, hat man wohl auch noch drei Straßen weiter vernommen. Auf der Tanzfläche federten zwanzig bis dreißig Leute epileptisch auf und ab – in jeder anständigen deutschen Playthat-funky-music-Discothek hätte man sie rausgeschmissen. Hier aber gab’s keine Zwänge, sondern jede Menge Lust und Spaß: Die Vibrators aus England verpaßten rund 400 Zuhörern (viele waren jünger als 20) eine geballte, urwüchsige Ladung Punk, und von den Deckenbalken bis zu den Fußsohlen vibrierte wirklich alles an diesem Abend.

Wo gute Musik live gebracht wird, da hat sie auch schnell ihren Anhang. Das mag die Ursache dafür sein, daß in Hamburg die Punk-Szene derzeit sehr rasch wächst: An der Elbe gibt es – im Gegensatz zu allen anderen deutschen Städten – viele kleine Clubs und Konzertschuppen, in denen Bands spielen können und die für jede Art von Musik offen sind. Die Stranglers gastierten hier kürzlich vor 800 Leuten, obwohl zur gleichen Zeit ein paar Kilometer weiter Punk-Vater Iggy Pop auftrat und ebenfalls 800 Zuhörer anzog. So etwas spricht sich herum: Angesagt haben sich die Jam, Mink De Ville und Ultravox!. Graham Parker war bereits da und will wiederkommen, und die Talking Heads aus New York sind im Gespräch.

Ähnlich begehrt ist die neue Rockwelle hierzulande nur noch – in Ansätzen – im Ruhrgebiet und – vor allem – in Berlin. An der Spree nämlich, so erzählten die Vibrators, herrsche eine faszinierende Atmosphäre, eine Mischung aus Morbidität und Aufbruchsümmung. Das haben wohl auch David Bowie und Iggy Pop gespürt, die sich vor geraumer Zeit hier niederließen. Für etliche Wochen mieteten auch die Vibrators in rferlin eine Wohnung. Sie mögen die Leute dort und haben, wie sie sagen, überraschend schnell Kontakt zureinheimischen Musikszene gefunden. Unter anderem freundeten sie sich mit einer waschechten Berliner Punk-Band an, die auf den schönen Namen „PVC“ hört.

In der britischen Heimat hatten die Vibrators in der ersten Hälfte dieses Jahres eher einen schweren Stand. Ein Teil der Musikpresse hatte ihnen den Vorwurf gemacht, sie seien so etwas wie Salon-Punks und ihre ganze kritische Haltung gegenüber der etablierten Popmusik sei nur eine modische Pose. Die Vibrators-LP „Pure Mania“, die in Deutschland erst jetzt mit einigen Monaten Verspätung erschien (siehe Longplayers), fegte solche Kritik allerdings hinweg: „Vergeßt den ganzen Quatsch, der früher geschrieben wurde“, riet die britische „Sounds“ ihren Lesern. „Dies ist ein großartiges Album.“

Tatsächlich: die Vibrators widerlegen so manches Klischee über den Punk-Rock. Selbst ihre härtesten, schnellsten Nummern strahlen, wie ein Kritiker neulich treffend schrieb, „positive Wärme“ aus. Und wer ein Stück wie „Baby, Baby“ hört, wird feststellen, daß es zur Keller-Fete verliebter Teenager paßt wie vor zehn Jahren „Heart Of Stone“ oder „Teil Me“ von den Rolling Stones. Weil es aufrichtige Gefühle artikuliert und nicht so verlogen säuselt wie zum Beispiel Peter Frampton’s ,4’m In You“.

Nicht so recht ins Bild von wildgewordenen jugendlichen Schlägerbanden paßt auch die personelle Zusammensetzung der Vibrators. Sänger Knox, der Mann mit der Sonnenbrille, kam bereits vor 31 Jahren auf die Welt. Gitarrist John Ellis und Drummer Jon Edwards sind Mitte zwanzig, und nur Bassist Gary Tibbs, der vor einigen Monaten Pat Collier ersetzte, zählt 19 Jahre. Gemeinsam haben sie indes die Begeisterung für ungeschliffene, ehrliche Rockmusik, die wieder ihre im Rhythm & Blues verankerten Wurzeln bloßlegt und mit reichlich Kraft und Saft gespielt wird. Sie wollen Geld verdienen, Spaß haben, ihren Zuhörern einen schönen Abend bereiten und hinterher mit ’nem Mädchen rumschmusen. Von dem, was heutzutage Politik genannt wird, halten sie nichts, und sich selbst nehmen sie auch nicht allzu ernst. Sie tun etwas für die menschlichen Grundbedürfnisse, und genau das gibt ihrer Musik dann doch den kritischen und politischen Inhalt, den der ungekünstelte Rock ’n‘ Roll immer transportiert hat.