„Utøya 22. Juli“-Kritik: Hätten Sie gewusst, dass Terror grausam ist?
Gleich zwei Filme über den Terroranschlag von Anders Breivik starten nur sieben Jahre nach der Tat im Kino und auf Netflix. Der erste, eine norwegische Produktion, verzichtet auf Bilder von Breivik. Und folgt fast schon gierig den Opfern des Faschisten.
Es gibt wahrscheinlich keine Möglichkeit, einen gesunden Film über die Taten von Anders Breivik zu machen. Zumindest nicht, wenn der Terrorangriff von Norwegen gerade einmal sieben Jahre her ist. Trotzdem erreichen nun gleich zwei Projekte innerhalb kürzester Zeit eine breite Masse in Kino und Streaming. Für Netflix hat „Flug 93“-Regisseur Paul Greengrass, der sich 2006 mit dem Anschlag auf das World Trade Center in New York befasste, „22 July“ gedreht. Greengrass folgt in dem Film Anders Breivik, zeigt die Durchführung des Bombenanschlags und des folgenden Amoklaufs auf der Insel Utøya im Jahr 2011. Der Film startet im Oktober auf Netflix und wird genauso kontrovers besprochen wie „Utøya 22. Juli“, der am 20. September in den deutschen Kinos abläuft.
Der Norweger Erik Poppe verfolgt mit seinem „Utøya 22. Juli“ einen komplett anderen Ansatz als sein US-Kollege Greengrass. Er zeigt in seiner Nacherzählung, die kein Drama ist, sondern ins Horrorgenre fällt, ausschließlich Breiviks Opfer, beziehungsweise fiktionalisierte Varianten von ihnen, auf der Insel vor Oslo. Breivik wird weder genannt noch klar gezeigt, steht nur zwei Mal wie ein bedrohlicher Schatten im Hintergrund.
Beide Ansätze hinterlassen einen faden Beigeschmack, vor allem mit Blick auf Wesen und Weltanschauung des seit 2011 in Haft sitzenden Breiviks. Der Rechtsradikale hat den Gerichtsprozess gegen sich genutzt, um sich selbst als Ikone des Faschismus zu stilisieren, zeigte im Gerichtssaal medienwirksam mehrfach den Hitlergruß und stellte vor seiner Tat ein Manifest mit 1500 Seiten ins Netz, in dem er sich selbst als eine Art apokalyptischen Reiter gegen die demokratische, liberale Welt darstellte. Brevik lebt auch 2018 noch und es ist nicht unwahrscheinlich, dass es ihn und seine Anhänger, die es nunmal leider auch gibt, freuen wird, seine Taten auf der großen Leinwand oder auf Netflix zu sehen. Egal wie amoralisch Breivik von einem Greengrass gezeigt wird.
Ein mystischer Terrorist
Poppe tappt mit seinem „Utøya 22. Juli“ noch tiefer in die Falle des Täters. Sein Film zeigt die 72 Minuten, in denen Breivik auf der Insel wütete und 69 meist minderjährige Teilnehmer eines sozialistischen Jugendcamps tötete, in Echtzeit und ohne sichtbaren Schnitt. Durch klassische Elemente aus dem Horror-Genre ist die Angst auf der Insel greifbar, überall liegen Leichen von Teenagern, verstörte Kinder sitzen zwischen Zelten. Die Tatsache, dass Breivik für diesen Schrecken verantwortlich, aber nicht zu sehen ist, verbannt den eigentlich ganz irdischen Terroristen nahezu ins Reich der Mythologie. Das Erlebnis für den Zuschauer ist bei „Utøya 22. Juli“ manchmal nicht weit entfernt von „Blair Witch Project“ oder „Cloverfield“.
Poppe hat recherchiert und aus vielen Tragödien und Details aus Utøya eine eigene Story entworfen. Er folgt der 19-jährigen Kaja, die gemeinsam mit ihrer Schwester an dem Camping-Wochenende teilnimmt und auch in Panik flieht, sobald sie die erste Schüssen hört. Kaja erkundet nun für den Zuschauer, der sich diese andauernde Panik freiwillig antun möchte, die kleine Insel. Sie läuft durch ein Szenario der fortwährenden Panik. Sie sieht weinende Kinder und wird von panischen Teenagern abgewiesen, als sie nach einem Platz in deren Versteck fragt. Kaja verliert vor den Augen des Zuschauers scheinbar den Verstand, mit jedem durch den Wald scheppernden Schuss aus Breiviks Waffen ein wenig mehr.
Lust an der Panik, Lust am Tod
Zu jeder Sekunde spannend ist die Inszenierung dieser Terror-Aufbereitung allemal, die aber auch deshalb bereits auf der Berlinale für heftige Diskussion sorgte. Denn was bitteschön möchte Erik Poppe hier bezwecken? Im simpelsten Fall möchte er den Zuschauern zeigen, wie schlimm ein Attentat mit etlichen Kinderleichen ist – als ob irgendjemand das bisher bezweifelte. Hätten Sie gewusst, dass Terror grausam sein kann?
„Utøya 22. Juli“ geht in manchen Momenten unsensibel mit den Geschehnissen um. Kaja trifft ein Mädchen, das irgendwo im Wald liegt. Sie spricht mit dem Mädchen, liegt neben ihr und wärmt sie, bis sie tot ist. Im Hintergrund ist derweil kurz der Schatten von Breivik zu sehen. Ein eindrucksvoller Moment, doch dann bricht eine perverse Gier nach dem noch emotionaleren Moment durch: Sobald das Mädchen tot ist, klingelt ihr Telefon. Ihre Mutter ruft nur wenige Sekunden zu spät an und kann sich nicht mehr von ihrer Tochter verabschieden, Kaja nimmt das klingelnde Telefon – und legt es auf das Herz der Toten. Wird hier noch an einen Tod gedacht oder dieser schlichtweg lustvoll ausgekostet?
Erik Poppes Film mag eine Wucht sein, ist handwerklich gut gemacht und stark gespielt von den jungen Darstellern. Die Opfer, Überlebenden und Angehörigen haben aber etwas anderes verdient als einen Horrorfilm, der sogar noch mit einer zynischen Pointe endet.
„Utøya 22. Juli“ startet am 20. September in den deutschen Kinos.