„Unsane“-Kritik: Ein Stalking-Thriller, der nur mit iPhones gedreht wurde
Eine Frau ist in eine Klinik eingesperrt und begegnet dort ihrem Stalker, der nun uneingeschränkte Macht über sie besitzt. Steven Soderberghs Psychoterror wirkt furchtbar authentisch.
Auf der Pressekonferenz der Berlinale, die Journalisten haben gerade bei seinem Thriller geschrien, gelacht, mitgefiebert, macht Steven Soderbergh („Ocean’s Eleven“) wieder den Fehler, den er im Herbst auch bei seinem letzten Film „Logan Lucky“ gemacht hat. Er redet mehr über das Drumherum seines Films als über Inhalte oder Figuren. Bei „Logan Lucky“ hatte der Hollywood-Hasser zur Sicherung der eigenen kreativen Freiheit ein innovatives Produktions- und Betriebssystem aufgebaut, mit dem er den großen Studios den Stinkefinger zeigen wollte. Hat nicht geklappt: Zwar ist „Logan Lucky“ ein unterhaltsamer Heist-Movie mit Stars wie Daniel Craig, anschauen wollte sich den Film aber kaum jemand – Experiment gescheitert. Der Verzicht auf TV-Werbung und die volle Kommunikation auf Social Media war wohl eine der schlechtesten Ideen, die Soderbergh je hatte.
Und plötzlich verteilt der Stalker Medikamente
„Unsane“ (Kinostart: 29. März) wird ein größeres Publikum finden, und das gönnt man Soderbergh in seinem Kampf um Neuerungen in einer oft starren Branche. Der Film, den er im Wettbewerb der Berlinale untergebracht hat, wurde ausschließlich mit iPhones gedreht. Und nun sind Smartphones natürlich das große Thema nach dem ersten Screening: Soderbergh erzählt von den Vorteilen beim Dreh, von Flexibilität am Set und von weniger Pausen für die Darsteller. Was er bei seinen Ausführungen hinten anstellt, ist die Geschichte, die er in seinem Film erzählt. Und für die Geschichte gehen Zuschauer immerhin am Ende ins Kino.
Sawyer hat hunderte Meilen von ihrer Heimatstadt Boston entfernt einen neuen Job angefangen, Freunde und Frohsinn hat sie nach dem Neustart ihres Lebens nicht gefunden. Weil der Grund, aus dem sie weggezogen ist, ihr zu folgen scheint. Er heißt David und ist ein Stalker, der sie mit Nachrichten bombardierte, in ihre Wohnung einbrach und ihr dort heimlich passende Kleider für den Tag aufs Bett legte. Ist David dem Ziel seiner Obsession etwa gefolgt? Sawyer ist sich nicht sicher, glaubt ihn aber immer wieder zu sehen. Sie sucht Hilfe bei einer Therapeutin einer Klinik. Die Frage nach Suizidgedanken bejaht sie… irgendwann hatte sie die eben mal. Der Klinik reicht das, um Sawyer gegen ihren Willen einzukassieren, ihr Medikamente zu geben – und sie nach einem nachvollziehbaren Wutanfall auch ans Bett zu fesseln. Bei der Ausgabe der Pillen kommt dann der Schock: David arbeitet in der angeblichen Heilanstalt.
Ein kriminelles System als Nährboden für Horror
„Unsane“ hat den deutschen Zusatztitel „Ausgeliefert“, und der ist mehr als passend. Denn Sawyer, die „The Crown“-Star Claire Foy zu einer Naturgewalt und einem Nervenbündel macht, ist gleich in den Händen von zwei Schurken. Stalker David kann nur so viel Macht über sie ausüben, weil ein krankes System sie dort gefangen hält. Gefängnisse sind in den USA oft Unternehmen, Kliniken auch. Und so wie ein Gefängnis für Profit Insassen braucht, müssen die Betten einer Klinik mit Patienten gefüllt sein. Die Klinik in „Unsane“ zögert deshalb nicht, Sawyer auch ohne akute Gefahr einzuweisen und sie solange dazubehalten, bis die Versicherung nicht mehr zahlt. (Einer der Autoren des Films, James Greer, geriet einmal in die Situation, in der ihm ein Arzt fast dazu gebracht hat, eine Selbsteinweisung zu unterschreiben, die irgendwo auf Seite 3 eines langen Vertrages versteckt war.) Es könnte allerdings auch sein, dass sich Soderberghs Heldin ihre Peiniger nur einbildet, dass ein Pfleger ihrem Stalker schlichtweg sehr ähnlich sieht. Und dass sie nicht mehr oder weniger verrückt ist als die anderen Patienten um sie herum. Es dauert ein wenig, bis Soderbergh diese Frage auflöst.
Schneller ist klar, dass der Einsatz von iPhones viel mehr als der weitere Versuch eines zugegebenermaßen sehr narzisstischen Regisseurs ist, mal wieder Schlagzeilen mit einem Branchenexperiment zu erregen. Die teils dürftige Ausleuchtung der Klinik, das nicht genaue Erkennen einer Person, die den Raum betritt, die extremen Close-Ups und leicht wackelnden Bilder beim Entlanglaufen der Gänge: Hochglanzaufnahmen braucht bei einer an ihrer Psyche zweifelnden jungen Frau, die immerzu kurz vom Explodieren steht, niemand.
Das Grauen der modernen Welt
Soderbergh ist nicht der erste Regisseur, der diesen Kamera-Stunt wagt. Aber er nutzt die handliche Technologie, deren Kameras sich nun ja auch längst nicht mehr für den Einsatz bei Spielfilmen disqualifizieren würden, nicht nur für interessante Blickwinkel, sondern vor allem im richtigen Kontext. Für die richtige Geschichte, in der es eben auch rau und undurchsichtig zugeht. Und die durch den Blick durch das iPhone noch einmal deutlich an Realismus gewinnt. Obendrein sieht Filmblut, wenn nicht im perfekten Fokus und dreifach ausgeleuchtet, weniger wie Filmblut aus.
Fazit: Es wäre eine Schande, wenn „Unsane“ wie „Logan Lucky“ kein Publikum findet. Dann müsste Soderbergh sich ernsthaft überlegen, seine Fehler einzugestehen und seinen Eigenvertrieb wieder einzustampfen und wieder kreative Entscheidungsgewalt an Studiobosse abzugeben. Von der Freiheit, die er aktuell hat, profitiert jeder Zuschauer mit Lust auf einen von Anfang bis Ende packenden Thriller, der dazu noch in die Grauen der modernen Welt eingebettet ist.
„Unsane“ startet am 29. März in den deutschen Kinos.