Unkle: Licht Gestalten


DJ Shadow und Mo' Wax Chef James Lavelle sind die Köpfe des sind die Köpfe des Projekts Unkle. Gäste sind Richard Ashcroft, Thom Yorke und die Beastie Boys

DAS NÄCHSTE JAHRHUNDERT RÜCKT näher, die Menschen rücken zusammen. Sei es nun, um sich gegenseitig beizustehen im kulturellen Wirrwarr der Jahrtausendwende, oder sei es, um das letzte große Wort im alten Jahrhundert zu haben – deutlich jedenfalls die Tendenz zu Supergroups, Superplatten und Superprojekten. Zusammenschlüsse aus Elektronik und Pop, HipHop und Rock, Gegenwart und Musikgeschichte allerorten. Und wenn es jemanden gibt, der es partout nicht hinnehmen kann, daß Goldie mit seinem um Noel Gallagher, KRS-One und David Bowie angereicherten Epos „Saturnz Return“ den Schlußstrich unter die eklektischen 90er zieht, dann ist es James Lavelle.

Mit 16 die Schule verlassen, mit 17 das Label Mo‘ Wax gegründet, blickt der kurzgeschorene Londoner heute, sieben Jahre später, auf knapp 100 Veröffentlichungen und die Gründung eines musikalischen Genres zurück. Allerdings: das gängige Bild vom TripHop – schlurfende Beats zu intelligent eingesetzter, instrumentaler Gefälligkeit – ist für Lavelle längst Vergangenheit. Die Gegenwart dagegen ist für ihn der Eklektizismus zwischen dem Aphex Twin-Verwandten Luke Vibert und dem zum Songwriter gewandelten Beastie Boy-Keybaorder Money Mark. Und über allem thront der weltweit verehrte instrumental-HipHop-Guru DJ Shadow, der unumstrittene Star im Mo‘ Wax-Kosmos. Sein einzigartiges musikalisches Gefühl ist die Basis von Llnkle, dem mysteriösen, bislang zwei Singles umfassenden Projekt von Mo‘ Wax-Macher Lavelle. Die Analogie zu Goldie ist dabei unübersehbar. Wie für den bissigen Breakbeat-Star ist auch für Lavelle nur das Größte und Beste gut genug. Mit Shadow hatte er schon den Weltmeister der Beats und Samples, fehlten nur noch die Stimmen, um das Projekt über die klangliche Schönheit hinauszuheben und unsterblich zu machen. Also ging der rastlose Impresario des vielleicht hipsten aller Labels hinaus und trug sie zusammen, die Frontleute von The Verve, von Radiohead und den Beastie Boys, abgerundet mit etwas Mark Hollis, mit der New Yorker HipHop-Legende Kool G Rap und dem bereits vom Prodigy-Label unter Vertrag genommenen Hardcore-Newcomer Bad Boy Drowning. Da steht der Mund weit offen, und die erste Frage, die in den Sinn kommt, ist natürlich, wie um alles in der Welt so etwas unter einen Hut gebracht werden kann. „Als Serie von Kompromissen“, räumt der aus San Francisco per Telefon in Lavelles Hauptquartier zugeschaltete Josh „Shadow“ Davis, ein, „Kompromisse, von denen ich einige als durchaus schmerzvoll empfinde.“ Doch Lavelle ist um Ausgleich bemüht: „Auf dieser Platte haben wir mit vielen lauten gearbeitet, mit denen wir normalerweise nichts zu tun haben. Da muß man natürlich ganz andere Kompromisse eingehen als die, die unter Freunden wie Josh und mir bei der Arbeit fällig werden.“

Es ist Anfang Juni in London, als das große Werk zum erstenmal aus dem Panzerschrank gezogen wird, um es fremden Ohren vorzuspielen, noch nicht komplett gemastered und noch nicht in der schlußendlichen Reihenfolge. Was nicht das einzige Problem zwischen dem König und seinem großen Alchimisten ist, wie kleine Unstimmigkeiten in diesem ersten Gespräch mit den Medien beweisen. Lavelle, ein Kino-Junkie, dessen Büro mit lebensgroßen Star-Wars-Figuren vollgestellt ist, sieht Unkle am liebsten als Film. „Ich bin der Regisseur und bringe alle Leute zusammen: Stars, neue Gesichter, Talente, den Art-Director, den musikalischen Direktor und so weiter.“

Natürlich geht es dabei auch mal wieder darum, musikalische Grenzen zu überwinden und Dinge zu tun, die Leute nicht erwartet hätten. Wobei der Faktor Zeit eine große Rolle spielt. Denn um Verve-Star Richard Ashcroft und Radiohead-Sänger Thom Yorke hatte Lavelle sich nicht erst nach deren großen Erfolgen bemüht die Stücke waren schon seit drei Jahren im Kasten. Daß sie bis zu ihrer Vollendung dann doch noch Ewigkeiten brauchten, ist beinahe schon branchentypisch: zu viele Namen, zu viele Egos, zu viele Manager. Selbst Shadow, der mit Radiohead auf Tour ging und sich um neue Stücke kümmerte, bremste Llnkle bisweilen aus. Zwischendurch aber arbeiteten die Beteiligten dann doch wieder an neuem Material auf, bis ihnen irgendwann klar wurde, daß das Ergebnis einfach zu gut war, um es nicht zu veröffentlichen.

DIESES HIN UND HER WIE AUCH DER FESTE WILLE, KEIN FÜLLMATERIAL zu produzieren, hatte aber auch sein Gutes. „Psyence Fiction“, der erste Longform-Unkle, ist zwar schwer, aber kein 140minütiges Epos. Lavelle: „Es ging nicht um irgendwelche Rekorde, weder um die teuerste noch um die längste oder schwierigste Platte aller Zeiten.“ Shadow: „Es war ein langer und streckenweise sehr komplexer Prozess, aber so sollte die Platte nicht klingen. Sie sollte emotional klingen und nicht nach unendlich viel Arbeit. Es ist ja keine Rock-Oper. Wir sind doch nicht Pink Floyd.“ Aber auch nicht die Spiee Girls. Schwierig wird „Psyence Fiction“ von daher trotzdem, zumindest für die Radiostationen dieser Welt. „Lonely Soul“, die opulente Ballade um Richard Ashcroft und der wahrscheinlich hitverdächtigste Song der Platte, mißt immerhin achteinhalb Minuten. Aber auch alles andere auf „Psyence Fiction“ sprengt auf verschiedene Arten die musikalischen Konventionen des Mainstream – für Lavelle ist eine Selbstverständlichkeit. „Fast alle großen Alben waren vor ihrem jeweiligen zeitlichen Hintergrund nicht radiotauglich, angefangen bei den Beatles. Nimm nur ‚Strawberry Fields Forever‘ oder ‚I Am The Walrus‘, das sind auch keine konventionellen Pop-Songs, sondern Stücke, die einen Standard gesetzt haben, statt einem bereits bestehenden zu folgen. Und ich denke, daß das mit dieser Platte für unsere Welt auch gilt.“ Natürlich wäre Mo‘ Wax nicht Mo‘ Wax, wenn mit dem Tonträger allein schon alles gesagt wäre. Mo‘ Wax ist nicht nur ein Label, Mo‘ Wax ist Lifestyle. Urbaner, kosmopolitischer Hip Hop-Lifestyle. Musik, Sprache, Design. Von Mo‘ Wax-Hauskünster Futura bereits entworfen ist eine Unkle-Figur. Auch die Tonträgerverpackung wird in diversen Formaten mit aufklappbarem 3D-Artwork keine Wünsche offenlassen. Gar nicht zu reden von dem 30minütigen Film, der die drei herausragenden Stücke ineinander blendet und Richard Ashcroft auf seinem Fußmarsch durch triste nordenglische Städte begleitet.

„Die Kultur, in der ich aufgewachsen bin, bestand nur aus Kombinationen“, erläutert Lavelle seinen Hang, Dinge zusammenzufügen, die eigentlich nicht zusammengehören, „das gilt für Mode genauso wie für Musik. ‚Psyence Fiction‘ ist eine Weiterführung davon, eine Fortführung der Sampling-Idee. Bei all ihrer Komplexität ist die Platte aber sehr offen. Also anders als das Feld, auf dem wir uns normalerweise bewegen. Es ist so begrenzt. Begrenzt auf eine bestimmte Art der Club-Kuitur. Danach sollte die Platte aber auf keinen Fall klingen. Ich wollte, daß auch meine Mutter etwas mit ‚Psyence Fiction‘ anfangen kann.