Was wir auf Jahrestagung der größten Plattenfirma der Welt gelernt haben
Unsere Autorin war für uns bei „Universal Inside“. Das hier sind ihre 'Learnings'.
Die größte Plattenfirma der Welt hat mich zu ihrer Jahrestagung eingeladen, und die findet nicht hinter irgendwelchen Eichentüren statt, sondern in der Berliner „Mercedes Benz Arena“. Es gibt Softeis und Wassermelonensalat. Die Moderatorin glitzert. Und Universal, der große, große Wal, spuckt sein Innenleben aus. Das sind sie wieder: all die alten Labels, Electrola, Decca-Deutsche-Grammophon, Polydor-Island-Vertigo-Capitol treten auf, verkünden ihre Erfolge und anstehenden Veröffentlichungen, um die Mitarbeiter, den Vertrieb und die Handelsvertreter einzuschwören auf das Wesentliche: das Weihnachtsquartal.
„Lasst uns Taylor Swift durch die Decke schießen!“, wird es von der Bühne donnern, und wir werden Gänsehaut haben, klatschen, Softeis lecken, und in all unserer Erbärmlichkeit hoffen, dass Taylor auftritt, denn auf der letzten „Universal Inside“ ist immerhin Justin Bieber aufgetreten, und Lady Gaga und Sting.
Vor zehn Jahren, sagt Dirk Baur, Director von Universal International, war es besser. „Da haben wir den Konsumenten penetriert! Wir haben einfach so draufgehauen. Der konnte gar nicht mehr anders, der musste uns kaufen.“ Jetzt ist Social Media. „Und der Markt ist segmentiert. Wir müssen nun ganz tief in das Verbraucherkennenlernen einsteigen.“ So ist es eben, so verkauft man Musik, wie alles andere auch. Universal weiß das, und weiß auch: Musik verkauft man am besten in Boxen.
Denn Musikfans, die hier Konsumenten heißen, kaufen gerne Musik, die sie schon haben, wenn sie in einer Box daherkommt. Deshalb veröffentlicht Universal Boxen mit 330 Herbert-von-Karajan- CDs, das sind 3 1/3 CD pro Jahr seit Herbert-von-Karajan-Geburt, denn Karajan wäre dieses Jahr 100 geworden. Immerhin liebt Deutschland noch seine Scheiben, will seine Musik anfassen. „62 Prozent des Marktes wird in Deutschland immer noch physisch abverkauft“, sagt Frank Briegmann, der Boss. Sogar auf der Toilette der „Mercedes Benz Arena“ liegen CDs. CDs, die aussehen wie Postkarten: ein Stoffhündchen, über dem steht „Gute Besserung!“ Eine Compilation mit Songs von Shawn Mendes, Tricky und Billy Idol. Der Stoffhund heißt Balduin. Bald ist er auf dem Markt. Und spottbillig.
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Wenn Deutschland irgendwann keine CDs mehr will, wird dieses Geschäft trotzdem nicht sterben, denn die Kassette kommt ja zurück, und für die Zukunft sind da noch „Connected Cars“! Und „Connected Home Devices“! Im ersten Halbjahr 2017 gab es wieder Wachstum. Drei Prozent! Auf den LEDs hinter Briegmann steht der Dreisatz dazu: Experience – Publicity – Consumption.
„Experiences“, sagt Briegmann, „sind Autogrammstunden bei ,Mediamarkt‘. Die treiben den Konsum! So werden aus Mehrwerten auch mehr Umsätze.“ Die Arena ist aufgepeitscht. Auch ich möchte sofort eine Autogrammstunde bei mir im Home Office abhalten. Aber da tritt auch schon die Kelly Family auf, singt „Nanana“, ein Lied, das ich als als Achtjährige auf meinem ersten Konzert in Dortmund mitgesungen habe. Mir stehen die Tränen in den Augen, der Kreis schließt sich: die naivste Begeisterung und das abgeklärteste Bescheidwissen.
Kaum kann ich wieder klar sehen, sehe ich Benny Andersson, der sagt, er mache als Künstler auch nur einen Neun-bis-fünf-Job, aber man schreibe eben nicht jeden Tag einen Song, denn man müsse viele Stunden arbeiten, um diese eine Minute zu finden, in der einem eine Melodie einfällt. Und Frank Briegmann sagt: „Yes, of course.“ Was er eigentlich denkt, ist: „Der Slacker.“
Nächster Tagesordnungspunkt: Kindermusik. Teile von Fettes Brot, Echt und dem Tigerenten-Club nennen sich Deine Freunde und machen Kinderrap über Obstessen. Verkauft sich so gut, dass nun schon das vierte Album erscheint. Und dann kommt Lang Lang. Er bekommt einen Universal-Tischtennisschläger geschenkt, Jared Leto ein Universal-Snowboard und Shania Twain ein gerahmtes Universal-Bild. Ob und wie die Wertigkeit dieser Geschenke mit dem Wert der Künstler für das Label in Verbindung stehen, darüber denke ich noch lange nach, dann aber kommt ein Mann in grauer Rentnerweste mit Kappe und Tasche über den Schultern. Sein Flug hatte vier Stunden Verspätung. Deswegen konnte er sich nicht umziehen, sagt er, und seine Kollegin, die sich für diesen Auftritt rückwärts Taxi geschminkt hat, hat sich dabei übergeben. Er lacht trocken. Stellt dann seine Tasche ab, singt „It Ain’t Necessarily So“ aus „Porgi & Bess“. Es ist Bill Murray. Und wir halle haben das wichtigste Learning: Große Experiences entstehen oft in maximaler Beiläufigkeit.