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John Grant ist ein offener Typ: Er hat in Interviews erzählt, dass er sich vor Angst in die Hose gepinkelt hat, als er das erste Mal zusammengeschlagen wurde. Und wie es sich anfühlt, zwischen einem verrußten Crack-Besteck und einem Fremden aufzuwachen. Er habe mit seinem Leben Russisch Roulette gespielt, sagt er. Als sich seine Alternative-Rockband The Czars 2004 nach zehn Jahren auflöste, wurde Grant endlich clean. Nach der Aufnahme seines ersten Solo-Albums QUEEN OF DENMARK von 2010 wies er sich dennoch selbst in eine Klinik ein. Er hatte Angst davor, Selbstmord zu begehen.

QUEEN OF DENMARK klang dennoch überraschend positiv: harmonischer Soft-Rock, der an die Siebziger erinnert, eingängige Melodien, Klavier, seine unangestrengte, aber intensive Stimme. Die musikalische Schönheit brach er durch bittere Ironie, wie in seinem Lied „Sigourney Weaver“:“I feel just like Sigourney Weaver, when she had to kill those aliens“, singt er da mit einem Schmunzeln wie Adam Green. Dabei geht es um ihn und die Welt, an der er fast zerbrochen wäre. Vor allem die Kritiker in Großbritannien feierten ihn dafür.

Grants Leiden lieferten auch genug Stoff für sein neues Album, PALE GREEN GHOSTS. „Mir ging’s Gott sei Dank immer noch beschissen. Ich hatte also viel Material für die neue Platte“, sagt John Grant im Interview. Er sagt das fast beiläufig, nüchtern, genau deshalb klingt es so ehrlich und höchstens ein klein wenig ironisch. Das ist auch der Tonfall, mit dem er seine Texte singt. Nur, dass auf dem neuen Album deutlich mehr Hoffnung mitschwingt.

Der musikalische Stil hat sich von einer zur nächsten Platte deutlich geändert. „Bei QUEEN OF DENMARK habe ich mit Midlake gearbeitet, die akustische Instrumente spielen. Jetzt habe ich mir jemanden gesucht, der sich mit elektronischen Instrumenten auskennt: Biggi Veira von GusGus“, erzählt Grant. Vor Beginn der Aufnahmen ist Grant sogar nach Island, in die Heimat der Techno/House-Formation, gezogen. Zusammen mit Veira hat er dort die Elektrobeats entwickelt, die das Album vorantreiben.

Auch auf der neuen Platte verwandelt Grant sein Schicksal so schließlich in unbefangene Musik. Und er findet lyrische Worte noch für die größten Schicksalsschläge: Vor zwei Jahren erfuhr er, dass er sich mit HIV infiziert hat. Der Track, den er darüber geschrieben hat, trägt als Titel den Namen des zu Lebzeiten als homophob bekannten US-Schauspielers Ernest Borgnine. Grant fragt sich mit elektronisch verzerrter Stimme: „I wonder what Ernie Borgnine would do “ – an seiner Stelle. Mehr, sagt er, wollte er darüber nicht schreiben, aber ein Lied musste sein: „Ich wollte zumindest darauf eingehen, dass ich damit Probleme habe. Dass ich mich jetzt unsexy finde, dass ich nie Bock auf Sex habe, weil ich denke, dass es vorbei ist mit mir. Ich muss darüber reden, sonst käme ich damit nicht zurecht.“

Nach der Veröffentlichung von PALE GREEN GHOSTS im März hat Grant noch einiges vor: Der 44-Jährige will lernen, wie man lebt, sagt er: „Ich habe lange gesoffen und gekokst und mich überhaupt nicht mit dem Leben beschäftigt. Es ist klar, dass es jetzt auch einige Zeit dauern wird, bis ich das wieder auf die Reihe kriege.“

Album-Kritik S. 84, CD im ME S. 19