Und ewig schäumt die Gitarre: Neil Young Berlin, ICC


Nach den kämpferischen Aufrührereien der letzten Jahre gönnt sich der große Widerborst ein bisschen Nostalgie - aber bitte mit Kanten.

Man kann solche Sachen ja immer nie mit letzter Bestimmtheit sagen, aber: Neil Young ist vielleicht der Allergrößte. Wenn man diese Theorie ein wenig aus den Augen verloren hatte, dann nur, weil man ihn (zu) lang schon nicht mehr live gesehen hat. Ein bisschen wurde uns im Vorfeld Bange gemacht, dies könnte Youngs letzte große Tournee sein (die angeschlagene Gesundheit…), noch einen Tick feierlicherer Stimmung sucht man sich also seinen Klappsitz im ICC, in dem eine grenzkitischig gemütliche Bühne aufgebaut ist: Bunte Birnen glimmen, Theaterspots auf Stativen leuchten, ein großer Ventilator dreht sich, im Bühnenhintergrund malt ein leibhaftiger Maler an seiner Staffelei die nächsten drei Stunden seelenruhig Bilder, während vorne musiziert wird.

Im Vorprogramm spielt Ehefrau Pegi beschwingten Country-Folk. Dann kommt Neil, setzt sich wortlos in ein Nest aus Gitarren, Banjos und Tasteninstrumenten und beginnt einen Akustik-Solo-Set, der von „From Hank To Hendrix“ aus mit dem gänsehautverursachenden „Ambulance Blues“(!) direkt in die 70er abbiegt: mit „Hits“ wie „A Man Needs A Maid“, „Harvest“ und „After The Goldrush“ (bei „and I felt like getting high?“gibt’s tatsächlich auch 200S noch Gejohle; grow up, kids) und Raritäten wie „Sad Movies“ und dem „Love/Art Blues“. Young gibt sich kauzig, geht immer wieder zerstreut zwischen den Instrumenten herum, berührt ein Piano, streichelt ein Banjo, schnappt sich dann, als sei ihm gerade eine Idee gekommen, eine Klampfe, stöpselt lautstark um und spielt los. Erst nach „Mellow My Mind“ winkt er ins Publikum und schlendert nach „Out On The Weekend“ von der Bühne. Schreck: War’s das schon?

20 Minuten später ist Young zurück, im stylish farbverklecksten Anzug und mit Band, zum sehr grandiosen elektrischen zweiten Teil. Wer hätte gedacht, dass der alte Mann noch so viel Saft in sich hätte? Oder: Wer hätte daran gezweifelt? Fernab wohlfeiler Gediegenheit, die man von so einem „classic act“ erwarten könnte, wird gepoltert, dass es eine Herrlichkeit ist. Youngs Gitarre schäumt: „Mr. Soul“, „Spirit Road“, „Down By The River“, das unvermeidliche, günstigenrweise ewig grandiose „Hey Hey, My My (Into The Black)“. Young ist jetzt gesprächiger, macht trockene Witze, widmet „Winterlong“ dem lange toten Danny Whitten und stellt seine Band vor: Ben Keith an Gitarre und Pedal Steel, seit 1970 Kollege. Rick „The Bass Player“ Rosas, seit 19S6, Crazy-Horse-Drummer Ralph Molina, seit ca. immer. „Thank you very much, folks“, sagt Neil, und das berühmte „I appreciate it“. Und wir appreciaten „Powderfinger“ und das ausufernde „No Hidden Path“ am Ende. Zur Zugabe eine monumentale Version von „Rockin In The Free World“. Neil zerrt an den Eingeweiden seiner Gitarre und gönnt sich nach dem entfesselten Schlussdröhnen einen privaten Moment mit Molina: ein Blick, ein Nicken, ein extraroher finaler Donnerschlag. WAAAM! Ja, doch, der ist der Allergrößte.

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