Umstürzende Dominosteine
Noch eine UK-Neo-New-Wave-Kapelle? Ja. Und nein: The Futureheads sind zur Zeit der originellste musikalische Export der Insel.
„Wir hatten in unserer Garage keine Gesangsanlage, nur Verstärker für Gitarren und Baß. Wenn Gesang geübt wurde, mußten alle Instrumente still sein, damit man die Stimme überhaupt hörte. Was dazu führte, daß denen, die nicht sangen, langweilig wurde. Also haben irgendwann alle mitgesungen.“ So simpel erklärt Barry Hyde die Entstehung des auffälligsten Features seines Quartetts. Die Jungs aus Sunderland mögen sich durch hastende, stolpernde Rhythmik, zickzackende Gitarren und andere Retro-New-Waveismen auszeichnen, aber damit stehen sie im UK ’05 nicht alleine da. Einzigartig ist der Einsatz aller vier Mitglieder als Sänger nicht in Harmonien, sondern als geheiltes Echo, sich antwortende oder vervollständigende Satzfetzen. Musterbeispiel: ihr bis dato größter Hit „Hounds Of Love“ – ein nicht wiederzuerkennendes Kate-Bush-Cover, in dessen Refrain sich die Gesangszeilen anstoßen wie Dominosteine.
So nehmen die Futureheads zwischen all den Bloc Parties, Maximo Parks, Editors, Franz Ferdinands eine Sonderstellung ein: Sie sind das entscheidende Quentchen verwinkelter, cleverer, schelmischer, unverkrampfter als ihre Zeitgenossen. Und erfolgreich: Ihr Debütalbum, im UK schon letzten Sommer erschienen, ist durch die Hits „Hounds Of Love“ und „Decent Days And Nights“ ganz oben in den Charts, und auch in den USA geht es los. Sei dem ersten Trip mit Franz Ferdinand können Barry, Jaff, Dave und Ross auf mehrere eigene Tourneen zurückblicken. „Das ist schon verrückt, weil man oft liest, wie englische Stars sich an den USA die Zähne ausbeißen. Aber wo wir hinkommen, sind die Hallen voll, die Kritiken hervorragend, das Album verkauft sich mehr als ordentlich. Ausgerechnet bei uns scheint das Knacken der USA wie von selbst zu gehen.“ ‚Tatsache ist: Britische Bands werden von den Staaten so gierig aufgenommen wie lange nicht. Sogar die Amibands selbst klingen heute, als kämen sie aus dem „Land der schiefen Zähne“ (siehe Killers, Interpol, Bravery, VHS Or Beta etc.). Da fahren die Futureheads noch Sonderpunkte ein mit einer Eigenschaft, die ihr authentisches Britentum unterstreicht: dem Singen im Dialekt ihrer Heimatstadt. Barry: „Wir reden halt so und wollen uns nicht verstellen. In England hat das aber auch eine fast politische Komponente. Unsere Gegend hat keinen guten Ruf. Sunderland und Newcastle sind Bergbaustädte und im Vergleich zu London sehr arm. Wer unseren Akzent spricht, gilt als unterbelichteter Arbeitertyp. So zu singen, aber als intellektuelle Band durchzugehen, heißt auch, Stereotypen zu unterwandern.“
Eine von mehreren Entscheidungen, die die Futureheads früh und bewußt getroffen haben. „Wir hatten von Anfang an strikte Regeln, z.B.: keine Gitarrensoli. Und: keine Pausen zwischen den Songs. Deswegen dauerte unser erstes Konzert bei sieben Songs nur 19 Minuten. Denn eine weitere Regel war: kein Song über drei Minuten. Und: keine Refrains. Oder zumindest keine sich zu oft wiederholenden Parts.“ Interessante Vorgehensweise, aber doch auch einschränkend? Barry lacht. „Das ist das Beste an Regeln: Wenn man sie erst mal aufgestellt hat, kann man sie ganz bewußt brechen!“
Lange Zeit glaubten sich die Futureheads mit ihrem Sound und ihrer Herangehensweise allein aufweiter Flur. Es dauerte, bis sich der wachsende Erfolg im Norden bis nach London herumgesprochen hatte. „Wir haben uns nie um einen Plattenvertrag gerissen. Irgendwann sind die Finnen auf uns zugekommen.“ Nun findet sich das Quartett im Gleichschritt mit mehreren UK-New-New-Wavern. Wir wollen wissen, wie das Verhältnis speziell zu Maximo Park aussieht – die stammen aus der Nachbarstadt, der Heimat von Newcastle United, dem Erzrivalen des Sunderland FC. „Och, wir haben schon gemeinsam getourt. Wir mögen uns, ehrlich. Aber klar, jeder will den anderen toppen.“ Eine kleine Spitze läßt sich Barry aber herauskitzeln. „Sagen wir’sso: Bevor wir Erfolg hatten, hießen Maximo Park noch ganz anders. Sie hatten einen anderen Sänger, machten einen anderen Sound. Sie sangen auch noch nicht mit Akzent. Ich will da aber natürlich nichts unterstellen …“
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