Ultravox!
In ganz Großbritannien und an der Ostküste der USA schnellt die dritte Generation des Rock ’n‘ Roll aus den Startlöchern. Zu den vielversprechendsten Gruppen der neugeborenen Szene (für die sich jetzt mehr und mehr das Schlagwort „New wave“ durchsetzt) zählt „Ultravox!“ aus England. ME-Mitarbeiter Werner Zeppenfeld pries ihr Debütalbum vor zwei Monaten in den höchsten Tönen. Ingeborg Schober traf Ultravox jetzt in München, wo die Band fürs ARD-Programm gefilmt wurde.
Mehrmals schon hatten die fünf Ultravöxchen – alle so um die zwanzig Jahre alt – ihre neue Single „Young Savage“ im Fernsehstudio der „Szene ’77“ mit der gleichen Konzentration und Vitalität durchgespielt. Und während sie bei dem Titel „Dangerous Rhythm“ ruhig und fast brav dreinblickten, verwandelten sie sich jetzt auf einmal in wilde Bühnenakrobaten, voran der schmächtige Blondschopf John Foxx. Doch gleich darauf, als wir in der „Maske“ sitzen, wo sich die übrigen Bandmitglieder (Steve Shears.git; Warren Cann, drms, voc; Billy Currie, violin, keyboards; Chris Cross, bass; voc) für den Auftritt schminken und die gewaschenen Haare föhnen, mimt er wieder den coolen, distanzierten Sänger, der endlich alles sagen kann, was ihm längst auf den Lippen brennt.
„Vergiß die Kategorien, ich halte sie für dumm. Wir können mehr als die meisten Bands in London. Wir sind, was wir sind, und wir sind ziemlich anders als die übrigen Leute.“ Angefangen hat es vor 2 Jahren, als die New York Dolls auftauchten. „Das war für mich die einzig interessante Gruppe. Und ich wollte schon immer in eine Band, weil mir Geräusche gefallen. Früher stand ich auf Velvet Underground.“ Die anderen Musiker traf Foxx in Clubs, wo sie mit lokalen Bands auftraten. Und Billy, der Geiger, der als einziger die Musikakademie besucht hat, gehörte einer Theatergruppe an. John besuchte damals die Kunstakademie. „Mein Stipendium, das ich vom Staat dafür bekam, habe ich in die Band investiert. So einfach war das.“ Zuerst spielten sie in einer Turnhalle, die zu einem Sportzentrum gehörte. Wie ernst war es ihm mit der Musik damals? „Sehr ernst. Ich halte nichts von Hobbies. Was ich mache, daran glaube ich. Konkurrenz fürchte ich nicht, denn sowas wie uns gibt es in England nicht noch einmal. Das ist keine Überheblichkeit, sondern die Wahrheit.“
Klang die Gruppe schon damals wie jetzt, hat es ein Startkonzept gegeben? „Es fing damit an, daß wir Lärm machen wollten. Ganz einfach Töne. Die gesamte übrige Musik hat uns gelangweilt. Wir haben nicht über Karriere oder soetwas nachgedacht. Und seit dem Start haben wir uns mindestens fünf Mal total verändert. Und das werden wir auch weiterhin tun. Nicht eine Idee ist wichtig, sondern die Entwicklung. Sobald etwas nicht mehr interessant ist oder sich wiederholt, werden wir damit aufhören, selbst wenn es gut ist. Ich glaube, das ist der einzige Weg, als Individuum zu überleben, ohne vor Langeweile zu sterben.“ Aber würdest du nicht sagen, daß ihr bereits einen spezifischen Stil habt? „Stil ist nur ein weiteres Instrument, wie eine Gitarre, du kannst ihn so oder so benützen.“ Aber Einflüsse sind doch da, von Roxy Music oder Velvet Underground? „Ja, vielleicht von zwei Stücken jeweils, die ich von einer Band mag. Es ist eine Art Frankenstein-Prozess; wir retten Teile von den Toten, oder von denen, die wir als tot betrachten. Ich glaube, daß alle alten Bands tot sind. Also können wir sie bedenkenlos benützen.“ Wie erklärst du dir, daß ihr trotz der geringen musikalischen Erfahrung sehr perfekt und professionell klingt? „Ich hasse den Gedanken, ein ernsthafter Musiker zu sein. Das ist der falsche Weg um etwas in Bewegung zu bringen. Wir fingen bei Null an, auf dem Geräusche-Level. Darauf bauten wir auf, selektierten die Geräusche, die wir aufregend fanden. Und dann kam die Reaktion darauf. Ich denke, so fängt Musik an.“
Euer erstes Album wurde von Eno (der ehemalige Roxy-Music-Mann) produziert. Habt ihr ähnüche Ansichten wie er? „Ja. Obwohl er eigentlich ganz anders ist als wir. Er ist viel liebenswürdiger, wir sind dagegen sehr wild. Aber ursprünglich sind wir vom gleichen Punkt ausgegangen, nur in verschiedene Richtungen gewachsen. Von Eno können wir immer noch eine Menge lernen. Mit ihm zu arbeiten ist wirklich aufregend. Der Zufall spielt dabei eine große Rolle. Er hat eine sehr unbekümmerte Strategie beim Arbeiten. Er schaut zum Beispiel in die Karten. Wir haben mit einem Kartenspiel gearbeitet, das war sehr gut. Und du spielst dabei gleichzeitig mit deinem Leben, denn das Leben ist ein Album. Also spielst du auch mit deiner Identität. Und das ist, wie alle Spiele, sehr aufregend.“ Heißt das, daß ihr keine festen Kompositionen hattet? „Moment, mach‘ nicht den Fehler und glaube, daß wir ein Zufallsprodukt sind. Wir strengen uns sehr an bei dem, was wir machen. Es ist unser Leben. Wir sind keine Amateure, wie gesagt, es ist kein Hobby. Wir sind sehr entschlossen und konzentriert dabei. Und was wir machen, ist immer funktionell und folgerichtig. Wir mögen nichts Affektiertes und Geziertes. Wir wollen eine verständliche Aussage, eine Menge Geräusche und eine starke Aussage.“
Glaubst du, daß ein ganz junges Publikum eure Songs und die Aussagen versteht? „Ja, instinktiv besser als die Älteren, die es intellektuell versuchen. Aber die Gefühle sind immer zuerst da, dann kann man sie intellektuell formulieren. Aber wir versuchen ja auch eine akzeptable Oberfläche zu schaffen, unter der dann eben mehr ist. Rock’n’Roll ist eine so einfache Form, aber deshalb schön, weil du fast alles reinpacken kannst. Ich liebe es, durch eine Tür und noch eine und so weiter zu gehen. Ein Song muß ein Labyrinth sein, aber ein einladendes.“