Popkolumne, Folge 186

Über Neid, Nichtmütter und Needles – Paulas Popwoche


Paulas Popwoche hat Serien-, Buch- und Hörtipps im Gepäck, um euch die heiße Sommerwoche erträglicher zu machen.

Na! Ihr habt letzte Nacht alle nackt geschlafen, sucht gerade nach dem einzigen Ort mit Durchzug auf eurer Arbeit oder seid im Urlaub, ihr verdammten Arschlöcher – wohlverdient natürlich, im Gegensatz zu uns, die es nicht verdient haben! Es ist eine gute Zeit für NEID. Neid auf die Wohnung, die weiter unten liegt, Neid auf die Leute, die sich gerade das x-te Bier in die Rüstung meiern, Neid auf alle, die immer noch super viel hinbekommen trotz all der Krisen, Neid auf das, was die Person da vorn bestellt hat, ich will das auch! Aber kommt, wir gehen rein, ich hab paar Tipps für euch, um euch abzulenken, manche haben auch inhaltlich was mit Neid zu tun, manche halt gar nicht, aber so ist das Leben.

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Serie der Woche

Es ist Woche 1 nach dem Release des Beyoncé-Albums und darüber wurde nun wirklich alles schon gesagt und geschrieben. Worüber ich zum Beispiel froh bin, ist, dass Beyoncé nicht mit ihrer Ausstellung dieser Karriere- & Muttersache weitermacht, was hier und da schon mal aufblitzte, also, ihren Anwandlungen sich als Überfrau darzustellen, die alles unter einen Hut bekommt. Na logo, du bist reich, du bekommst alles unter einen Hut, einen Geldhut halt. Stattdessen schenkte sie uns ein fantastisches Tanzalbum und die Briten schenkten uns eine interessantere Erzählung zum Thema Mutterschaft: „The Baby“ (kann man auf „Sky“ oder „Wow“ oder wie es halt nächste Woche heißen wird sehen).

Ich habe schon die letzten Tage, als ich versucht habe, die Serie meinen Freund*innen zu erklären, gemerkt, dass es nicht so einfach ist. Für eine Horrorserie ist sie nämlich zu harmlos, für Comedy sind es zu wenig Gags, für Deepness sind die Folgen zu kurz. Es geht um eine Frau, die keine Kinder will, der aber eines in die Hände fällt, also wortwörtlich. Sie will es loswerden, aber das klappt nicht, Leute sterben, die mit dem Baby zu tun haben, es taucht immer wieder auf, wird nicht älter und hinter all dem steckt das Trauma von zwei anderen Frauen, das in der Vergangenheit liegt. Es geht um Kinderwünsche, das Bereuen von Mutterschaft, die Konkurrenz unter Frauen bezüglich dieser Themen und das Verhältnis zu den eigenen Eltern. Es geht also eigentlich um viel zu viel für acht Folgen.

Deswegen sind die Figuren manchmal ein bisschen einseitig dargestellt, auch wenn trotzdem fast jede ihren Bruch bekommt. Ich mag zum Beispiel nicht, dass Frauen, die keine Kinder wollen, oft als zynische Singlefrauen dargestellt werden, die ständig brennende Zigarette ist dann das Symbol, sie sind irgendwie rücksichtslos und ihnen ist vieles egal, sie sind hart, klar wegen Kindheit und so. Gern würde ich mal eine warme, sich kümmernde Frau sehen, mit okayer oder nichtokayer Vergangenheit, die einfach so keine Kinder will, aber deswegen nicht minder bereit ist, Verantwortung für andere Leute zu übernehmen. Von mir aus kann sie auch rauchen. Trotz dieser Minikritik ist „The Baby“ uneingeschränkt zu empfehlen, es ist beeindruckend, wie viele Geschichten von Frauen in so kurzer Zeit erzählt werden, ohne dass es konstruiert wirkt. Ich wünschte nur, gute (Serien-)Ideen würden den Raum bekommen, den sie verdienen.

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Cliquen der Woche

Auch mehr Raum hätte die Serie „Paper Girls“ (Prime) verdient gehabt, die schon als das neue „Stranger Things“ gilt (hier und da sogar als Abklatsch), wegen 80s-Referenzen, einer Teenager-Clique und übernatürlichen Entwicklungen. Bei „Paper Girls“ (Prime) geht es um vier Mädchen, die sich Ende der 80er beim Zeitungaustragen kennenlernen und plötzlich ins Jahr 2019 und dann 1999 katapultiert werden, versuchen, wieder zurückzukommen, und dabei unter anderem auf die Hilfe ihrer Zukunfts-Ichs angewiesen sind. Dabei entstehen schmerzhafte Situationen, denn natürlich ist in der Zukunft nichts so geworden, wie es sich die Zwölfjährigen für sich wünschen. Im Gegensatz zu „Stranger Things“ gibt es aber auch eine politische Welt da draußen, es gibt Sexismus, Rassismus, Homophobie, Antisemitismus und Klassen – und all das geht die Mädchen an. Aber auch hier sind die Folgen zu kurz und zu wenige, teilweise geht alles viel zu schnell und man kommt nicht hinterher. Einmal versuchen die vier rauszufinden, wie ein Tampon funktioniert – es ist total süß und sicher genau so schon vielen Mädchencliquen passiert – an der Stelle merkt man, wie viel tolles Potenzial da ist.

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Das Gegenstück dazu war in der letzten Woche für mich die Lektüre des Romans von Jan Müller und Rasmus Engler, „Vorglühen“. Ich liebe nach wie vor alles, was die beiden musikalisch machen und ich hatte früher eine große Schwäche für diese ganze Hamburg-Musikwelt. Letzteres hat aber schon vor einer ganzen Weile aufgehört und ich weiß jetzt auch warum. Weil Leute wie ich da gar nicht so richtig stattfinden. Irgendwann hab ich mich gewundert, wieso das so eine Männerwelt ist, obwohl das doch nicht unbedingt alles fiese Reeperbahn-Macker sind und jetzt mit diesem Hamburg-Musikmänner-Roman verstehe ich das besser.

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Die Männer in „Vorglühen“ fliegen durch die Nächte, ihre Handlungen haben kaum Konsequenzen und sie verbinden sich einfach. Man lernt nachts einen anderen Mann kennen und dann ist die Person am nächsten Tag halt Bandmitglied. Man gehört zusammen, es fließt alles natürlich. All die Jahre haben mir Typen erklärt, sie hätten halt nie eine Frau für ihre Bands gefunden und ich dachte, das kann doch nicht sein, aber jetzt checke ich das. Sie hingen einfach wirklich nie so richtig mit Frauen rum, waren kaum mit ihnen befreundet, Frauen waren nie im inner circle. In „Vorglühen“ dauert es schockierend lange, bis eine Frau überhaupt einen Namen hat. Meistens sind sie „Mädchen“, während Männer Typen sind und meistens Namen haben. Manchmal gibt es auch Punkdamen, Irokesenfrauen, Schwestern, Exfreundinnen, sie tauchen am Rand auf, sind aber nie Gefährten. Sie weisen den Weg, wollen, dass man ruhiger ist, kommen ins Zimmer um Wäsche zu waschen – sie stören, sind halt da oder werden begehrt.

Für mich ist das Buch trotzdem interessant, weil ich diese Welt nicht kenne. In meiner Lebensrealität hingen schon immer Mädchen und Jungs zusammen rum und es gab auch Mädchencliquen, auf die man nachts treffen konnte. Ganz woanders gab es eben noch diese halbakademische-Musik-Hamburg-Welt. Ich finde das Buch trotzdem lesenswert, lustig und schön, allein wegen der Musikliebe und weil ich Rumpirschgeschichten lieb. Aber ich bin jetzt auch sehr froh, dass ich nie nach Hamburg ziehen konnte. Ich persönlich hab da offenbar nichts verpasst.

Podcast der Woche

Der Kultpodcast ist einfach der beste neue Podcast. Susi Bumms und DJ Lotti, DIE Kölner Urgesteine, die ihr von Twitter, Instagram oder aus dem echten Leben kennt, rufen sich gegenseitig an und probieren Dinge oder stellen ihre Freundschaft auf die Probe. Man kennt es von eigenen Freundschaften, aber hier ist es noch lustiger!

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Lied der Woche

Man müsste aktiv auf TikTok sein, um so manch gute Sachen mitzubekommen. Leider würde man dann aber auch den ganzen Scheiß mitbekommen … Und Zeit verlieren … Und man müsste Bock drauf haben … Aber noch mal zu dem Teil mit dem Mitbekommen. Jax’ „Victoria’s Secret“ ist einer dieser TikTok-Hits, der es über Umwege nun zumindest einen Monat später zu mir geschafft hat. Der Song, der ein bisschen wie ein lebensfroherer Song von 2002-Avril-Lavigne klingt, thematisiert die Kapitalisierung von Unsicherheiten, die insbesondere Mädchen anerzogen werden. „I know Victoria’s Secret / Girl you wouldn’t believe / She’s an old man who lives in Ohio / Making money off of girls like me“. Die Kommentare im Internet sind voller Dankbarkeit, zu Recht. Immer wieder dabei sind Aussagen à la „Ich wünschte, mir hätte sowas als Teenager jemand gesagt“. Wie gut, dass das mittlerweile Menschen tun. Hoffentlich kommt es durch, bei all dem gefährlichen Körper- und Beautykult, den es sonst auch noch so auf TikTok gibt.

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Musikvideo der Woche

Der Verdacht, dass ich eine ernsthafte Schwäche für Post Malone entwickle (bei Doja ist es schon soweit), erhärtet sich. Er wird halt auch immer niedlicher! Jetzt kam letzte Woche ein Video zum absoluten Süßhit „I Like You“ raus und holy shit, ich muss da irgendwie rein, in diese Szenerie. Also, Post & Doja, falls ihr das lest, könnt ihr mich irgendwie in „eure Sache“… nun ja, „integrieren“?

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Twitter der Woche

Es ist einfach ein Account, der die Szene in der „Stranger Things“ – Max nach oben FLIEGT um eigentlich gekillt zu werden, mit anderen Songs unterlegt als dem bereits viel zu Bekannten, der sie retten soll. Gut.

Warnung der Woche

Letztens hörte ich irgendwo in einem Podcast, dass Leute nicht nur wegen Corona, Geld, Politik und so nicht mehr so viel feiern gingen, sondern auch wegen NEEDLE SPIKING. Was klingt wie ein kultiger TikTok-Trend, ist aber mal wieder was gegen Frauen. Ich dachte erst, es kann nicht sein, das kann kein großes Ding sein, das ist zu abgedreht, aber doch, die Meldungen häufen sich: In Clubs, auf Festivals und Co. werden immer mehr Frauen mit K.O.-Spritzen angegriffen. Es ist wirklich wahr, es wird alles immer perfider. Also passt auf sowas auf, wenn ihr sowas seht, oder betroffen seid und euch komisch fühlt… es ist leider „ein Ding“. Achtet aufeinander.

Hier der Erfahrungsbericht einer Betroffenen. Ihr ist es im Berghain passiert. Sie ruft auch dazu auf, sich bei ihr zu melden, um ähnliche Erfahrungen zu bündeln.

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Was bisher geschah? Hier alle Popkolumnentexte im Überblick.