Udo Lindenberg
Der Mann mit dem Hut meldet sich zurück - und schnoddrig wie immer parliert der 51jährige diesmal über Paten, Platitüden und Politiker.
Dein neues Album heißt „Belcanto“, eine italienische Bezeichnung für schönen Gesang. Hast Du auf Deine alten läge Gesangsunterricht genommen?
Nein, ich habe mir die Haare schneiden lassen. Und weil jetzt nicht mehr so viele Fusseln vor dem Mund hängen, kann ich viel schöner singen als vorher. Schön ist ja das, was man als schön empfindet – sehr subjektiv. Ich empfinde meinen Gesang als herzergreifend schön. So daß ich manchmal, wenn ich mir selber beim Singen zuhöre, vor lauter Ergriffenheit anfangen muß zu heulen. Echt wahr, so isses. Ich kann dann nicht mehr weitersingen und muß den Nervenarzt rufen.
„Bekanto“ wurde mit dem Filmorchester Babelsberg aufgenommen und enthält unter anderem etliche Deiner alten Songs in neuem Chanson-Gewand. Bist Du zu alt, um noch mal kräftig loszurocken?
Ich hatte große Lust, so etwas mal auszuprobieren. Die großen italienischen Filmkomponisten wie Ennio Morricone haben mich schon immer angetörnt. Ich wollte nicht irgendwas mit Hardrock machen, sondern etwas mit Weite und emotionalen Landschaften.
Dem Song „Illusion*“ ist ein Prolog vorangestellt, den Marlene Dietrich 1987 exklusiv für Dich auf Band gesprochen hat. Wie kam es dazu?
Sie hat vor langer Zeit dieses Lied gesungen, und ich wollte es damals für mein „Hermine“-Album auch mal singen. Allerdings nicht ohne ihre Zustimmung. Also bin ich nach Paris gereist und habe sie angerufen. Dabei habe ich ihr gesagt, daß es die Krönung wäre, wenn sie auch einen Prolog sprechen könnte. Und das hat sie dann tatsächlich getan.
Hast Du persönlich mit ihr gesprochen?
Über heimliche Telefonate, heimliche Tonbandgeräte und so-durch die Tür in die Dunkelheit.
Stimmt es, daß Du das Band persönlich an ihrer Wohnungstür abgehört hast?
Ja, hab ich.
Die Tür geht auf, man sieht schemenhaft eine antike Kommode, wertvolle Teppiche und eine Hand.
…ja, genau, diese heimliche Hand, diese legendäre Hand, wie man sie auch in dem Film sehen kann, den Maximilian Schell über Marlene Dietrich gedreht hat. Ein alter Freund von ihr hatte den Prolog für sie auf eine Cassette aufgenommen, ein alter Tonmeister.
Wolltest Du nicht mal rein in die Wohnung?
Nee, das darf man nicht. Das muß man schützen und wahren. Frau Dietrich hatte sich nun mal entschlossen, ihre Legende so zu leben, mit aller Konsequenz, mit aller preußischen Disziplin. Und so was respektiere ich.
Auch Du genieSt als Pate der deutschsprachigen Rockmusik einen gewissen Legendenstatus. Wie gefällt es Dir, als leicht angestaubte Ikone in der Vitrine der Rockgeschichte zu stehen?
Ich find das ganz lustig. Mein Status als lebende Legende ist doch praktisch. Besser jedenfalls, als wenn ich erst sterben müßte. Dann hätte ich ja ein bißchen weniger davon. Manchmal fühl‘ ich mich wie ein Denkmal, dann muß ich erst mal an meiner Haut schnüffeln, ob das schon nach Stein riecht oder noch nach frischer Lindenblüte. Ich finde es ganz lustig, daß das Denkmal durch die Gegend hüpft und immer wieder alles mögliche auf den Kopf stellt. Viele andere machen ja auf „die young, stay famous“. Ich dagegen halte es lieber mit „live long and stay famous still“. Die Patenschaft über den deutschsprachigen Rock würde ich gemeinsam mit Rio Reiser in Anspruch nehmen. Und ich würde noch auf Ihre Kinder (eine politisch orientierte Deutschrockband der frühen 70er Jahre/Anm. d. Red.) hinweisen. In den Gründerjahren haben die auch schon viel darüber nachgedacht, was man auf deutsch alles machen kann.
Wie gefällt Dir die Musik, die heute, 25 Jahre nach Deinen ersten Platten, von deutschsprachigen Musikern gemacht wird?
Außerordentlich gut! Ich höre zum Beispiel sehr gern den Freundeskreis.“Leg dein Ohr an die Schiene der Geschichte“ ist für mich einer der genialsten Songs, die es überhaupt gibt. Aber die haben ja auch ein Lied von mir aufgenommen, „Baby, wenn ich down bin“. Und auch das finde ich richtig toll. Außerdem höre ich gern die Fantastischen Vier, sehr gerne auch Sabrina Setlur. Ich stelle fest, daß da eine ganz interessante Korrespondenz zustande kommt zwischen deutschem HipHop und den Sachen, die ich gemacht habe. Der Pate im Gespräch mit denen, die noch nicht solange dabei sind, aber frische Sachen machen. Das sah mal eine Zeitlang ein bißchen anders aus, da mußte erst mal Vatermord begangen werden. In der Zwischenzeit aber hat man gemerkt, daß der alte Mann mit dem Hut noch immer singt.
Wohl wahr. Aber ist es nicht albern, mit 51 immer noch die harte Rolle zu spielen?
Wir haben ja jetzt den neuen Udo. Die Haare ganz kurz, da oben noch ein bißchen heller. Überhaupt, es hat ja jetzt eine Erhellung stattgefunden, die wahrscheinlich in Richtung Lichtgestalt geht. Als ich tief in meiner fiesen, miesen Midlife-Krise drin hing, griff ich in meiner Verzweiflung in den Plattenschrank und suchte Trost und Zuspruch bei meinem Freund Peter Maffay, der da sang „Über sieben Brücken mußt du gehen, siebenmal mußt du die Asche sein – ganz im Dunkel,die Schwärze des Zweifels im Gefieder. Mit schwerem Schritt schlurfst du über diese sieben Brücken, mit der Last des langen Haares. Und dann der helle Schein. Mit dem hat Peter Maffay mir aus meiner Krise geholfen. Und jetzt finde ich es langweilig, noch eine Krise zu haben. Da sollte man in meinem hohem Alter durch sein.
Du bist also endlich erwachsen geworden?
Na ja, was ist das schon, erwachsen? Ich wandere auf der Internet-Schiene durch meine Seele. Die ganzen Kinderhandlungen sind vorbei. An deren Stelle machen sich erste Andeutungen von Weisheit bemerkbar.
Etliche Songs auf „Belcanto handeln von zerbrochenen Liebesbeziehungen und klingen sehr nachdenklich. Sucht der rastlose Wanderer namens Lindenberg jetzt nach einem festen Hafen?
Nee. Den hab ich in mir. Ich lebe ganz anders als eine Familie. Nicht mit einer Frau, einem Kind und einem Kanarienvogel, sondern mit einem ganzen Clan. Dieser Clan lebt nicht nur in einer einzigen Stadt, und das finde ich toll so. Ich lebe seit langem in einem Hamburger Hotel. Und jedesmal, wenn ich in die Bar gehe, ist da ein Teil meiner Familie, der Oberkellner zum Beispiel. Oder weiter oben im Haus der Etagenkellner. Genauso wie die Zimmermädchen, die sich zu mir an die Bettkante setzen, um die Freuden und Widrigkeiten des Lebens zu erörtern.
Normalerweise führt man derartige Gespräche mit seiner Freundin. Du warst doch mal mit der Schauspielerin Katja Keller liiert. Ist die Liebe erkaltet?
Wir sind jetzt richtig gute Freunde geworden. Und es ist prima, daß das Ganze so läuft. Sie ist ein wunderbarer Mensch.
Die große Liebe, die Udo L in den nächsten 10 Jahren begleiten wird, ist also einstweilen nicht in Sicht?
Nee, ist nicht in Sicht.
Willst Du nicht oder wollen die Damen nicht?
Ich will das nicht. Bei dieser einen großen Liebe heißt es dann immer „Udo, du hast keine Zeit für mich. Wollen wir nicht endlich mal nach Hause gehen?“ Und das möchte ich nicht. Lieber habe ich so eine Großfamilie.
Wenn Du Deinen Hut eines Tages endgültig abnimmst, werden dann auch keine Kinder oder Enkel Deinen Abschied zu beklagen haben?
Die Kinder sind ja da. Das sind Gesinnungsverwandte, Soulkinder eben. Es müssen ja nicht leiblich Hergestellte sein. Denn dann müßte ich anders leben. Es müßte auch eine Frau da sein. Außerdem haben die Kinder ja Anspruch auf einen Vater, der auch mal da ist und nicht nur Winke-Winke aus dem Fernseher macht. So nach dem Motto „Guck‘ mal, da ist dein Digitalpapi“. Aber damit habe ich es nicht eilig. Vielleicht hängt das ja auch mit meiner Jugend zusammen.
Apropos Jugend – was macht denn das werte Befinden, die liebe Gesundheit? Vor ein paar Jahren hast Du ja schon mal einen Warnschuß abbekommen. Damals hat Dich ein Herzinfarkt niedergestreckt. Gehst Du heute pfleglich mit Dir um?
Auf die Gesundheit muß ich inzwischen achten. Indem ich nicht mehr rauche, zum Beispiel.
Aber Du hast Dir doch gerade eine Zigarette angesteckt.
Ich rauche welche ohne Tabak und ohne Nikotin. Nur Kräuter. Null Nikotin, null Tabak. So was kann man in der Apotheke kaufen. Da kann man auch Gras ‚reintun. Gras finde ich sehr gesund. Ich rauche gern einen Joint und ich trinke ab und zu einen kreislauferfrischenden Tropfen.
Womit hältst Du Dich sonst noch fit?
Mit Joggen. Ich schaffe locker fünf Kilometer aus dem Stand. Die Kondition ist gut.
Ein neuer Song auf „Belcanto“ heißt „Säuferland“. Darin monierst Du übermäßigen Alkoholkonsum überraschend für jemanden, der diesbezüglich lange Zeit nicht eben ein Kind von Traurigkeit war.
Dauernd hört man, daß in Deutschland wahnsinnig viele saufen. Vielleicht ist das ein Ausdruck ihrer Orientierungslosigkeit, und sie saufen sich deshalb die Rübe weg. Wenn das in derartig exzessivem Maße vor sich geht, muß ich mich leider mit Grausen abwenden. Im Ausland allerdings werden die Leute möglicherweise erleichtert aufatmen und sagen: „Die sind jetzt lustig drauf, machen Party, besaufen sich.“ Wenn alles schön breit in den Biergärten sitzt, könnte endlich mal ein anderes Deutschland-Bild enstehen. Sonst sieht man bei uns doch nur Militär und preußischen Fleiß.
Zumindest in politischer Hinsicht scheint es der Jugend an Fleiß und Interesse zu mangeln. Woran liegt*s?
Politiker törnen nicht an. Denen glaubt man nicht. Die machen nur noch Krisenmanagement von heute auf morgen. Hier bahnen sich Wirtschaftskatastrophe und Sozialcrash an, und dort fällt den Verantwortlichen nichts dazu ein. Sie lassen sich hängen, haben keine Visionen und keine Utopien mehr. Es ist kein Willy Brandt mehr da und auch kein Richard von Weizsäcker, der mal eine Rede über den Tag hinaus hält. Kein Wunder, daß dann eben jeder aussteigt.
Vor einigen Jahren hast Du verkündet, daß Du Bundeskanzler werden willst – wann ist es denn soweit?
Inzwischen will ich Bundespräsident werden. Das ist viel leichter. Kanzler zu sein, ist mir viel zu anstrengend.
Dann müßtest Du ja nach Berlin ziehen.
Ja, macht mir aber nichts. Ich bin ziemlich oft in Berlin.
In den 8oer Jahren standen Musiker wie Herbert Grönemeyer oder BAP für bestimmte gesellschaftspolitische Überzeugungen. Siehst Du in der heimischen Szene neue Leitfiguren heranwachsen?
Ich sehe durchaus Ansätze, wie gesagt, zum Beispiel beim Freundeskreis. Aber kaum Impulse auf größerer Ebene. Eine Bewegung muß auf die Straße. So wie damals die Friedensbewegung und Rock gegen Rechts und was wir sonst noch alles gemacht haben. Sachen.für die wir beschimpft wurden. Nach dem Motto „die wollen sich profilieren und dadurch ihre Platten verhökern“.
Was würde Präsident Lindenberg denn in Zeiten der Krise alles unternehmen?
Der Präsident ist nicht der Krisenmanager. Er ist jemand, der das Fantastentum in Deutschland feiern sollte. Aber genau das fehlt. Es ist ja nicht damit getan, daß die Mauer weg ist. Wir brauchen neue Inhalte. Es heißt ja auch: Have a dream. Es fehlen Impulse, wie sie Willy Brandt und Olof Palme seinerzeit der Nord/Süd-Kommission gegeben haben. Ich meine, daß Visionen und Pioniertaten auch von Deutschland ausgehen müßten.
Klingt ja alles ganz nett, aber wen zum Teufel interessiert schon das Fantastentum, wenn er arbeitslos ist und keine Kohle hat?
Klar, es gibt Probleme, die wir gemeinsam lösen müssen. Man muß sich klarmachen, daß ein Land, das 40 Jahre lang marode darnieder gelegen hat, jetzt auch ein bißchen was kostet. Das wird zehn bis 15 Jahre dauern, ist letztlich aber ein relativ überschaubares Drama. Was wir nicht brauchen, ist all das Gejaule und die Rechthaberei nach dem Motto „der Lafontaine hat’s ja schon immer gewußt“. Euphorie ist manchmal wichtig als Motor, als entscheidender Impuls, mal wieder etwas Neues zu starten.
Neu wäre es auch, Dich mal ohne Deinen Hut zu sehen.
Das wird in einem historischen Moment der Fall sein.
Dann, wenn Du den Präsidenten-Job antrittst?
Genau. An diesem Tag werde ich meinen Hut abnehmen.